Standpunkte

Die einen finden im „Ländle“ eine neue Heimat, die anderen nehmen typische Vorarlberger Werte mit in die weite Welt. Wir haben Zugezogene, Ausgewanderte und Wiederkehrende über ihre Beziehung zu Vorarlberg befragt. Von Doris Neubauer

Ich zeige, wer ich bin und was ich kann und wie ich bin
Vor 19 Jahren zog die in Tunesien geborene Mabrouka Kridene nach Vorarlberg – in die Heimat ihres Ehemanns. Neben ihrer Tätigkeit beim Verein zur Förderung von Arbeit und Beschäftigung (FAB) in Dornbirn unterstützt sie als ehrenamtliche Dolmetscherin Migrantinnen unter anderem beim Fraueninformationszentrum Vorarlberg (femail).
Wie ist es Ihnen in der ersten Zeit in Vorarlberg gegangen?
Anfangs wollte ich nicht herkommen, sondern dass mein Mann bei mir in Tunesien lebt. Er wollte sich dort selbstständig machen. Das hat aber nicht geklappt. Nach zwei Jahren habe ich gesagt: Okay, dann komme ich eben. Sie werden lachen, aber als ich nach Vorarlberg kam, war das wie Urlaub für mich.
Inwiefern?
Das Wetter hat gepasst. Der Schnee war sehr schön, und Regen mag ich auch. Aber es fehlte etwas: Ich war Stewardess in Tunesien und bin es gewohnt zu arbeiten. Deshalb habe ich mit einem Deutschkurs angefangen und die Möglichkeit genutzt, im Panoramahaus in Dornbirn zu arbeiten. Die elfte Etage dort war wie im Flugzeug: Ich konnte mit Gästen aus aller Welt die Sprache üben.
Heute unterstützen Sie als Dolmetscherin Migrantinnen. Mit welchen Fragen kommen diese zu Ihnen?
Integration ist immer wichtig: Wie kann ich mich integrieren? Wie sehr muss ich mich anpassen? Wie kann ich ich selbst sein? Integrieren heißt für mich, nicht sich anzupassen. Ich zeige, wer ich bin und was ich kann und wie ich bin – und begegne dem Du, wer du bist, was du kannst. Ich motiviere die Frauen, die Sprache zu lernen und eine Ausbildung zu machen. Arbeiten ist so wichtig in dieser Gesellschaft. Auch die vielen Termine und der Papierkram sind eine Herausforderung. Das muss man lernen. Die meisten kommen mit der Zeit super klar.
Sie tragen seit einigen Jahren ein Kopftuch. Werden Sie dadurch anders wahrgenommen?
Überraschenderweise ist die Akzeptanz auf der Straße da. Ich habe trotzdem meinen Job als Dolmetscherin bekommen und bin überall in Spitälern, mit Ärzten, im Rathaus – in ganz Vorarlberg – herzlich willkommen. Da ist das Kopftuch positiv wahrgenommen worden. Nur mit der Flüchtlingswelle 2015 kamen rassistische Aktionen. Da habe ich Aussagen gehört wie „Hau ab von hier, du Syrier!“ Darauf habe ich gesagt: „Pass auf, ich bin auch ein Mensch.“ Bei Veranstaltungen bin ich oft die Einzige mit Kopftuch, da spüre ich Blicke auf mir. Das macht mir aber nichts aus. Ich bin eine sehr moderne Frau: Ich ziehe mich an, wie ich will. Shorts und Kopftuch passen nicht zusammen? Für mich schon!
Ist Vorarlberg mittlerweile Ihre Heimat geworden?
In Vorarlberg fühle ich mich wohl. Das ist meine Heimat. Aber im Hinterkopf ist immer auch Tunesien. Wenn man mich fragt, sage ich, dass ich aus Tunesien komme.

Vorarlberg ist eine meiner zwei Heimaten
Alexander Wostry aus Feldkirch ging als Voluntär nach Tansania und blieb. Mit seiner Frau Janet Maro gründete er die Organisation Sustainable Agriculture Tanzania (SAT), die lokalen Kleinbauern Zugang zu nachhaltiger Landwirtschaft verschafft.
Sie leben seit 2008 in Tansania. Welche „typisch vorarlbergerischen“ Werte haben Sie sich bewahrt?
Geradeheraus, nie zufrieden mit der Qualität, immer auf der Suche nach Verbesserungen. In Tansania ist es manchmal höflicher, nicht ehrlich zu sein, um einen von der Scham zu bewahren. Das ist etwas, bei dem mir immer noch der Puls steigt.
Und umgekehrt, was haben Sie von Tansania gelernt?
Den tiefen Respekt für ältere Menschen. Aber auch die Diskussionskultur, in der jeder zu Wort kommen soll, ist für mich eindeutig der Unsrigen überlegen.
Wie stehen Sie heute zu Vorarlberg?
Vorarlberg ist eine meiner zwei Heimaten. Sie hat mich stark geprägt, weil ich dort aufgewachsen bin. Gerne besuche ich mit meiner Familie einmal im Jahr das schöne „Ländle“, treffe Familie, Freunde, genieße den organisierten Alltag, schmunzle ein wenig über die Gestressten und verbringe viel Zeit in der Natur.
Wie geht es Ihren drei Kindern mit diesen zwei Heimaten?
Alle meine Kinder sind für zumindest acht Monate in Vorarlberg in die Schule gegangen. Sie lieben die österreichische Kultur und fühlen sich pudelwohl in Europa, weil es einige Vorzüge hat – wie zum Beispiel mit dem Fahrrad in die Schule zu fahren oder Zugang zu einer öffentlichen Bibliothek zu haben. Eine gut geführte interkulturelle Beziehung bietet die Möglichkeit, dass man sich das Beste aus den jeweiligen Kulturen heraussuchen kann und dies zum Familienstandard macht. Das passiert an sich automatisch. Man sieht hier, wie flexibel der Mensch ist. Wir sollten alle ein bisschen offener sein, das würde der Welt guttun.
Auch in der Entwicklungszusammenarbeit lernt man, die Einheimischen erst einmal unvoreingenommen zu beobachten. Was raten Sie sonst?
Wenn man erfolgreich sein will, muss es eine faire Kollaboration sein, bei der beide Seiten lernen sollen. Zum Beispiel: Für die eine Seite ist das Effizienz und für die andere eine notwendige Entschleunigung. Jeglicher Mensch, der von Europa nach Afrika kommt und glaubt, er oder sie hat die Weisheit mit dem Löffel gefressen, und glaubt, das Recht zu haben, sich überlegen zu fühlen, ist ein Pharisäer und hat nicht verstanden, in welchen Herausforderungen wir uns im 21. Jahrhundert befinden. Schlussendlich sitzen wir alle auf dem gleichen Planeten, und den gilt es nachhaltig zu nutzen – was uns derzeit nicht gelingt.
Können Sie sich vorstellen, nach Vorarlberg zurückzukehren?
Ich könnte mir vorstellen, meine Pension in Vorarlberg zu verbringen. Das hängt natürlich davon ab, wo meine Kinder leben wollen. Wenn sie sich für Tansania entscheiden, wird mich vermutlich nichts mehr ins „Ländle“ ziehen.

Mit den Jahren im Profisport und jeder Reise habe ich meine Heimat mehr zu schätzen gelernt.
Seit 2017 gehört Elisabeth Kappaurer dem A-Kader des Österreichischen Skiverbands an und zählt in den Disziplinen Riesenslalom und Slalom zu den Top 30 der Welt. Zuhause in Bezau ist die dreifache österreichische Staatsmeisterin nur noch selten. Dann genießt sie die Ruhe des Bregenzerwaldes aber umso mehr.
Sie sind viel unterwegs. Welche Bedeutung hat für Sie Ihre Heimat Vorarlberg?
Als junge Athletin konnte ich es nie erwarten, bei jeder Reise Neues kennenzulernen, immer wieder in schöne, manchmal auch in weniger aufregende Orte zu kommen, Plätze, die sehr weit von zuhause weg sind, zu sehen und mit meiner „zweiten Familie“ oftmals Monate unterwegs zu sein. Mit den Jahren im Profisport und jeder Reise habe ich meine Heimat aber mehr zu schätzen gelernt. Es sind die Kleinigkeiten, die Heimat ausmachen. Ein freundliches „Hallo“, wenn ich in Bezau bekannten Gesichtern begegne, meine Familie vor Ort zu haben und den Leistungsdruck einmal für ein paar Stunden hinter mir zu lassen.
Wie sieht Ihr Alltag in Bezau aus?
Mein Zuhause habe ich in Bezau, Trainingsstützpunkt aber im Olympiazentrum in Dornbirn. Dort spule ich nicht nur meine täglichen zwei Trainingseinheiten ab, sondern auch Therapien, Regenerationsmaßnahmen und nicht selten, nach getaner Arbeit, verbringe ich gerne noch Zeit mit meinen Freunden. Am liebsten bin ich aber in den Bergen Vorarlbergs unterwegs. Egal ob Sommer oder Winter, die Berge geben mir Energie, dort tanke ich Kraft für die kommenden Aufgaben. Und es gibt nichts Besseres als die Kässpätzle im Bregenzerwald, Marillenknödel im Hotel Schwanen oder Riebel bei meiner Mama.
Sie wurden bereits zum dritten Mal österreichische Staatsmeisterin. Wie fühlt es sich an, „für Vorarlberg“ zu gewinnen?
Staatsmeisterschaften sind für uns spezielle Rennen. Den ganzen Winter über vertreten wir Österreich, nur bei den Meisterschaften im Frühjahr treten wir für unser Bundesland an. Ich kann mich noch gut an meine ersten Staatsmeisterschaften erinnern. Das einzige Rennen, bei dem ich als junge Athletin gegen Topstars wie Marlies Schild (jetzt Marlies Raich, Anm.), Eva-Maria Brem, Alexandra Daum oder auch Niki Hosp antreten konnte. Da ist die Motivation natürlich groß. Genau das versuche ich den jungen Vorarlberger Mädels weiterzugeben, ihnen ein Vorbild zu sein, wenn es um Durchhaltevermögen geht.
Aufgeben war für Sie trotz schwerer Verletzungen und Rückschläge nie eine Option. Woher kommt diese Resilienz?
Hätte ich schon am Tag meiner Verletzung gewusst, was auf mich zukommen wird, wäre ich wohl nicht den Weg als Profisportlerin gegangen. Gut, dass ich zwischen den Rückschlägen immer wieder Erfolgserlebnisse verzeichnen konnte. Meine Verletzungszeit habe ich genutzt, um mich zum Beispiel im Radrennsport zu versuchen oder ein Praktikum in der Volksschule zu machen. So habe ich mich immer weitergehangelt, bis ich wieder auf meinen zwei Brettern gestanden bin. Da wusste ich, warum ich so hartnäckig war. Ich wollte Skifahren und war mir sicher, ich habe noch nicht alles gezeigt, was in mir steckte. Ein bisschen positive Vorarlberger „Sturheit“ gehörte da auf jeden Fall dazu.
Welche Ziele haben Sie für die neue Saison?
Mein größtes Ziel ist, dass ich gesund und schmerzfrei meiner Leidenschaft nachgehen kann. Schmerzfrei ist auch das Stichwort. Im Frühjahr wurde der Nagel aus meinem Schienbein entfernt. Das letzte Andenken an meinen schweren Unfall 2019. Jetzt stehe ich das erste Mal seit damals schmerzfrei auf Skiern. Ich glaube, dass die Reise noch weiter nach vorne gehen kann. Ich bin bereit. Meine Beine auch.