Sanfte Kommunikation

Der vielfach ausgezeichnete Vorarlberger Gestalter Sigi Ramoser fragt im Interview, ob man auf Liebe verzichten kann, erklärt, warum Schönheit nachhaltig ist, und formuliert einen Wunsch in Sachen Umverteilung. Von Angelika Drnek

Design und Nachhaltigkeit ist auf den ersten Blick vielleicht nicht die schlüssigste Begriffsklammer. Was macht nachhaltiges Design aus?

Sigi Ramoser: Da lässt sich ein ganz pragmatischer Zugang finden: Man kann ein Produkt so gestalten, dass man etwa möglichst wenig Ressourcen verbraucht. Man könnte für einen Schriftzug ein Schild herstellen – oder ihn gleich auf die Fassade schreiben. Natürliche und recycelte Materialien statt künstlicher. Es geht ums Vermeiden, ums Wiederverwenden. Jedenfalls sollte Material immer hinterfragt werden.

Und wenn wir uns vom Produktdesign ein wenig entfernen?

Dann geht es um Haltung. Mir ist zum Beispiel wichtig, etwas zu gestalten, das langlebig ist. Müsste ich mich entscheiden, würde ich das Buch wählen, nicht den Flyer. Der Architekt Anton Nachbaur sagte einmal, dass Schönheit nachhaltig ist. Weil man etwas Schönes lieber pflegt, erhält, weil man sich wünscht, dass es lange so schön bleibt. Etwas Schönes repariert man doch auch lieber als irgendein „Klump“.

Man könnte also sagen, dass es darum geht, schöne Dinge zu gestalten.

Ja. Ein schönes, funktionelles Ding, das man weitervererben möchte. Etwas, das man erhalten möchte und nicht nach fünf Jahren wegwirft, weil es damals trendig war, jetzt aber langweilt.

Kann man sich Trends verwehren – oder wie lässt sich damit fruchtbar umgehen als Gestalter?

Neues ist spannend – wenn es einen Nutzen hat. Und der sollte immer im Mittelpunkt stehen. Einen Trend bewerte ich dann als negativ, wenn er nur dazu dient, noch mehr Ware auf den Konsummarkt zu werfen. Das ist mir teilweise zu aggressiv. Stichwort Fast Fashion.

Ein Stück Demokratie.
Sägenvier gestaltete 2016 die Fassaden der Übergangspavillons für das österreichische Parlament am Heldenplatz in Wien. 2023 wurden die Gebäude abgebaut und für die Wiederverwendung vorbereitet. Aus den Planen werden stylische Taschenprodukte gefertigt.
einstueckdemokratie.at
Foto Darko Todorovic.

Mussten Sie schon viele potenzielle Auftraggeber enttäuschen und ablehnen, weil das Projekt nicht Ihren Vorstellungen entsprochen hat?

Ich möchte einfach Blödsinn vermeiden. Egal, worum es geht. Natürlich muss ich wirtschaftlich arbeiten, abgelehnt habe ich trotzdem schon einiges. Das ist eine Grundsatzfrage. Ich möchte auch im Geschäft ein Gutmensch im besten Sinne sein. Bei einem Projekt sollte alles passen, nicht nur für die Auftraggeberinnen und Auftraggeber, auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Beispiel. Darauf achte ich möglichst genau. Ich verstehe mich als Dienstleister, als solcher diene ich sehr gerne, aber es muss einfach stimmen. Am Ende für alle.

Woran arbeiten Sie aktuell?

Gerade arbeiten wir an einem Projekt, bei dem es um die einfachere Beschaffung nachhaltiger Baumaterialien geht. Eine spannende Unternehmung von Christine Bärnthaler, die wie ein Trendscout agiert und Architektinnen und Architekten und Bauunternehmen dabei hilft, die besten Materialien zu finden. „Ofroom“ heißt die Webseite. Ein anderes Beispiel für eine Sache, die einfach passt, ist eine Arbeit für Oberscheider Car Wash, für die wir kürzlich erst ausgezeichnet wurden. Das klingt jetzt nicht gerade wahnsinnig nachhaltig, aber die technisch aufwendige Anlage ist so geschaffen, mit so wenig Ressourcen wie möglich auszukommen. Und dass jemand sein Auto waschen möchte, das kann ich vertreten. Ich selbst liebe Autos – eine Welt ohne Autos, die gibt es eben noch nicht.

Inwieweit beeinflusst Design unser gesellschaftliches Miteinander?

Es gibt keinen Tag, an dem wir nicht mit Design konfrontiert werden: Instagram, der Kassenzettel, der Fahrplan der Busse. Man entkommt dem nicht. Für mich ist Gestaltung auch immer eine Art öffentlicher Auftrag, und da geht es darum, möglichst sanft und sinnvoll zu kommunizieren. Nicht unbedingt darum, eine bestimmte Interessensgruppe lästig, penetrant und aggressiv anzusprechen.

Wie meinen Sie das?

Ich meine die Ellbogengesellschaft, die so oft angesprochen wird. Zum Beispiel mit Sprüchen wie „Geiz ist geil“. Das sind Angebote, die immer noch aggressiver werden. Wenn man das weiterdenkt, kommt man irgendwann bei „Wir brauchen die anderen nicht“ an. Auch bei mancher Wahlwerbung ist diese negativ-provokante Rhetorik zu beobachten. Ich wünschte mir, dass die meisten Sonderspezialangebote in den Supermärkten wegfallen. Man sollte die Produkte mit deren Qualitätsbeschreibungen anbieten. Zudem: Die Profitgier hinter einigen Diskontpreisen ist enorm: Die Bauern und Produzenten werden ausgepresst und die Eigentümer einiger Laden-Ketten werden Millionäre. Das würde ich am liebsten verbieten, aber gut, ich weiß natürlich, dass das nur in einer Diktatur möglich wäre, und das wünscht sich kein Mensch. Ein anderer Wunsch ist jener nach einer Art Reichensteuer. Ich wünsche mir, dass ab einem bestimmten Gewinn verpflichtend und direkt gesellschaftlich sinnvolle Projekte unterstützt werden. Schulen, Pflegeheime, Sportzentren, da würde mir noch viel einfallen.

Worauf sind Sie heute noch stolz?

Etwa auf die Marke „VMOBIL“. Jeder weiß, „VMOBIL“ steht für Busse, Züge, Fahrräder. Die Gestaltung ist im ganzen Land sichtbar. Auf das bin ich stolz, aber natürlich habe ich nicht allein daran gearbeitet. Seit 30 Jahren sind wir an diesem Thema dran. Ein anderes Beispiel für eine schöne Idee war die Covid-Impfkampagne „Wir wollen wieder …“. Da ging es um Beteiligung, jeder konnte einen Wunsch deponieren. Und Wünsche zu formulieren, ist mir weitaus lieber, als Behauptungen aufzustellen. Anstatt zu sagen, man sei der Beste, ist es doch vielleicht vernünftiger, einfach nach dem Besten in sich zu suchen. In der Werbung wird viel behauptet, ebenso in der Politik. Dabei würde es auch Politikerinnen und Politikern guttun, Wünsche zu formulieren. Wünsche kann man erfüllen, das gefällt mir.

Was wünschen Sie sich, um ein gutes Leben zu führen?

Entscheidungsfreiheit. Ich rede nicht von Gesetzlosigkeit, es braucht sicher Regeln, aber eine gewisse Freiheit tut den Menschen gut. Der indische Architekt Balkrishna Doshi baute etwa neue Wohnanlagen für ehemalige Slum-Bewohner. Und der ließ den Menschen vor Ort die Freiheit zu entscheiden, wo sie nun ihre Türe und wo ein Fenster haben wollten, ein sozialer Moment. Für den einen geht es im Leben um ein Dach über dem Kopf, um Familie und Freunde, ein anderer geht vielleicht total in seinem Job auf – aber ein Stück Freiheit ist da immer dabei.

Haben Sie sich jemals unfrei gefühlt?

Ja, wenn es am Bankkonto eng geworden ist.

Dann muss man vielleicht auch einmal verzichten. Wie geht es Ihnen mit dem Verzicht?

Das muss man ganz genau definieren. Auf Kultur zu verzichten etwa, das halte ich für nicht gut. Wenn man fremde Länder nur noch digital kennenlernen kann und wir einander auf diesem Planeten nicht mehr besuchen können, dann möchte ich in dieser Welt nicht leben. Aber man darf sich schon fragen: Brauche ich sieben Uhren, zehn Sommerjacken, 18.000 Schallplatten und zig Flugreisen im Monat? Hier macht Verzicht schon Sinn. Aber kann man auf Feste verzichten, auf Hochzeiten, auf Liebe? Immerhin braucht das auch alles CO2.

ofroom Materialbibliothek:
Mit dem Hintergrund aus Architektur und Nachhaltigkeitsmanagement wird kontinuierlich nach Materialien für ein zukunftstaugliches Bauen gesucht. Jedes Produkt wird einer strengen Analyse unterzogen und hinsichtlich seiner Nachhaltigkeit diskutiert.
Foto ofroom


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