Shame on who?
Kolumne von Sarah Kleiner
Manchmal machen sie mich ja wütend, die Nachrichten. Jeff Bezos will eine historische Brücke in Rotterdam abbauen lassen, weil die Masten seiner Segelyacht nicht darunter durchpassen. Und wissen Sie, was „Heliskiing“ ist? Das bezeichnet die Dekadenz, mit dem Helikopter auf den Gipfel eines Bergs zu fliegen, um dann auf Skiern wieder runterzufahren. Die Saison wurde kürzlich vom Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) persönlich verlängert. Nobel geht die Welt zu Grunde.
Studien zeigen, dass je reicher ein Mensch ist, desto umweltschädlicher lebt er. Laut Oxfam-Analyse ist das reichste Prozent der Menschheit (zirka 60 Millionen Personen) für 15 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes verantwortlich. Und dann wird dem kleinen Bürger – dem Pöbel – gesagt, er soll kein Plastiksackerl mehr benutzen, um die chemisch angereicherten Gewächshaus-Tomaten im Supermarkt einzupacken. Und wenn er nach Paris will, soll er sich gefälligst mit seinen kleinen Kindern in den Zug setzen, während etwa 10.000 leere Flugzeuge allein diesen Winter hin- und herdüsten, weil Fluglinien sich Start- und Landeslots sichern wollen.
Ein Gesellschaftssystem, das von einem unkontrollierbaren Wachstumszwang angetrieben wird, kann in einer endlichen Welt keine ökologisch nachhaltigen Formen der sozialen Reproduktion etablieren
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Wir alle müssen an einem Strang ziehen, wenn wir die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels noch abwenden wollen. Aber den breit diskutierten Maßnahmen hierfür liegt ein grundsätzliches Problem zugrunde. Oft und viel wird diskutiert über „das System“, wir müssen “das System” ändern, um die tatsächlich katastrophalen Folgen der Erderhitzung noch abzuwenden. Maßnahmen wie Fleisch- und Flugverzicht werden hierfür nicht reichen, denn was ist „das System“?
Tatsache ist, es wird keinen Ausweg aus der Klimakrise geben, solange nicht der Kapitalismus in seine Schranken verwiesen wird, genauer gesagt: das Kapital. Das hat uns nämlich in diese aussichtslose Lage gebracht. Das Geld wächst uns über den Kopf.
„Ein Gesellschaftssystem, das von einem unkontrollierbaren Wachstumszwang angetrieben wird, kann in einer endlichen Welt keine ökologisch nachhaltigen Formen der sozialen Reproduktion etablieren“, schreibt der Journalist Tomasz Konicz in seinem Buch – oder soll man es eine radikale Abrechnung nennen? – „Klimakiller Kapital – Wie ein Wirtschaftssystem unsere Lebensgrundlage zerstört“. „Das System“ ist der Wahn des ewigen Wachstums.
Es sind die fatalerweise völlig deregulierten und intransparenten Finanzmärkte. Es sind Steueroasen. Es ist die Lüge, dass der eine ein auf willkürlich auftretenden Merkmalen basierendes Recht hätte, ein Millionen- und Milliardenfaches mehr zu besitzen als der andere. Es ist die ungebremste und der unermesslichen Gier des Menschen geschuldete Anhäufung von Dingen, von Sachen, von Nippes, schlicht: Materiellem, von Häusern und Grundstücken, die uns in diese Lage gebracht hat – im Großen wie im Kleinen.
„Nichts bestimmt das Leben der Menschen im Spätkapitalismus stärker als die kapitalistische Ökonomie, deren tautologische Logik oder Geldmacherei, deren zerstörerische Dynamik inzwischen in alle Bereiche der Gesellschaft, selbst in deren Nischen und Subkulturen gekrochen ist“, schreibt Konicz. Das Kapital muss wachsen und wachsen, Jahr um Jahr, und die Menschen müssen mehr und mehr schuften, müssen mehr Rohstoffe aus dem Planeten pumpen, müssen mehr kaufen, mehr wollen, müssen mehr müssen. Die Herrschaft im Kapitalismus ist subjektlos – wir schuften für das Wachstum. Schon Karl Marx, mit dessen Theorien sich Konicz in seinem Buch kritisch auseinandersetzt, hat die „Selbstbewegung“ des Kapitals in seinem Hauptwerk thematisiert. Diese sogenannte Fetischisierung heißt in den Spätkapitalismus übersetzt: wir produzieren für die Müllhalde.
Ein Drittel der Lebensmittel, die am Planeten hergestellt werden, landet im Müll. Wir hecheln solchen Auswüchsen hinterher mit der Reduktion unserer Haushaltsabfälle, mit Biogemüse und Radfahren, mit Recycling und Second Hand, während jährlich so viele neue und unverkäufliche Kleider produziert werden, dass sie nur noch in Müllbergen an afrikanischen Küsten angehäuft werden können.
„Und was ist die Lösung dieses Problems?“, fragen Sie jetzt, völlig zurecht. Es sei allen Kritikern dieses Kommentars vorweggenommen: Die Antwort ist nicht „der Kommunismus“. Und dass die Menschheit die Existenz von Geld – den Besitz – überwindet, ist wohl für viele eine zu weit entfernte Utopie. Die Zukunft muss etwas sein, was noch nie war. Ein erster Schritt dorthin könnte Kontrolle sein. Die Kollektivierung von Produktionsmitteln und die demokratische Kontrolle über die internationalen Finanzströme sind der Möglichkeit, dem Klimakollaps und der Dystopie des Kapitalismus zu entkommen, zumindest zuträglich. Finanztransaktionssteuer, Gemeinwohlökonomie, Umverteilung von oben nach unten – und es gibt noch weitere Möglichkeiten. Essenziell ist, dass jede Reformation „des Systems“ mit breiter gesellschaftlicher Diskussion und Beteiligung verknüpft ist.
Vielleicht fangen wir deswegen auch einfach mal damit an, am Küchentisch zu besprechen, was wir davon halten, dass Jeff Bezos Amazon keine Steuern bezahlt und vergangenes Jahr 1,4 Millionen Retourpakete aus Österreich mit funktionstüchtigen Waren vernichten ließ. Weil solche Schlagzeilen müssen, ja, dürfen, schlicht und ergreifend nicht mehr sein.
Foto Ursula Röck