SCHÄTZE DER TIEFE
Lukas Meus, Meeresexperte bei Greenpeace, im Interview über die Verschmutzung der Weltmeere und ein UN-Abkommen, das die durch Tiefseebergbau drohenden Gefahren verhindern soll.
Von Anna Greissing
Grüne Meeresschildkröte, Foto Shane Ross, Greenpeace
Die Weltmeere sind von primärer Bedeutung für das Klima auf unserem Planeten. Denn sie speichern rund ein Drittel aller an Land verursachten CO2-Emissionen. Doch laut UN-Berichten sind bereits 40 Prozent der Weltmeere beeinträchtigt: Klimaerhitzung, industrielle Fischerei, Öl- und Gasbohrungen, die Belastung durch Schadstoffe und die fortschreitende Vermüllung vor allem durch Plastik gefährden eines der atemberaubendsten Ökosysteme auf unserem Planeten. Zusätzlich steht die Tiefseebergbau-Industrie kurz davor, Metalle auf dem Meeresgrund abzubauen – mit potenziell verheerenden Folgen für die Tiefsee und ihre Lebewesen, aber auch für das Klima. Greenpeace dokumentiert seit Jahrzehnten die fortschreitende Zerstörung der Weltmeere und setzt sich für ein starkes Hochseeschutzabkommen ein, das gerade von den Vereinten Nationen verhandelt wird und die Grundlage für weltweite Meeresschutzgebiete wäre. Doch die Tiefseebergbau-Lobby ist stark und einige Regierungen, u.a. auch Deutschland, haben bereits Explorationslizenzen erhalten.
Lukas Meus, Meeresexperte bei Greenpeace in Österreich, ist bei den Verhandlungen für das UN-Abkommen dabei.
Inwiefern regulieren die Weltmeere unser Klima?
Die Weltmeere beeinflussen vor allem zwei globale klimaregulierende Prozesse: einen gigantischen Kohlenstoffkreislauf und den Ausgleich von Temperaturschwankungen. Für den Kohlenstoffkreislauf, der in einer Tiefe von 200 bis 1.000 Metern stattfindet, sind mikroskopisch kleine Tiere, aber auch uralte Meeresriesen verantwortlich: Sie transportieren Kohlenstoff von höheren in tiefere Meeresschichten, indem sie ihn in kleinere Partikel aufbrechen oder in Kotpellets „verpacken“, die in die Tiefe absinken. Die winzigen Krill-Krebse z.B. legen Tag für Tag in riesigen Schwärmen beachtliche Distanzen zurück und pumpen dabei unermüdlich Kohlenstoff in die Tiefe. Aber auch Wale bewegen sich von der Wasseroberfläche bis in die Meerestiefen und binden und speichern so Kohlenstoff-Moleküle in ihren Körpern – manchmal sogar über Jahrhunderte, ähnliche wie Bäume an Land. Wenn Wale sterben, sinken sie mit dem gespeicherten Kohlenstoff auf den Meeresboden, wo sie dann wiederum von anderen Meerestieren aufgenommen werden oder im Boden bleiben. Tiefseesedimente sind damit ein wichtiger langfristiger Speicher für den „blauen Kohlenstoff“. Wissenschaftler schätzen, dass stark dezimierte Bartenwal-Populationen heute um 910 Millionen Tonnen weniger Kohlenstoff speichern als vor der kommerziellen Waljagd. Erholende und wieder aufgebaute Walpopulationen könnten jährlich 160.000 Tonnen Kohlenstoff binden und so zum Klimaschutz beitragen. Zusätzlich gelten die Meeresriesen als „Ingenieure“ der Meere. Da sie sich sowohl vertikal als auch horizontal in unterschiedlichen Wasserschichten bewegen, bringen Wale Nährstoffe in ansonsten nährstoffarme Meeresgegenden.
Temperaturausgleichend wirken die Meere über das Wasser: Letzteres hat die Fähigkeit, große Wärmemengen aufzunehmen und diese langsam und gleichmäßig wieder abzugeben und so extreme Temperaturschwankungen auf der Erde auszugleichen. Von der Sonnenenergie, die Tag für Tag unseren Planeten erreicht, nehmen die Ozeane doppelt so viel auf wie Land oder Luft. Je nach Intensität und Dauer der Sonneneinstrahlung und je nachdem, wie viel Süßwasser die Flüsse ins Meer transportieren, variieren Temperatur und Salzgehalt bestimmter Regionen der Weltmeere und damit die Dichte des Wassers. Kaltes salziges Wasser besitzt eine hohe Dichte, ist also vergleichsweise schwer und sinkt in die Tiefe. Warmes Wasser ist leichter und bleibt an der Oberfläche. So entstehen starke Umwälzungen und Strömungen im Meer: Wie gigantische Fließbänder kreisen warme und kalte Wassermassen ständig um die Erde und beeinflussen das Klima auf allen Kontinenten.
In diese für Klima, Mensch und Tier entscheidenden Kreisläufe soll nun bald durch die Tiefseebergbau-Industrie eingegriffen werden. Welche Risiken birgt es, wenn die Ozeane zum Industriestandort werden?
Der Tiefseebergbau wird neben der Gefahr für den blauen Kohlenstoff auch eine Gefahr für die Artenvielfalt darstellen. Die Biodiversität und das Ökosystem Tiefsee sind bisher kaum erforscht. Lebewesen verschwinden, bevor sie der Mensch entdeckt und wissenschaftlich beschrieben hat. Tatsächlich wissen wir mehr über den Mond als über die Tiefsee. Das, was wir jedoch kennen, ist eine faszinierende Schatzkammer tief unten im Dunkeln, wo überraschend viel Leben existiert. Neben einer ungeheuren Artenvielfalt erstrecken sich am Boden der Tiefsee gewaltige Unterwassergebirge mit nährstoffreichen Strömungen. Hier gibt es besonders viel Plankton, aber auch Seefächer, Schwämme und Korallen, von denen manche mehrere tausend Jahre alt sind. Auf dem Meeresgrund befinden sich aber auch große Vorkommen an Kobalt, Kupfer, Nickel und seltenen Erden, die für die Produktion von digitalen Geräten wie Smartphones und Computer verwendet werden.
Die Tiefseebergbau-Industrie will nun diese Metalle abzubauen; 2020 sollen die letzten Rahmenbedingungen für die Industrie ausverhandelt werden. Neben dem Risiko der Freisetzung des in Tiefsee-Sedimenten gespeicherten blauen Kohlenstoffs sind katastrophale und möglicherweise irreversible Umweltschäden an den Abbaustandorten (aber auch darüber hinaus) wahrscheinlich. Denn sobald die Tiefseebagger in der Größe eines Panzers den schlammig-sandigen Boden umpflügen und bei der Knollenernte Gestein zerschmettern, bilden sich lange Zeit gewaltige Wolken aus Bodenpartikeln, in denen Kleinstlebewesen ersticken könnten. Zusätzlich würden Lärm, Vibrationen, Licht und die Beeinträchtigung durch Schiffe andere Tiefseearten verscheuchen. Giftige Stoffe wie Öle könnten aus den Geräten oder bei Unfällen in die Umwelt gelangen und sie verpesten.
Die UN verhandelt schon seit einiger Zeit ein Hochsee-Schutzabkommen, das die Grundlage für die Errichtung von Meeresschutzgebieten auf Hoher See bilden könnte. Wie beurteilst du die Verhandlungen und die Chancen auf ein gutes Abkommen?
Der Tiefseebergbau wird derzeit von der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) reguliert. Obwohl bis heute noch kein Abbau stattfindet, hat die ISA bereits 29 Explorationslizenzen unter anderem an China, Südkorea, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Russland vergeben. Diese Lizenzen umfassen ein Gebiet von rund einer Million Quadratkilometern im Pazifik, Atlantik und Indischen Ozean. Das entspricht ca. einer Fläche elfmal so groß wie Österreich. Wissenschaftler fordern schon seit längerem, dass mindestens 30 Prozent der Meere bis zum Jahr 2030 unter Schutz stehen müssen, damit diese nicht komplett aus dem Gleichgewicht geraten. Tatsächlich ist bislang aber nur rund ein Prozent der Hohen See vor Industrien wie dem Tiefseebergbau geschützt.
Die Vergabe der Lizenzen durch die ISA ist außerdem höchst bedenklich, da die Behörde offensichtlich Konzerninteressen vor Meeresschutz stellt. So hat die ISA bis heute noch keinen einzigen Lizenzantrag für Tiefseebergbau abgelehnt. Ebenso wurden die Lizenzen vergeben, bevor ein Rahmen für Meeresschutzgebiete in internationalen Gewässern vorliegt. Besonders fatal: Die ISA hat ebenfalls bereits Tiefseebergbau-Lizenzen in Regionen erteilt, die ökologisch ex-trem wertvoll sind.
Das zeigt, wie wichtig ein globales starkes UN-Hochseeschutzabkommen wäre. Ende März findet die vierte Verhandlungsrunde statt. Eigentlich sollte es die letzte sein, aber es ist fraglich, ob sich die Staaten auf ein Abkommen einigen können. Nicht zuletzt, weil die ISA selbst ein UN-Gremium ist. Dieselbe Institution, die das Hochseeschutzabkommen beschließen will, ist also auch für die Vergabe der Abbau-Lizenzen zuständig.
Der Tiefseebergbau ist allerdings nur eine von vielen Bedrohungen, denen unsere Meere und alle Meerestiere ausgesetzt sind. Rund 90 Prozent der Fischbestände sind bereits entweder bis an die Grenze gefischt oder überfischt. Plastikabfälle töten jedes Jahr rund 100.000 Meeressäugetiere, denn Tiere wie Schildkröten und Haie landen als Beifang in den Netzen, verwechseln Plastikteile mit Nahrung oder verenden durch Ölunfälle. Wir brauchen somit ein starkes Hochseeschutzabkommen, das unsere Meere endlich schützen kann.