Stimmen des Waldes

Conrad Amber und Peter Feuersinger in der ORIGINAL-Redaktion. Fotos Cornelia Hefel

Der Wald ist im bergigen Westen Österreichs nicht nur wichtiger Holzlieferant, er übernimmt auch essenzielle Schutzfunktionen. Die beiden Wald-Kenner Conrad Amber, selbsternannte „Stimme der Bäume”, und Peter Feuersinger, langjähriger Forstinspektor, diskutieren im Interview, was sich in Vorarlbergs Wäldern ändern muss, um für klimatische Veränderungen gewappnet zu sein und wo sie selbst am liebsten die Waldluft genießen.

Von Sarah Kleiner

Offensichtlich wissen viele nicht, wie man sich in einem Wald richtig verhält.

Herr Amber, Sie halten Vorträge und machen geführte Wanderungen durch Wälder. Sie plädieren für ein achtsames Naturverständnis. Haben die Menschen sich zu weit vom Wald entfernt, physisch wie emotional?

Amber: In Vorarlberg hat die Art, wie wir mit der Natur umgehen, verschiedene Hintergründe und mit der Übernahme von Traditionen zu tun, die man oft nicht hinterfragt. Wir wollen alles im Griff haben, die Dinge sauber und ordentlich halten. Natur ist aber nicht vorhersehbar. Ich höre bei meinen Vorträgen oft von Kindheitserlebnissen, in denen ein Baum vorkommt. Fast immer enden sie mit dem Satz: „Aber den Baum gibt‘s nicht mehr“. Er wurde umgehauen, weil das Haus verkauft wurde, weil er keine Äpfel mehr brachte, weil er immer Laub abwarf, Dreck machte, et cetera. Die Achtsamkeit vor der Natur ist schon etwas verloren gegangen. Menschen gehen in die Wälder, was an sich eine gute Sache ist, aber lassen dort Müll zurück. Offensichtlich wissen viele nicht, wie man sich in einem Wald richtig verhält.

Herr Feuersinger, Sie stehen als Forstinspektor im ständigen Kontakt mit Waldbesitzern – ist die Vermüllung ein großes Problem?

Feuersinger: Grundsätzlich muss ich den Menschen schon ein positives Zeugnis ausstellen. Unsere Wälder sind nicht verdreckt. Als ich ein Kind war, waren die Wälder teilweise tatsächlich noch Müllhalden, da hat man Kühlschränke und Autos entsorgt. Natürlich gibt es heute auch restriktivere Gesetze und den entsprechenden Vollzug. Aber ich stimme auch zu, dass es besser sein könnte.

Welches Zeugnis stellen Sie den Vorarlberger Wäldern aus?

Feuersinger: Mein Verantwortungsbereich sind die Bezirke Bregenz und Dornbirn und dort betreiben wir im Wesentlichen naturnahe Waldbewirtschaftung. Wir haben viel Plenterwald, der mit der natürlichen Regeneration des Waldes arbeitet. Es wird nahezu nichts aufgeforstet, sondern das, was die Natur sät, in den nächsten Bestand hinaufgezogen. Dadurch, dass wir mehrschichtig aufgebaute Wälder haben und diese gut durchmischt sind, sind sie relativ gut gewappnet für klimatische Veränderungen wie Trockenheit oder Hitze. Sie weisen eine hohe Resilienz und Stabilität auf. Letztere braucht man auch, wenn es stürmt. Wenn Krisen passieren, richten sie schon Schäden an, aber sie fallen eher gering aus.

Vor allem Fichten-Monokulturen, wie man sie in Ostösterreich oft findet, sind anfällig bei Stürmen und Schädlingen. Wie steht es um die Vorarlberger Fichtenwälder?

Feuersinger: In den höheren Lagen, wo die klassische Plenterung nicht möglich ist, findet man die natürlichen Fichtenwälder. Das Problem bei diesen ist, dass durch die Klimaerwärmung der Borken-käfer nach oben wandert, in die früher stabilen, weil standortgerechten Fichtenwälder, und dort massive Schäden anrichtet. Das ist gefährlich, weil es unsere Lawinenschutzwälder sind. Den größten Sanierungsbedarf haben wir derzeit deshalb in den höheren Lagen. Nicht zuletzt, weil wir in diesen Wäldern unsere größten Wildprobleme haben.

Wir probieren derzeit intensiv die assistierte Migration von Bäumen aus.

Amber: Der Plenterwald funktioniert nur, wenn er mit einem wald-verträglichen Wildbestand einhergeht, das heißt Schalenwild, das Pflanzen, Bäume und Rinden frisst. Wir haben einige Talschaften und Regionen mit einem viel zu hohen Wildbestand. Die hohe Wilddichte sorgt dafür, dass kaum Jungwald überlebt, weil Rinde und junge Bäume verbissen werden, sodass sie eingehen. Da ist die Verantwortung bei der Jägerschaft zu suchen, die natürlich möglichst viele und möglichst kapitale Geweihe schießen und möglichst viel Fleisch aus dem Wald holen will.

Das heißt, die Jäger sorgen für eine zu hohe Wildpopulation?

Amber: Die Jagd wird in manchen Talschaften ähnlich einer Gatter- oder Gehegejagd richtig zelebriert. Da wird auch Kraftfutter gefüttert, da sorgt man dafür, dass möglichst alle – viel zu viele Tiere – den Winter überleben und das wirkt sich auf den nachwachsenden Jungwald aus. In manchen Talschaften fehlen ganze Baumgenerationen. Die Überalterung des Schutzwaldes ist tatsächlich ein Jagdproblem. Ich bin strikt gegen die Winterfütterung, selbst in Notzeiten. Man müsste zulassen, dass im Winter Wild verhungert oder stirbt. Das ist ein ganz natürlicher Prozess, aber ein unpopulärer Standpunkt.

Die Verjüngung der Wälder ist also ein wichtiges Anliegen, aber wie steht es um die Baumarten? Im Bregenzer Stadtwald steht die älteste Douglasie Österreichs, die Baumart ist gut für die neuen klimatischen Bedingungen geeignet – welche noch?

Feuersinger: Die Douglasie kommt aus dem Gebiet der Rocky Mountains, da hat man im Sommer drei Monate Trockenheit und das macht sie für uns interessant. Unsere Bäume sind nicht ausgelegt auf Temperaturen über 30 Grad. Der Alpenraum ist schon über 1,5 Grad wärmer geworden, 3 Grad werden es sicher. Der Buchenwald wird höher hinaufgehen, aber Lawinenschutzwälder mit Buchen sind keine gute Idee, weil sie kein Laub im Winter tragen. Wir brauchen also Nadelhölzer in unseren Lawinenschutzwäldern. Wir probieren derzeit intensiv die assistierte Migration von Bäumen aus. In anderen Regionen gibt es Bäume von der gleichen Baumart, aber in anderen genetischen Variationen, die besser mit Hitze und Trockenheit klarkommen, zum Beispiel die kalabrische Weißtanne oder die Weißtannenvariationen aus Bulgarien und Rumänien. Die heimische Tanne kreuzt sich mit diesen und der Genpool wird dadurch entsprechend erweitert.

Amber: Grundsätzlich ist es empfehlenswert, das Repertoire vorhandener Bäume auszuschöpfen. Biologisch gesehen wäre es sinnvoll, allerdings entstehen dann viele Wälder, deren Holz nicht so einfach nutzbar ist. Wir haben das Problem, dass man die meisten Laubbaumarten nicht als Wert- oder Bauholz nutzt, sondern meistens nur die Nadelholzbestände wie Fichte und Tanne.

Laut EU-Waldstrategie sollen Ökosystemdienstleistungen vergütet werden, um Einkommensverluste durch einen reduzierten Holzverkauf für Waldbesitzer auszugleichen. Welche Dienstleistungen werden zu wenig gewürdigt?

Feuersinger: Die zentralen Ökosystemdienstleistungen in Vorarlberg betreffen den Schutz vor Naturgefahren. Wir sind ein Gebirgsland und haben Wälder, die „funktionieren“ müssen. Die kann man nicht zusammenbrechen lassen und schauen, was passiert, da muss man den Waldbesitzern helfen. Wenn ich einen Hektar Lawinenverbauung künstlich baue, bin ich mit der Teuerung bei einer Million Euro Kosten. Investitionen in den Wald sind ein Bruchteil davon. Ein Thema ist auch die Bereitstellung von sauberem Wasser. Plenterwälder haben keine großen Kahlflächen, das ist für ein Wasserschutzgebiet ideal. Grundsätzlich wird in der Förderschiene der Ländlichen Entwicklung die Plenterwaldbewirtschaftung gefördert, aber mit einem zu geringen Betrag. Da muss man sich überlegen, was es wert ist, solche Wälder zu erhalten, und Anreize schaffen.

Im Bereich des Ökolandbaus konnte man mit EU-Strategien und Förderungen auch eine Bürokratisiserung beobachten, die manche Betriebe überfordert. Besteht diese Gefahr auch beim Wald?

Feuersinger: Ja, schon. Der Antrag auf Förderungen aus der Ländlichen Entwicklung ist zehn Seiten lang und sehr kompliziert. Ohne Hilfe der Waldaufseher können Waldbesitzer diese Förderanträge oft nicht richtig ausfüllen. Da muss eine Entbürokratisierung her. Man hat die Anträge wegen missbräuchlicher Verwendung dieser Gelder komplizierter gemacht und mehr Kontrollen eingeführt. Das trifft jetzt die Kleinwaldbesitzer mit 20 Festmeter Holz genauso wie die großen Agrarfirmen, die aber Personal für solche Sachen haben.

Erholung ist ein Mehrwert, den der Wald bringt und der unbezahlbar ist. Deshalb abschließend die Frage: Haben Sie einen Lieblingswald?

Amber: Ich kann mich nicht entscheiden. Je natürlicher der Wald wirkt, umso lieber bin ich in ihm. Und da gibt es schon einige Flächen bei uns in den Bergtälern, aber es gibt auch einen Auwald, wo ich immer wieder abtauche. Ich freue mich immer, wenn man natürliche Kreisläufe sieht, wenn Bäume umstürzen, sich Totholz bildet, wenn Jungwald entsteht. Das ist in einem naturbelassenen Wald viel offensichtlicher.

Feuersinger: Ich bin selbst Waldbesitzer und habe meinem Sohn, als er zehn oder elf war, ein Stück davon übergeben. Ich sagte ihm, das ist jetzt sein Wald und ich würde ihm helfen, ihn entsprechend zu bewirtschaften – aber naturnah. Dann hatten wir bei einem Baum die schöne Diskussion, rausnehmen und verkaufen oder stehen lassen? Er hat gefragt, wie viel Geld er dafür kriegen würde, dann hab ich gesagt, 50 Euro etwa – aber du nimmst dem Specht die Wohnung. Der Baum steht heute noch. Mein Sohn hat später Forstwirtschaft studiert, heute ist er 22. Da ist mir klar geworden, wie wichtig es ist, wie wir unsere Kinder prägen. Und wie die Naturliebe sich später weiterentwickeln kann.


FACTS
Etwa ein Drittel der Fläche Vorarlbergs ist mit Wald bedeckt, das entspricht fast 100.000 Hektar. Die verbreitetsten Baumarten sind Tanne, Buche, Fichte und Bergahorn. Etwa zwei Prozent der österreichischen Waldfläche werden als Plenterwald bewirtschaftet. Dabei handelt es sich um einen Mischwald mit Laub- und Nadelbaumarten unterschiedlichen Alters. Durch eine einzelstammweise Bewirtschaftung, bei der nur einzelne Bäume entnommen werden und gezielt Jungbäume im Wald gesetzt werden, wird eine Verjüngung und Durchmischung erzielt. Plenterwälder zeichnen sich durch hohe Baumkronen aus, das Nebeneinander unterschiedlicher Wurzelsysteme stabilisiert den Boden.


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