Standpunkte
Wie schafft man den Spagat zwischen Tradition und Moderne? Was beschäftigt junge Menschen in Uganda? Und was unterscheidet Millennials eigentlich von der Generation Z? Wir haben Expertinnen und Experten gefragt. Von Doris Neubauer
Etienne Salborn
Foto SINA
„Deutscher Abstammung, Ugander im Herzen“: So beschreibt Etienne Salborn sich selbst. Mit SINA (Social Innovation Academy) befähigt der 37-Jährige junge, benachteiligte Ostafrikaner, Sozialunternehmen zu gründen.
Wie sieht die Situation von jungen Menschen in Uganda aus?
Etienne Salborn: Die Bevölkerung ist auf dem Weg, sich innerhalb von 20 Jahren zu verdoppeln. Bereits heute ist es keine Seltenheit, dass sich über 2.000 junge Menschen auf eine einzige ausgeschriebene Stelle bewerben – ein Zeichen für die schwierige Arbeitsmarktsituation. Dass Uganda den weltweit längsten Covid-Lockdown von Schulen erlebte, indem einige für insgesamt knapp zwei Jahre geschlossen blieben, verschärfte das Problem weiter.
Sie engagieren sich aber nicht erst seit Covid-19 in Uganda. Wie kam es dazu?
Alles begann für mich mit dem Zivil-Ersatzdienst in einem Waisenhaus. Die Kinder konnten nach Ende der Grundschule nicht weiter zur Schule gehen. Ich gründete ein Bildungs-Patenschaftsprogramm. 2013 standen wir jedoch vor der Herausforderung, dass die Absolventinnen und Absolventen trotz guter Noten keine Arbeit finden und durch hohe Studiengebühren nicht studieren konnten. In Gesprächen wurde klar: Wir brauchen einen Ort, an dem junge Menschen eigene Arbeitsplätze schaffen und Lösungen zu sozialen Problemen finden. SINA wurde geboren. Seitdem werden benachteiligte junge Menschen und Geflüchtete befähigt, im Sozialunternehmertum nachhaltige Zukunftsperspektiven zu schaffen und sich selbst zu verwirklichen.
Wie machen Sie das?
Eine wichtige Komponente ist die Übernahme von Verantwortung und Rollen zum Erlernen von relevanten Fähigkeiten. Sie kümmern sich um alles, was gebraucht wird, von Buchhaltung, zu Training, Logistik, Öffentlichkeitsarbeit. Jeder übernimmt dynamische Rollen, um seine Fähigkeiten auszubauen.
Ein wichtiges Konzept ist dabei die „freesponsibility“. Was verstehen Sie darunter?
Der traditionelle Ansatz der extrinsischen Motivation, wie Belohnungen und Bestrafungen, schränkt langfristige Ziele und Potenziale ein. Intrinsische Motivation, die auf echter Überzeugung und Wahlfreiheit beruht, ermöglicht es dem Einzelnen, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und Aktivitäten zu verfolgen, die er wirklich schätzt. Je mehr Verantwortung jemand in SINA übernimmt, desto mehr Freiheiten bekommt er. „Freesponsibility“ ermöglicht den Teilnehmenden ihren eigenen Lehrplan zu gestalten und das zu lernen, was für sie relevant ist. Das fördert das persönliche Wachstum, die Entwicklung und das harmonische Zusammenleben innerhalb von SINA.
Für Uganda ist das ein einzigartiger Ansatz …
Ja, in meiner Masterarbeit beschäftige ich mich 2014 intensiv mit dem Bildungssystem in Uganda. Von vielen wird es als starr beschrieben, mit dem Schwerpunkt – wie in Kolonialzeiten –, gehorsame Arbeiter zu produzieren, die eher schwer in der Lage sind, Risiken einzugehen, neue Lösungen zu entwickeln oder Arbeitsplätze zu schaffen.
Apropos neue Lösungen: Womit beschäftigen sich die 71 bisher gegründeten Sozialunternehmen?
Beispiele sind eine mückenabweisende Seife, die gegen Malaria vorbeugt, biologisch abbaubare Trinkhalme aus Gras, der Bau von Häusern aus recycelten Plastikflaschen oder Bodenbeläge aus Plastiktüten und Eierschalen.
socialinnovationacademy.org
Iris Strasser.
Foto Marko Laitinen
Iris Strasser (23) ist Redakteurin bei BAIT, dem Faktencheck-Kanal des Instituts „Digitaler Kompass“ für Jugendliche auf TikTok.
Die WHO warnte 2020 vor einer Flut an Falschinformationen, die weltweit die öffentliche Gesundheit und die Demokratie bedrohen würde. Bei BAIT zeigen Sie der Generation Z, wie sie Fake News entlarven kann. Warum legen Sie den Fokus auf diese Zielgruppe?
Iris Strasser: Fake News sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, das Unsicherheit verbreitet, in gewisser Weise spaltet und uns ausnahmslos alle betrifft. Wir arbeiten mit Jugendlichen als Zielgruppe, weil von ihnen die Zukunft gestaltet wird und eine redaktionelle Gesellschaft (einer Gesellschaft, die journalistische Grundtechniken erlernt hat und Informationen im digitalen Raum selbstständig auf ihren Wahrheitsgehalt untersucht, Anm.) nicht von heute auf morgen entstehen kann.
Wie stellen Sie sicher, die Jugendlichen in ihrer Welt abzuholen?
Mein liebevoller und leicht scherzhafter Titel als „Bindeglied zwischen den Millennials und der Gen Z“ kommt daher, dass wir sehr darauf achten, keinen Content „für“ Jugendliche zu machen, sondern ihn mit ihnen gestalten und von ihnen gestalten lassen.
Wie gelingt das?
Wichtig sind Verständnis, Vertrauen und der regelmäßige Austausch. Für mich steht außerdem das aktive Angebot zur Partizipation: Man könnte via BAIT Jugendbeirat mitreden und seine Themen einbringen oder in der BAIT Academy in vier Modulen lernen und selbst Beiträge gestalten. Da bin ich die erste Ansprechperson und fungiere als Schnittstelle zwischen den Jugendlichen und der Redaktion. Ich bin als jüngstes Teammitglied und 1999-Geborene eine Brücke zwischen Millennials und Generation Z und weiß so ganz gut über Trends und Topics in beiden Generationen Bescheid. Das hilft natürlich auch bei der Themen- und Wortwahl oft.
Was unterscheidet die beiden Generationen generell?
Nuancen. Natürlich sind Millennials mit anderen Trends, Apps und Verhaltensweisen auf Social Media aufgewachsen, auch dem geschuldet, dass Smartphones und Social Media erst in der (teils späten) Jugend aufkamen. Doch in den Trends der Gen Z und den Gründen Social Media zu nutzen, sind klare Parallelen zu finden. Die Gen Z ist tendenziell weniger kamerascheu als Millennials, aber das hat den einfachen Grund der Gewohnheit, und dass Smartphones mit Kamerafunktion für sie nicht revolutionär, sondern normal sind.
Falschmeldungen treffen alle. Haben Sie Tipps, wie man Fake News erkennt?
Ein Grundrezept gibt es nicht, weil jeder Fall individuell ist. Ein guter und schnell umsetzbarer Tipp ist die Bilder-Rückwärtssuche beziehungsweise Google Lens. Die dort angezeigten Links ermöglichen – vorausgesetzt die Wahl der Quelle ist bedacht – weitere nützliche Einordnungen. Ein banaler, aber vor allem in Anbetracht der TikTok-Geschwindigkeit guter Tipp ist es, innezuhalten und ein fragwürdiges Video ein zweites und drittes Mal anzusehen, in seine Einzelheiten zu zerlegen und zu hinterfragen. Das pusht zwar das fragwürdige Video, weil durch das „Rewatchen“ Views verschenkt werden und der Algorithmus die Wertigkeit des Videos heben könnte. Allerdings sind eine persönliche Auseinandersetzung, das Ausbleiben unüberlegter Handlungen, von Unsicherheit oder gar Angst, dieses Risiko allemal wert.
@bait.faktencheck
digitalerkompass.at/bait
Denise Pölzelbauer.
Foto Peter Mayr
1995 war Denise Pölzelbauer 23 Jahre alt und die jüngste Bäckermeisterin Österreichs. 18 Jahre später führt sie die Bäckerdynastie nach ihrer Fasson weiter.
Seit 1930 ist Ihre Familie in der Backkunst verwurzelt. Was hat Sie dazu bewogen, die Bäckerdynastie in der fünften Generation weiterzuführen?
Denise Pölzelbauer: Ich habe mich vorher zur Bürokauffrau ausbilden lassen und erst mit 17 Jahren den Bäckerberuf gewählt. Mit 21 Jahren habe ich dann den Betrieb von meinen Großeltern übernommen. Am Anfang wollte ich ihn nicht, weil ich nicht in der Nacht arbeiten wollte. Mittlerweile sehe ich es als meine Berufung.
In der Nacht arbeiten Sie aber nicht mehr. Wie haben Sie dem Traditionsunternehmen sonst Ihren Stempel aufgedrückt?
Mittlerweile produzieren wir nur noch zweimal pro Woche Brot und Gebäck. Das Hauptstandbein ist das Weingebäck, das ich erfunden habe. Es gab vorher nichts, das mit Wein harmoniert. Dieses Produkt hat andere Märkte eröffnet. Das Brot liefern wir maximal nach Wien, das Weingebäck verschicken wir bis in die Schweiz. Es hat auch vieles im Betrieb
erleichtert. Zum einen hat es eine Haltbarkeit von sechs Monaten. Ich kann es jederzeit produzieren und bin dadurch flexibler. Außerdem brauche ich nicht viele geschulte Bäcker, die es ohnehin kaum noch gibt. Das Weingebäck kann jeder machen. Wir arbeiten zudem mit einem Verein zusammen, wo Menschen in sozialer Betreuung unsere Verpackung produzieren und wir sie zu Backtagen einladen. Die Etiketten hat eine Künstlerin gestaltet. Kurz: Ich kann mich kreativer ausleben.
Sie haben den Betrieb von Ihren Großeltern übernommen. Wie haben diese auf Ihre jugendlichen Ideen reagiert?
Ich habe immer machen können, was ich wollte. „Schau‘s dir mal an“, haben sie gesagt, aber ich habe letztlich immer selbst die Entscheidung gehabt. Sie wussten, dass ich es durchziehe, wenn ich etwas machen will. Sie hatten keine Chance. Manchmal hatten sie recht. Aber wenn du jung bist, musst du auch Fehler machen und dadurch lernen. Der Mensch muss das selbst erleben. Keiner ist perfekt.
Wie sind Sie mit dieser großen Verantwortung umgegangen?
Anfangs musste ich auf Dinge verzichten, die andere in meinem Alter machen konnten: Viel verreisen, mehr weggehen. Mittlerweile habe ich mir mein Leben so eingeteilt, dass es für mich passt. Freiraum und persönliche Freiheit sind mir sehr wichtig.
baeckerin.at