Sound ist, was wir daraus machen

Bild: Tarek Atoui, 2024. Foto: Miro Kuzmanovic. © Tarek Atoui, Kunsthaus Bregenz
Der libanesisch-französische Künstler Tarek Atoui hat mit Klanginstallationen das Kunsthaus Bregenz erobert. Im Interview erzählt er, was Sound mit uns als gesellschaftlichen Individuen
zu tun hat.
Von Angelika Drnek
Die Ausstellung im Kunsthaus Bregenz ist nicht nur eine Schau zu Musik und Sound, sondern auch eine Einladung zur Übung in Sensibilität. Was können wir lernen?
Tarek Atoui: Es gibt viel zu erleben, etwa eine ganze Reihe von Workshops, die eine Hands-on-Erfahrung zu allen in der Ausstellung gezeigten Ideen und Konzepten ermöglichen. Wirklich wichtig ist mir aber, dass die Menschen sich willkommen fühlen, dass es ein freundlicher Ort ist. Die Installationen sind vielfältig, man kann sich Unterschiedlichstes herauspicken. Es geht mir nicht darum, die Dinge aus nur einem einzigen Blickwinkel zu präsentieren, sondern um Offenheit. Sound kann ganz verschieden wahrgenommen werden, das ist subjektiv, ein intimes Erlebnis. Und gestaltet wird dieses Hörerlebnis von den einzelnen Besucherinnen und Besuchern selbst – von ihren Ohren, Augen, Fingern und Knochen. Mir geht es nicht ums Unterrichten, sondern darum, die Sinne zu schärfen und zu aktivieren. Am Schluss bleiben immer die Fragen: Hören wir einer Soundinstallation zu oder doch uns selbst? Hören wir erst uns selbst zu oder den anderen?
Geht es auch darum, in Kontakt zu treten und sich Zeit zu nehmen, also um das Konzept der Geduld?
Zuallererst muss ich an diesem Konzept arbeiten (lacht)! Ich muss geduldiger werden, aber ja, es gibt diese Idee der Dauer und des Umgangs damit. Bei Sound muss man Zeit investieren, das ist nichts, was sich in einem einzigen Moment erschließt. Wenn man hier durchgeht wie durch eine rein visuelle Ausstellung, wird man einiges verpassen. Doch die Frage, wie viel Zeit man tatsächlich zubringen soll, bleibt offen. Eine der Kompositionen dauert 90 Minuten, aber vielleicht reichen auch nur fünf Minuten. Das ist eine individuelle Entscheidung.
Wie sehr wirkt die Idee der Entschleunigung in Ihre Arbeit?
Speziell während der Covid-Pandemie geriet Entschleunigung in den Fokus der Aufmerksamkeit. Ich sehe das nicht als generelle Notwendigkeit. Wichtig ist nur, das eigene Tempo zu finden. Wenn man langsam unterwegs ist – okay. Wenn man der Welt speedy entgegentritt – auch gut.
Wie wichtig ist Ihnen der politische Impact Ihrer Arbeiten?
Das steht ziemlich weit im Hintergrund. Als Bürger bin ich politisch interessiert, aber ich muss das nicht prominent in meinen Arbeiten zeigen. Ein gutes Beispiel ist „Waters’ Witness“. Eine Arbeit, für die ich Häfen, also politisch aufgeladene, sensible Areale, aufgenommen habe. Ich gebe kein Statement über die Realität dieser Orte ab, weil ich den Sound vorschicke, um als Guide zu fungieren. Man kann das natürlich politisch interpretieren, aber muss man das?
Wie wurde Sound ein so wichtiger Teil Ihrer Arbeit?
Die ungemein große Möglichkeit an Abstraktion hat mich angezogen. Ursprünglich habe ich mich für Literatur, Philosophie und Mathematik interessiert. Als ich den Libanon verlassen habe, um in Frankreich zu studieren, erkannte ich, dass sich all meine Interessen im Sound finden lassen. Der Abstraktionsreichtum macht ihn zu einem Medium, das viele Türen öffnet, zum Somatischen, Psychosomatischen, zum Kollektiven, aber auch zum Sozialen und Politischen, selbst zum Ästhetischen – all das auf einmal. Und der Sound zeigt niemals in nur eine einzige Richtung, wie man Welt begreifen kann.
Wollen Sie mit Ihren Arbeiten neben der Schärfung der Sinne auch die Möglichkeit des geglückten Dialogs in den Fokus rücken – oder anders gefragt: Was macht ein gelungenes Gespräch aus?
In dieser Schau finden sich unterschiedliche Dimensionen, wie sich die Dinge erschließen lassen. Man könnte das sicher als ein Training begreifen, zu empfangen, zu erfassen – mit Offenheit. Das erreicht man, wenn es nicht mehr nur um einen selbst geht. Dann sind wir fähig, empathisch zu agieren, dann sind wir fähig, den anderen zu spüren und ein Stück weit zu verstehen. Das ist alles miteinander verbunden. Die amerikanische Komponistin Pauline Oliveros (1932–2016) war mit ihrem Konzept des „Deep Listening“ und ihrer Improvisationskunst eine Pionierin in diesem Bereich. Das berührt auch alle anderen großen Erzählungen gesellschaftlicher und kultureller Natur.
Sie arbeiten schon lange mit tauben Menschen. Was haben Sie dabei erkannt?
Seit 2012 beschäftige ich mich mit diesem Thema. Es ist eine fundamentale Sache geworden, die mich gelehrt hat, was Sound eigentlich ist und was eine Behinderung bedeutet. Ich nenne taube Menschen tatsächlich taub und nicht hörbehindert, denn sie hören. Zum Beispiel mit ihren Augen. Das Sehfeld tauber Personen ist größer als bei nicht tauben Menschen; die Augen kompensieren. Sie spüren auch Vibrationen, die andere gar nicht mitbekommen, etwa, wenn eine Mineralwasserflasche in einem Raum geöffnet wird. Wenn Hörende Taubheit definieren, geht es oft nur um die Fähigkeit, die menschliche Stimme wahrzunehmen. Dabei gibt es weit mehr als das. Irgendwie und irgendwo sind wir doch alle taub. Selbst wenn wir alle denselben Sound hören, wird er nie identisch für uns alle sein. Das macht uns gleich, denn jede und jeder hat hier eine Stimme, es wirkt nur keine Norm.
Wie sehr hat Sie die Arbeit der Komponisten John Cage und La Monte Young beeinflusst?
John Cage war eine echte Befreiung für mich. Ich habe kein klassisches Instrument gelernt, aber durch Cage hatte ich das Gefühl, trotzdem Musik machen zu können. Auch der Komponist Pierre Schaeffer hatte großen Einfluss – ich dachte, dass alles möglich sei, denn es ging nicht mehr um Virtuosität, sondern um Ideen und Absichten. Cage meinte ja, dass jeder Sound Musik werden könne, solange man diesen mit der Idee der Zeit verbinden würde. La Monte Young und der Musiker Brian Eno haben dann die Idee der Soundschichten verfolgt. Und durch das Arbeiten in Museen habe ich gelernt, dass es auch darum geht, wie Sound dem Empfangenden übermittelt wird. Es steckt etwa viel Poesie und Schönheit darin, dem Nachbarn beim Klavierspielen zuzuhören. Selbst wenn er es nicht besonders gut kann. Etwas Akustisches ist da am Wirken, etwas Vages, Entferntes.
Informationen zur Ausstellung:
Tarek Atoui, Kunsthaus Bregenz. Bis 12. Jänner 2025
kunsthaus-bregenz.at