Reden wir über Suffizienz

Kolumne von Sarah Kleiner

Es war im Juli 2021, als Sebastian Kurz den Verzicht madig geredet hat. Auf die Frage, ob man als Politiker heutzutage guten Gewissens behaupten könne, dass der Klimawandel auch ohne persönlichen Verzicht in den Griff zu bekommen sei, antwortete der damalige Bundeskanzler: „Ja, das kann man. Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte.“ Er halte nichts von einer Politik des erhobenen Zeigefingers oder davon, „dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert“. Technologie und Innovation seien die einzigen Auswege aus dem Klimakollaps.

Der Sager sorgte für Wirbel. „Wer glaubt, die Klimakrise bewältigen zu können, ohne etwas zu verändern, der lebt in der Steinzeit“, wetterte Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer. Nichtsdestotrotz hat der Spruch der Verzichtsdebatte einen Dämpfer verpasst, sie wurde leiser, vorsichtiger. Wer sich heute in dieses Gebiet vorwagt, erntet schnell vorwurfsvolle Kampfbegriffe: Neiddebatte, Zwangsenteignung, Rückschrittsfantasie! Weniger Materialismus, die Vermeidung von Überkonsum und Überproduktion können keine der Vernunft oder Effizienz geschuldeten Forderungen sein, sondern nur die von neidigen Steinzeitmenschen. Bundeskanzler Karl Nehammer schlägt in dieselbe Kerbe. „Wer glaubt, dass wir dem Klimawandel ausschließlich durch Verzicht und Apokalypse-Szenarien begegnen können, oder [damit,] dass man sich auf die Straße klebt, der hat nichts verstanden“, stellte er vergangenes Jahr klar.

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Wissenschaftlich wird da unaufgeregter argumentiert, wie Frauke Wiese, Leiterin der interdisziplinären Nachwuchsforschungsgruppe „Energie-Suffizienz“ an der Europa-Universität Flensburg, kürzlich deutlich machte. Sie war Anfang Juni beim Klima-Briefing „5vor12“ des Netzwerks „Klimajournalismus Österreich“ zu Gast. Das Thema: unterbelichtete Themen. Worüber wird im Zusammenhang mit der Klimakrise zu wenig berichtet? Für Frauke Wiese ganz klar: über Suffizienz.

Umschreiben könnte man den Begriff mit Genügsamkeit, definiert wird er laut Wiese als eine Strategie zur Reduktion von Konsum- und Produktionsniveaus durch Veränderung von sozialen Praktiken, um ökologische Nachhaltigkeit einzuhalten und für alle Menschen ein soziales Fundament zu gewährleisten. Der Energie- und Ressourcenverbrauch soll gesenkt, Überkonsum, aber auch Energiearmut verhindert werden. Frauke Wiese fasst die Bedeutung so zusammen: „Öffentlichen Wohlstand stärken, statt privaten Luxus fördern“. Denn unsere Bemühungen um mehr Energieeffizienz – aufbauend auf beeindruckenden Innovationen und neuen Technologien – werden in manchen Bereichen beinahe vollständig wettgemacht durch steigenden Konsum und Reichtum.

Ein Beispiel aus dem Briefing: In den vergangenen 30 Jahren hat sich der Wärmeverbrauch pro Quadratmeter Wohnraum in Deutschland deutlich reduziert, was unter anderem auf thermische Sanierung und Wärmedämmung zurückzuführen ist. Allerdings blieb der Pro-Kopf-Wärmeverbrauch beinahe gleich. Warum? Der durchschnittliche Wohnraum pro Person ist in dem Zeitraum von 35 auf 47 Quadratmeter angestiegen. „Die Erfolge bei der Effizienz werden wieder aufgefressen durch den steigenden Wohnraum“, sagt Frauke Wiese. Sie wundert sich, wie wenig Aufmerksamkeit Suffizienzstrategien erhalten, außerdem würde schnell individuelles Verhalten statt politischer Verantwortung im Mittelpunkt stehen. Sie empfiehlt, Energieeffizienzmaßnahmen auch unter dem Gesichtspunkt der Suffizienz zu erarbeiten. „Ohne Suffizienz können Effizienz und erneuerbare Energien nicht vollständig ihr Potenzial entwickeln.“

Das österreichische Klimaschutzministerium setzte sich in dem Zusammenhang bereits mit sogenannten Rebound-Effekten auseinander, die entstehen, wenn sich durch Effizienzsteigerungen die Nachfrage nach Produkten oder das Nutzungsverhalten von Menschen verändert. Zum Beispiel: Effizienzsteigerungen bei der Motorleistung von Fahrzeugen führen dazu, dass größere und schwerere Fahrzeuge gekauft werden – wodurch sich schlussendlich der Spritverbrauch nur gering ändert. Diese Effekte seien Risikofaktoren für Energie- und Klimaszenarien, die vor allem auf effizientere Technologien setzen.

Bei der fast schon allergischen Reaktion, die Ideen rund um einen bescheideneren, nicht-dekadenten Lebensstil bei manch konservativem Politiker auslösen, sollte man auch an die Menschen denken, die – trotz harter Arbeit – wenig oder nur das Nötigste besitzen. Oder an ältere Menschen, für die es in ihrer Kindheit ganz normal war, dass es einmal in der Woche und nicht zweimal täglich Fleisch zu essen gab. Für die es ganz selbstverständlich war, Kleidung oder Spielsachen der älteren Geschwister zu übernehmen. Das Annähern an den Lebensstil früherer Generationen als Affront darzustellen, verkennt, dass viele ältere Menschen durchaus wertvolle Tipps haben, wie unsere Gesellschaft nachhaltiger bestehen könnte. Und dem gesellschaftlichen Klima täte es ohnehin gut, weniger die Extreme – entweder Verzicht oder Innovation –, sondern vielmehr ein „wenn, dann auch“ zu betonen.


Sarah Kleiner, geboren 1991 in Oberösterreich, arbeitet als Journalistin in Wien. Sie
leitet seit 2020 die Redaktion des „ORIGINAL Magazins“ und publiziert nebenher in diversen Medien, wie zum Beispiel in der Tageszeitung „Der Standard“.


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