Samsø im Aufwind
Eine kleine dänische Insel zeigt vor, wie Energiewende und Zivilkapitalismus zusammenpassen. Wer will, investiert und bläst damit Rückenwind in den Kampf gegen den Klimawandel. Ein Stückchen Unabhängigkeit erleben dadurch alle.
Von Juliane Fischer
„Allen ist bewusst: Wenn wir die Projekte hier nicht unterstützen und den örtlichen Unternehmen keine Rückendeckung geben, gibt es hier nichts. Das war uns klar und das hat uns unter anderem motiviert, herzuziehen“, sagt Hester. Wenn sie ins Handy spricht, sieht sie ihren Atem vor der Nase. Im Hintergrund knattert der Traktormotor. Es ist erst kurz nach sieben und noch recht frisch von der Herbstnacht.
Hester Callaghan stammt aus England. Sie ist Anfang 30 und wohnt schon seit 15 Jahren in Dänemark. Auch in Norwegen hat sie in der Landwirtschaft gearbeitet. Das haben ihr Partner Bjarke Jensen und sie studiert. Die Farm brachte sie nach Samsø.
Samsø? Zahlenmäßig gesehen ist die kleine und sonnenreichste Insel Dänemarks nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber wir können einiges von ihr lernen. Immerhin ist hier die Stromversorgung so strukturiert, dass die Insel mit erneuerbaren Energien zu 100 Prozent autark ist. „Jetzt sind wir auf dem besten Weg, die Nutzung fossiler Brennstoffe bis 2030 auslaufen zu lassen“, heißt es von der Energieakademie. Dieses Zentrum zieht internationale Forschungsgäste an. Aus Toyama und aus New York nehmen die Journalisten und Forschungsdelegationen die Fähre zur „Insel der Erneuerbaren Energie“. In der Energieakademie nutzt man Regenwasser für die Toilettenspülung. Auf dem Dach sammeln 200 Quadratmeter Solarpanels die Sonnenenergie.
Rundherum leben keine 4.500 Einwohner auf dem 114 Quadratkilometer großen, idyllischen Eiland im Kattegat. Früher hatte jeder von ihnen einen durchschnittlichen CO2-Fußabdruck von elf Tonnen. Sie heizten mit Öl, das Tanker auf die dänische Insel schifften. Vieles vom Strom stammte aus Braunkohlewerken. Bis zum Energiewunder „Sauberes Samsø“.
Teilhabe und Gemeinschaftssinn
Angestoßen wurde das Projekt 1997 von der Regierung. Die schrieb einen Wettbewerb aus, gesucht wurde ein Modell, das den hohen Kohlenstoffdioxidausstoß innerhalb von zehn Jahren stoppt und die Energie aus regenerativen Quellen bezieht. „Sauberes Samsø“ setzte sich gegen vier Mitwettbewerber-Inseln durch. Dafür verantwortlich war ein Team rund um den heutigen Energieakademie-Direktor Søren Hermansen. Es kam einiges in Bewegung: Beteiligungsgesellschaften und Genossenschaften erwarben gemeinsam Windräder. Sie schlossen sich zu Kooperativen zusammen, organisierten Windenergieseminare. Wärmepumpen ersetzten schön langsam die Öfen. Bis 2001 halbierte man so die fossilen Brennstoffe, die vor allem im Verkehr und durch die Fähren noch anfielen. Die Inselbewohner kommen heute mit Windenergie durch. An windstillen Tagen muss man zwar Strom vom Festland „ausleihen“, wenn der Wind kräftig bläst, können die Saminger aber sogar Strom ans Festland liefern. Insgesamt gesehen exportiert Samsø schon seit 2003 mehr elektrischen Strom in das dänische Netz als es importiert.
Im Offshore-Windpark 23 Kilometer südlich von Samsøs Küste, mitten in der Ostsee, drehen sich die Rotoren von elf Windrädern. Die Dänen waren auch die ersten, die Windkraftanlagen auf dem offenen Meer bauten, und das schon im Jahr 1991.
Und dazu entstehen immer neue Ideen – E-Autos für die Altenpflege, eine Solartankstelle, eine dieselfreie Auto-Fähre – und individuelle Modelle: Der Milchbauer Carsten Christianson nutzt mit einem Wärmetauschsystem jene Energie, die frei wird, wenn die frische, 39 Grad warme Milch auf sechs Grad Celsius runtergekühlt wird. Er wärmt damit Wasser für seine Fußbodenheizung. Auch Stroh ist ein wichtiger Rohstoff geworden. Es wächst immer wieder nach und setzt wenig CO2 frei, wenn es im Blockheizkraftwerk verbrannt wird. 150 Ballen Stroh entsprechen etwa 30 Tonnen Erdöl. Früher war Stroh nichts weiter als ein Abfallprodukt der Landwirtschaft, heute erhalten die Landwirte etwa 30 Euro pro Ballen, heißt es auf Samsø. Die Asche verstreuen sie als Dünger auf ihren Äckern. Die Fernwärme aus den Solar- und Strohverbrennungsanlagen wird auf 900 Haushalte aufgeteilt. Außerhalb der Reichweite haben viele ihre Ölheizungen gegen einen Pellets-Ofen getauscht oder setzen auf Erdwärme.
Das Besondere an Samsø sind eigentlich nicht die Technologien, sondern dass die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger hinter einem Vorhaben steht und sich aktiv einbringt. Widerstände gegen Windräder, wie sie sonst häufig aufkommen, gibt es hier nicht. Warum? Vielleicht weil sie im Meer stehen oder vielleicht weil die Bewohner sie selbst besitzen und daran verdienen.
„Es war ein beeindruckendes Projekt und es hat sicher ein Umdenken bewirkt und Spuren hinterlassen“, meint Hester Callaghan zu „Sauberes Samsø“. Vom Umdenken profitierte auch sie. 2015 wurde der Verein „Økologisk Samsø“ gegründet, ein Jahr später um einen Fonds erweitert. Der Zweck: Grund und Höfe zu kaufen, auf biologische Bewirtschaftung umzustellen und zu verpachten. Das reicht vom Schlachthof bis zur Permakultur. Hester und ihr Partner hätten es sich nicht leisten können, einen Hof zu kaufen. Sie sind extra auf die Insel gezogen und nun die ersten Bewirtschafter eines solchen Betriebs aus der Stiftung. Die Unternehmensform baut auf mehrere Eigentümer. Außerdem gibt es zusätzlich noch die Möglichkeit, von der Ernte Anteile zu kaufen. Denn neben dem Ab-Hof-Verkauf gibt es das Modell einer Community Supported Agriculture (CSA). „Ich weiß nicht, ob das in dieser Form auch woanders so leicht möglich wäre“, gibt die Bäuerin zu bedenken. „Heute hat Bjarke 16 Zeilen gefräst. Hier werden Apfel- und Birnbäume gepflanzt“, berichteten die beiden vor ein paar Wochen auf Instagram. Zwei Tage später startete eine ihrer Crowdfunding-Kampagnen für mehr Bäume im neuen Obstgarten. „Samsø hat einen starken Gemeinschaftssinn“, bestätigt sie.
Man kann nicht wirklich einschätzen, ob der Zusammenhalt durch „Sauberes Samsø“ erst entstanden ist oder das Vorhaben nur durch diese Bedingung geklappt hat. Wahrscheinlich spielt beides zusammen. Der Gründer und Energieberater Søren Hermansen musste sich sein Ansehen jedenfalls erst erkämpfen. Er investierte Zeit, Geduld und Nerven, bis er die Insulaner davon überzeugt hatte, dass sie selbst der wichtigste Faktor der Veränderung sind. Zu Beginn begegneten sie ihm mit typisch skandinavischer Zurückhaltung. Er glaubt, das Argument, dass nicht nur die Umwelt etwas von einem Umdenken hätte, sondern jeder Einzelne an der grünen Energie mitverdienen könnte, hätte schließlich am meisten überzeugt. Es ist schon ganz etwas Neuartiges, wenn man sich plötzlich als einfache Bürgerin, als einfacher Samsinger Anteile an der Windturbine kaufen kann. Das erinnert an „Zivilkapitalismus“, jenen Begriff, den der deutsch-österreichische Journalist und Buchautor Wolf Lotter geprägt hat.
Nur selbstbestimmt ist wirklich autark
„Wenn ich nur Kunde bin, dann kaufe ich, was mir gefällt. Wie es produziert wird, ist mir weniger wichtig. Es verändert das Bewusstsein, wenn die Bürgerinnen und Bürger Energie nicht nur einfach verbrauchen, sondern auch selbst erzeugen“, sagt Hermansen in den Videos und den vielen Gesprächen mit Journalisten und Projektpartnern weltweit. Dass sich die Bevölkerung jetzt dafür interessiert, woher der Strom kommt, liegt auch daran, dass sie Teilhaber, also Lieferanten sind. Während sie früher nur dachten „Heute ist es windig”, wissen sie nun, dass 24 Stunden Wind für vier Windräder eine Summer von etwa 10.000 Euro ins Geldbörserl spülen.