Radikale Architektur
„Es geht mir darum zu zeigen, dass Architektur existieren und überall präsent sein kann, unabhängig davon, wie die Bedingungen sind“, sagt Architekt Michael Maltzan. Sein Projekt Star Apartments in Los Angeles trotzt allen Vorurteilen, wenn es um realisierbare Standards für soziale Wohnprojekte in unruhigen Stadtvierteln geht.
Von Natalie Kreutzer
Die Star Apartments seien für Los Angeles wirklich radikal gewesen. Nicht nur aufgrund ihrer bis dato für L.A. ungebräuchlichen modularen Bauweise sowie dem seltenen Fall, dass ein bestehendes Gebäude erhalten bleibt, auch das Raumkonzept zeigt für diesen speziellen Kontext einen neuen Ansatz. Aus einem eingeschossigen Geschäftsgebäude im Downtown-Stadtviertel Skid Row entstand ein sechsstöckiges Wohnhaus für obdachlose Menschen. Die Einrichtung für unterstütztes Wohnen bietet neben den 102 Wohnungen einen in die Gebäudearchitektur eingeflochtenen öffentlichen, kollektiven sozialen Raum, der die Begegnung auf sanfte Art und Weise fördert. Im Interview spricht Michael Maltzan über seine persönlichen Erfahrungen und auch die Motive, die hinter dem einzigartigen Projekt stehen.
Was macht Star Apartments so besonders?
Was Star Apartments für die Menschen, die dort leben, hoffentlich zu etwas Sinnvollem, Besonderem macht und sie wirklich unterstützt, ist das Konzept des Gebäudes, das die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohner und deren individuelle Lebensgewohnheiten über den Tagesverlauf hinweg zu berücksichtigen versucht. Damit meine ich, dass jemand, der dort wohnt, seinen eigenen Raum und seine Privatsphäre hat, sich aber auch leicht mit einer größeren Gemeinschaft verbinden und an einem gemeinschaftlichen Leben teilnehmen kann, was unglaublich wichtig ist. Das Gebäude ist so gestaltet, dass es soziale Beziehungen und die Entwicklung einer Gemeinschaft innerhalb der Wohnanlage fördert – und dieser Ansatz ist bei Star Apartments seit seiner Eröffnung 2014 sehr gut gelungen.
Wie hat alles angefangen?
Die Idee ist in Gesprächen mit dem Kunden, der Skid Row Housing Trust, entstanden. Sie wollten ein bestehendes Gebäude mit Einzelhandels- und Gewerbeflächen, die sie beibehalten konnten. Es sollte ein Gebäude sein, das mit dem Leben auf der Straße verbunden ist. Unsere Herausforderung war, auf dieses bestehende Stockwerk zu bauen, unter anderem mit der Auflage, dass es vor Ort rund um das Gebäude nicht wirklich viel Platz für die Bautätigkeiten gab. Das hat uns darauf gebracht, den Großteil von Star Apartments mit vorgefertigten Moduleinheiten zu bauen, was in Los Angeles zuvor noch nie gemacht worden ist und aufgrund der hiesigen Vorschriften auch fast unmöglich war. Star Apartments war wirklich das erste seiner Art hier in Los Angeles. Das Gebäude entstand aus praktischen Erwägungen, aber auch aus einer gesellschaftlichen und städtebaulichen Motivation heraus.
Worauf hast du hingearbeitet?
Was uns zu Beginn unserer Arbeit mit der Housing Trust die Augen geöffnet hat, war sicherlich, dass wir erfahren haben, wie lange die künftigen Bewohner zuvor auf der Straße gelebt haben. Sie galten als ‚chronisch obdachlos‘. Das bedeutet, wir sprechen von fünf oder zehn Jahren auf der Straße. Diese Menschen haben einen Großteil ihres Lebens auf der Straße verbracht, was in gewisser Weise ein sehr öffentliches Leben ist. In den Wohnhäusern, die wir gebaut haben, ist vielleicht das wichtigste Ziel, und vermutlich das Grundlegendste, worauf ich hingearbeitet habe, Gebäude zu schaffen, die den Bewohnern die Möglichkeit auf ein Privatleben geben. Genauso wichtig ist es aber auch, sie sanft anzustoßen und wieder in ein öffentliches und soziales Leben einzubinden. Und das kann so subtil geschehen wie bei Star Apartments.
Hast du Kontakt zu den Bewohnern?
Ja, ich spreche oft mit ihnen, weil ich immer wieder vorbeischaue. Und so ergibt es sich, dass ich sehr spontan und recht ungezwungen mit den Bewohnern ins Gespräch komme. Es ist immer sehr informativ, weil sich niemand scheut. Sie sagen dir, was sie denken, was sie lieben, was sie ändern würden, was ihre Probleme sind und was ihre Erfolge. Es fühlt sich immer sehr lebendig an. So, als würde man durch eine Nachbarschaft gehen und die Leute sind draußen und sehr daran interessiert, mit dir zu reden und sich einzubringen. Ich denke, das spricht für den Erfolg der Star Apartments.
War der öffentliche Raum von Anfang an so vital?
Alle Wohnungen öffnen sich zu einem Gehweg im Freien. Es ist kein geschlossener Korridor, den man zu seiner Wohnung entlang geht. Man läuft eigentlich wie auf einem Balkonweg, der zu den Innenhöfen der Wohnanlage offen ist. So bewegt man sich schon alleine auf dem Weg von der Haupteingangstüre zu seiner Wohnung für kurze Zeit in diesem öffentlichen Raum und hat die Möglichkeit, andere zu sehen und wiederum von ihnen gesehen zu werden. Das soll langsam das Gefühl vermitteln, dass es in Ordnung ist. Dass es sicher ist, hier zu sein und mit anderen Menschen Kontakt zu haben. Und die Hoffnung ist, dass daraus mehr Selbstvertrauen und Wohlbefinden entsteht und sich daraus wieder ein Leben entwickeln kann, das die sozialen, öffentlichen und gemeinschaftlichen Kompetenzen integriert.
In welcher Hinsicht waren die Star Apartments für L.A. eine Neuheit?
Die Star Apartments waren wirklich ziemlich radikal. Einzigartig an der Projektierung war, dass ein vorhandenes Gebäude erhalten blieb. Das mag in anderen Städten nicht so ungewöhnlich sein, wohl aber in Los Angeles. Neben diesem Erhalt verwendet das Projekt, wie ich schon sagte, eine innovative modulare Baumethode – und übertrifft damit die bestehenden lokalen Umweltstandards um fast 30 Prozent. Der öffentliche Bereich bei den Star Apartments mit Gemeinschaftsräumen, einer Gemeinschaftsküche, Sportmöglichkeiten, einem Kreativraum, einer Bibliothek und vielem mehr, steht auch den Bewohnern anderer Skid Row Housing Trust-Gebäude in der Nachbarschaft zur Verfügung, die solche Annehmlichkeiten nicht haben. Diese ergänzenden Einrichtungen von Star Apartments fördern somit eine große Gemeinschaft, die weit über die 102 Bewohner der Apartments hinausgeht.
Warum die leuchtend weiße Farbe?
Eine der Ambitionen für das Gebäude war, es sollte ein Ansatz für eine optimistische Zukunft in diesem Viertel der Stadt sein, das diese Art von Optimismus in jeglicher Entwicklung seit sehr langer Zeit nicht mehr gesehen hat. Skid Row ist historisch gesehen das Zentrum für die obdachlose Bevölkerung – ein Ort, an dem die Menschen landen, wenn sie am Tiefpunkt ihrer Situation angelangt sind. Star Apartments wollte bewusst etwas ganz anderes zum Ausdruck bringen, nämlich dass da etwas Positives sein kann. Einiges davon steckt im Konzept des Gebäudes, das es zugänglicher und mit dem unmittelbaren städtischen Leben verbunden macht. Aber auch die Ästhetik des Gebäudes, die sehr helle weiße Farbe, soll ein Gefühl von Leichtigkeit und Freude vermitteln.
Was ist deine zentrale Aussage mit Star Apartments?
Eines der Dinge ist, wir müssen als Architekten vorsichtig sein mit tendenziellen Annahmen darüber, wie wir selbst denken, dass eine Gruppe oder eine Gemeinschaft leben sollte oder will – das gilt für jedes Projekt, insbesondere bei einer Zielgruppe wie den Bewohnern der Star Apartments. Das Gebäude mit seiner Architektur kann sehr viel dazu beitragen, die persönlichen Ambitionen der Menschen zu unterstützen. Es kann nicht alle Herausforderungen dieser Menschen lösen, jedoch eine wichtige strukturgebende Hülle für ihr Leben sein. Star Apartments kann helfen, die Stadt und ihr urbanes Leben für uns alle besser, positiver und fortschrittlicher zu machen, für alle Bewohner dieser Stadt, egal wer sie sind, aus welcher Einkommensschicht, welche Geschichte sie mitbringen. Und die Architektur dieser Gebäude, die in vielerlei Hinsicht die Architektur der Stadt als Ganzes ist, sollte fantastisch sein und sehr hohe Ansprüche und Ambitionen haben. Wenn wir das berücksichtigen, wenn wir alle Projekte auf diese Weise angehen, denke ich, werden wir gemeinsam davon profitieren. Die Stadt wird positiver, zugänglicher, lebendiger und lebenswerter für alle. Ich denke, das ist eine große Verantwortung und meiner Meinung nach ein wichtiges Bestreben für die Architektur.
Ausgezeichnet mit dem Zumtobel Group Award 2017 in der Kategorie „Buildings“. LEED Platinum zertifiziert.
mmaltzan.com