Schwamm drunter
Die Stadt als Schwamm: Um für die veränderten Klimabedingungen gewappnet zu sein, müssen Siedlungsgebiete mehr Wasser speichern. Grafik: Grimm, Murer, Schmidt
Die Schwammstadt soll Stadtbäumen zum Gedeihen verhelfen und Innenstädte kühlen. Realisiert wird das Prinzip bereits in zahlreichen österreichischen Gemeinden und Städten, bald auch in Dornbirn.
Von Sarah Kleiner
Weit ist er nicht mehr, der Sommer, und mit ihm kommen in Zeiten eines sich wandelnden Klimas altbekannte Fragen auf: Wie kann man sich in Städten vor Hitze bewahren und für Abkühlung sorgen? Durch die globale Erwärmung müssen mitteleuropäische Siedlungsräume mit höheren Temperaturen, längeren Dürreperioden und häufigeren Starkregenereignissen rechnen. Urbane Hitzeinseln (UHI) entstehen, in denen aufgrund der dichten Verbauung kein Lüftchen weht und die auch nachts nicht mehr abkühlen. Durch die versiegelten Böden kann Regenwasser nicht in den Boden sickern, die Gefahr für Überschwemmungen steigt.
Überlegungen im Rahmen der „blau-grünen Infrastruktur“ liefern für diese Probleme naturbasierte Lösungen. Im Wesentlichen folgen sie der Idee, Städte und Siedlungen sozusagen in Schwämme zu verwandeln. Das Schwammstadt-Prinzip macht aus versiegelten Flächen einen durchwurzelbaren Raum, der Wasser speichert. So können die Wassermengen bei Starkregen in den Boden sickern und Bäume im städtischen Bereich Kronen ausbilden, die für einen merkbaren Schatten sorgen. Österreichweit gibt es inzwischen rund 80 Projekte, bei denen das Schwammstadt-Prinzip angewandt wird.
„Das Hauptproblem, das Bäume in versiegelten Räumen haben, ist die zu geringe Versorgung mit Bodenluft“, sagt Karl Grimm, Landschaftsarchitekt und Mitglied des Arbeitskreises Schwammstadt, eines Zusammenschlusses unterschiedlicher Planungsbüros und Forschungsstellen. „Die Wurzeln atmen, sie benötigen die Bodenluft, um Stoffwechsel betreiben zu können.“ Weitere zentrale Probleme seien, dass den Bäumen im Boden zu wenig Wasser zur Verfügung stehe und sie nicht ausreichend Nährstoffe fänden. Die meisten Stadtbäume in Österreich werden deshalb nicht älter als 20 oder 30 Jahre.
Beim Schwammstadt-Prinzip wird der Boden unter einer versiegelten Fläche mit Grobschlag befüllt, also mit grobkörnigen Teilchen, zwischen denen sich Hohlräume bilden. In diese wird ein Feinsubstrat gespült, das sich individuell zusammensetzt und die Aufgabe hat, Wasser und Nährstoffe zu speichern. In der Regel besteht es bei österreichischen Anwendungen aus feinem Sand, Kompost und Pflanzenkohle. „Letztere hat die gleiche Funktion wie in tropischen
Landwirtschaftssystemen“, erklärt Karl
Grimm. „Die tropischen Böden sind nährstoffarm, deswegen gibt es zum Beispiel im Amazonasgebiet die „Terra preta“, die sogenannte ‚schwarze Erde‘, in der durch Pflanzenkohle Nährstoffe gebunden werden.“ Die Feinwurzeln, die ein Baum unterirdisch ausbildet und die nach ein bis zwei Jahren wieder absterben, werden innerhalb des Substrats abgebaut und sorgen für neue Nährstoffe.
Der Aufbau der Schwammstadt im Detail. Grafik: Grimm, Murer, Schmidt
Skandinavisches Vorbild
In Schweden werden entsprechende Systeme bereits seit 20 Jahren realisiert. Die Idee geht auf Björn Embrén, einen Baumspezialisten vom Stockholmer Straßenamt, zurück, weshalb die Schwammstadt auch als „Stockholm-System“ bezeichnet wird. Allerdings gibt es einige wesentliche Unterschiede. Einerseits herrschen in Österreich andere Wetterbedingungen, andere Temperaturen; die Zusammensetzung des Feinsubstrats muss dementsprechend angepasst werden. Andererseits sollte man bei der Auswahl der Bäume berücksichtigen, dass nicht alle Arten mit steigenden Temperaturen und längeren Trockenperioden zurechtkommen. Eine weitere Rolle spielen Menge und Qualität des in die Schwammstadt eingeleiteten Wassers.
„In Stockholm sind die Dachrinnen oft oberflächlich über den Gehsteigen montiert“, sagt Daniel Zimmermann, ebenfalls Landschaftsarchitekt und Mitbegründer des Arbeitskreises Schwammstadt. „Das Wasser läuft dann über die Regenrinnen auf die Gehsteige, wo es in eigenen Rinnen geführt wird und entweder weiter in den Kanal fließt oder eben häufig in das Stockholm-System eingeleitet wird.“ In Österreich wird das Regenwasser von den Häusern meist direkt in den Kanal geleitet, „obwohl es von der Qualität her optimal wäre, um es den Bäumen zuzuführen“, sagt Zimmermann. Bei der Einleitung des Regenwassers von Fahrbahnen muss die Reinigung durch Filter und Tiefbeete bei der Errichtung der Schwammstadt mitgedacht werden.
Daniel Zimmermann kritisiert, dass es noch immer bautechnischer Habitus sei, den Bäumen im Boden ähnlich viel Fläche zuzusprechen wie einer Litfaßsäule oder einer Straßenlaterne. „Man hat seit den 1980er Jahren bei straßenbaulichen Maßnahmen vernachlässigt, dass Bäume in ihrer Kronenausbildung etwa denselben Raum auch im Untergrund für die Wurzeln brauchen“, sagt er. „Wenn das in unseren Planungshandbüchern und technischen Richtlinien keinen Niederschlag findet, hat der Baum keine Chance zu überleben.“ Die Schwammstadt sieht er als einen möglichen Ausweg: „Egal, ob eine Stadt oder Gemeinde Probleme mit Starkregenereignissen oder mit absterbenden Bäumen hat – die Schwammstadt ist eine Lösung, von der wir wissen, dass sie funktioniert.“
Vorarlberger Klima-Pionierstadt
Ein Schwammstadt-Projekt, das sich derzeit in Planung befindet, betrifft die Moosmahdstraße in der Dornbirner Innenstadt. Sie soll von der Bahnhofstraße bis hin zur Brücke über die Dornbirner Ach aufgerissen und in Form einer Schwammstadt wieder verschlossen werden. „Wir machen die gesamte Kanalsituation neu, die ist desolat, da müssen wir etwas tun“, erklärt Harald Scherbantie vom Tiefbau der Stadt Dornbirn. Kanalisation, Wärme, Elektrizität – zahlreiche Leitungen verlaufen unterirdisch durch die Stadtböden und konkurrieren um Platz. Das Schwammstadt-Prinzip lässt sich damit vereinen. Im Fall Dornbirns sollen zusätzliche Leitungen für Nahwärme verlegt und die Wasserleitungen erneuert werden, auch die öffentliche Beleuchtung will alte Kabelleitungen austauschen. „Eigentlich greifen wir alles an und haben somit die Möglichkeit, eine Neugestaltung durchzuführen“, sagt Harald Scherbantie.
Der langjährige Projektleiter im Tiefbau begrüßt, dass es konkrete Schritte in Richtung Klimawandelanpassung gebe, er vermisse allerdings die Einbettung in eine übergeordnete Strategie. „Aus meiner Sicht müsste es schneller gehen, wir müssten alles gleichzeitig angreifen“, sagt Scherbantie. „Das betrifft nicht nur den Tiefbau oder die Stadtgärtnerei und die Stadtplanung, sondern es ist ein gesamthaftes Thema.“ Vergangenes Jahr wurde Dornbirn vom Klimaschutzministerium neben neun anderen österreichischen Städten zur Klima-Pionierstadt ernannt, die über zusätzliche Fördergelder darin unterstützt werden, bis 2030 klimaneutral zu werden. Als „Smart Green City“ sei man laut Scherbantie gerade dran, wichtige Messdaten zu sammeln und zusammenzuführen. Die Schwammstadt befindet sich in Planung, mit dem Bau soll 2026 begonnen werden. Das Vorhaben in der Moosmahdstraße ist für Scherbantie nur ein kleiner Teil dessen, was Dornbirn zur Anpassung an den Klimawandel leisten wird, aber: „Es geht in die richtige Richtung.“