Stromabwärts

Der leise Weg zum Wein
Text und Fotos von Jürgen Schmücking

Ein neues Weingut in Tschechien, ein Pop-up mitten in den Weingärten von Arbesthal, eine ganze Region, die im Weinbau auf Bio umstellt und ein Fotoshooting bei einem befreundeten Winzer am Wagram. Das war der Plan für eine Tour Ende Juli. Dafür hat mir Volvo ein nagelneues Elektroauto zur Verfügung gestellt. Unsere Beziehung musste sich erst entwickeln, der Volvo ist ein solider Bolide mit mächtig Schmalz unter der Haube. Oder wo halt immer die Motoren sitzen. Wir hatten gemeinsam ziemlich viel Spaß und eine feine Zeit mit großartigen Menschen und Begegnungen.

Tag 1: Die Übernahme
Die Übernahme war kurz und schmerzlos. Nach zwei Minuten saß ich im Wagen, drei Minuten später war mein iPhone mit dem Auto verbunden und aus den Boxen klang „Visible World“ von Jan Garbarek. Cooler Sound, ein guter Start. Eigentlich sollte ich am Abend auf Schloss Gobelsburg sein. Michael Moosbrugger, der Leiter des Weinguts feierte dort Geburtstag, seinen eigenen und auch den des Weinguts. Letzteres ist runde 850 Jahre alt. Entsprechend feierlich wäre auch der Anlass gewesen. Mit Blick auf meinen Energiestatuts realisiere ich, dass ich das nicht schaffen werde. (An dieser Stelle: nachträglich alles Gute zum Geburtstag, lieber Michael. Wir werden das Anstoßen und die Verkostung nachholen. Ich freue mich darauf.)

Ich nutze die Zeit an der ersten Ladestation, um mich von einem E-Profi in Sachen Ladestationsmanagement beraten zu lassen und merke, dass ich diesbezüglich ein ziemlich unerfahrener Rookie bin. Und dass es klüger gewesen wäre, sich etwas früher darum zu kümmern. Egal. Am Ende des Gesprächs bin ich Kunde einer Ladestationencompany, habe eine neue App am Handy und einen Plan, wie ich am nächsten Tag von Tirol ins Carnuntum komme.

Tag 2: Stromabwärts
Nach zehn Stunden Reisezeit bin ich in Arbesthal angekommen, das Verhältnis Fahrzeit zu Ladezeit etwa fifty-fifty. Alex Stranig begrüßt mich herzlich. Sein Pop-up „Franz von Grün“ liegt mitten in der Kellergasse von Arbesthal. Die Tische stehen im Freien, links und rechts sind Weingärten, hinter den Tischen brennt ein Feuer, um das ein paar Liegestühle aufgestellt sind. Es gibt Tapas, genauer gesagt „Tapas around the World“, Häppchen aus verschiedenen Regionen. Je nachdem, wie viele Gerichte man probieren will, heißen die Menüs „Kurzstrecke“ (drei Gänge), „Langstrecke“ (vier Gänge) oder „Weltreise“ (sämtliche Gänge. Das sind sieben). Mit dabei: ein herrlich aromatisches Ceviche – eine Hommage an Südamerika, Gyoza mit Blutwurst (teilweise japanisch), das Lamm kam als Souvlaki (Griechenland lässt grüßen).
Am Schluss kam der Reindling. Der musste sein, weil der Alex Kärntner Wurzeln hat. Es war der letzte Abend eines drei Wochen währenden Pop-ups. „Franz von Grün“ wird danach wieder zur Eventlocation. Aber irgendwann wird in der Kellergasse auch wieder gekocht werden. Das sollte man dann nicht verpassen.

Tag 3: Kobylí
Mein Ziel an diesem Tag ist ein Weingut und liegt in der tschechischen Region Mähren. Im Auto läuft immer noch Garbarek, „Rites“ aus dem Jahr 1998. Schiebedach auf. Sonnenbrille. Fahrtwind.
In Kobylí empfangen mich Daniela und Robert Tichy vom Weingut Filiberk. Ein großes Tor, dahinter ein kleines Paradies mit Garten und einem Bach, der durch den Grund fließt. Absolute Stille. Es sind die Weingärten von Danielas Vater, die die beiden bewirtschaften. Trotzdem sind sie Quereinsteiger. Daniela ist Pharmazeutin und arbeitet auch immer noch in ihrem Beruf, Robert hat Wirtschaft studiert. Ein paar Kilometer von Kobylí entfernt hat Johannes Gutmann die tschechische Außenstelle von Sonnentor gegründet. Gegründet, denn aufgebaut und geleitet hat sie Robert Tichy. Er war Gutmanns Mann in Mähren. So lange, bis einerseits der Laden lief und andererseits die Arbeit am Weingut so intensiv wurde, dass Robert sich entscheiden musste. Er entschied sich für Filiberk, das Weingut, und es war eine gute Entscheidung.
Zum Sortiment gehören Ausnahmeweine, die sich stark an der Stilistik österreichischer Weißweine orientieren. Kristallklar, knochentrocken, blitzsauber und mineralisch. Das Sortenspektrum umfasst Grünen Veltliner, Welschriesling, Sauvignon Blanc und Zweigelt. Sogar Neuburger (Neuburské auf Tschechisch) haben sie im Programm. Noch dazu einen von der richtig guten Sorte. Nussig und straff. Genau, wie er sein soll.
Robert, der Winzer, will mir die Weingärten zeigen. Nichts lieber als das.

Zu Mittag stellt Daniela zwei köstliche – in Sauvignon Blanc gegarte – Seebrassen auf den Tisch. Danach noch einige Weine der Premium-Linie verkostet (auch hier wieder sensationelle Qualitäten vom Grünen Veltliner und Sauvignon Blanc) und den Abend in einer riesigen Pension verbracht, die irgendwann einmal eine Ferienunterkunft von Parteibonzen aus der CSSR-Zeit gewesen sein muss. Die Frage nach einer Ladestation an der Rezeption hätte ich mir sparen können. Der Blick des alten Rezeptionisten oszillierte zwischen verblüfft, verwirrt und belustigt. Egal, ich habe noch Strom genug, um nach Wien zu kommen.

Tag 4: Karma
Mittlerweile hat sich in unserer Beziehung ein Muster entwickelt. Der Volvo bekommt Strom von den besten, stärksten und schnellsten Ladestationen des Landes. Doch während er seinen Akku im Eiltempo wieder auf volle Leistung bringen lässt, schaue ich durch die Finger. Denn so super diese Lade-Hotspots auch sind: kulinarisch gesehen sind sie in der Regel ein Super-GAU. Sie liegen immer an Autobahnraststätten, und dort hat die OMV und ihre grausliche Kettengastronomie das Sagen, oder ein Landzeit-Restaurant. Was keinen Unterschied macht. Nur die Auswahl ist größer.
In Wien war‘s andersrum. Während der Volvo an einer öffentlichen Ladestation (in diesem Fall mit deutlich weniger als 20 Kilowattstunden) hing, durfte ich eine traumhaft kühle Gazpacho und eine herrliche Burrata mit gegrillten Weingartenpfirsichen beim Joseph in der Landstraßer Hauptstraße genießen. Nach zwei Stunden Pause hatte der Volvo-Akku zwar gerade einmal um vier Prozent mehr als davor, aber genug Strom, um wieder ins Carnuntum zu kommen. Dort wartete bereits Johannes Trapl auf mich. Der erste biodynamische Winzer der Region.

Tag 5: Die jungen Bio-Römer
Johannes Trapl hat nur den Anfang gemacht. Ich besuche sechs Winzerinnen und Winzer an diesem Tag, die im Carnuntum in den letzten Jahren auf biologischen Weinbau umgestellt haben. Das Weinbaugebiet ist zwar klein, die Zuwachsraten bei den biozertifizierten Rebflächen aber beispiellos in Österreich. Das war nicht immer so.
Bis vor wenigen Jahren waren Hans Artner und seine Bioweingärtnerei Artner sowie sein Nachbar, das Weingut Hofschneider die einzigen Betriebe, die die Bio-Fahne im Carnuntum hochgehalten haben. Hofschneider seit genau 20 Jahren, die Artners noch länger. Das hat sich geändert. Der schon erwähnte Johannes Trapl ist Mitglied im Demeter-Bund, die Weingärten von Dorli Muhr in Prellenkirchen, von Robert Payr in Höflein oder auch vom Weingut Glatzer oder dem Nepomukhof in Göttlesbrunn sind biozertifiziert. Und die Weine können sich sehen lassen. Ich koste (der Volvo bleibt offline) über 50 Weine an diesem Tag.
Einige davon werde ich lange in Erinnerung behalten. Dorli Muhrs „Liebkind“ zum Beispiel: Der „Ried Kobeln“ aus Prellenkirchen – jener Lage, in der das Bio-Abenteuer der Winzerin seinen Anfang nahm. Ein Wein von unfassbarer Eleganz und Finesse. Oder – ganz andere Baustelle – der Grüne Veltliner „Karpatenschiefer“ von Johannes Trapl. Ein maischevergorener Veltliner, der mit viel Nuss und Mandarine, mit Würze und Feuerstein überzeugt. Angelika Pimpel-Artner präsentiert zurecht stolz ihre eigene Linie „Angelika Bodentreu“, während ihr Vater, der Bio-Pionier, Hans Artner einen beherzten Griff in sein Kuriositätenkabinett macht und den „Schnürlwein“ aus dem Jahr 1997 herausholt. Eine edelsüße Essenz mit Substanz und Geschichte.
Ich spaziere durch die Weingärten des Nepomukhofs und koste mich mit Hanna Glatzer durch ihre kompakten und tiefgründigen Weine.

Sie sind auf einem guten Weg, die Winzerinnen und Winzer im Carnuntum. Mit den Weinen waren sie das allerdings ohnehin schon immer. Jene von Robert Payr aus Höflein sind zum Beispiel begnadete Langstreckenläufer. Kurz vor meiner Reise bekam ich in Tirol zu einem Lammgericht einen „Spitzerberg“ (2008) serviert und war beeindruckt von der noblen Reife des Weins.

Tag 6: Stromauf- und heimwärts
Es geht wieder zurück. Die Donau entlang stromaufwärts, dann weiter westlich und Richtung Tirol. Am Heimweg noch ein Stopp am Wagram. Ein Besuch bei Daniele Vigne und Toni Söllner vom Bioweingut Söllner. Eine lange vereinbartes Fotoshooting. Am Ende lade ich noch ein paar Marillen und eine Kiste Wein dort ein, wo bei anderen Autos der Motor sitzt. Im Auto läuft mittlerweile Rammstein, meine Strategie, um bei längeren Strecken wach zu bleiben. Außerdem fahre ich in der Nacht (also bei wenig Verkehr) durch Deutschland. Beste Bedingungen, um die Kraft der 400 Pferdestärken einmal auszureizen. Was er nämlich verdammt gut kann, der Volvo, ist beschleunigen. In vier Sekunden ist er auf 100, in noch einmal vier auf 200. Ein bisserl unreif, ich weiß. Musste aber sein. 

Weingärtnerei Artner, Göttlesbrunn
bioartner.at
Filiberk, Kobylí
filiberk.com
Weingut Glatzer, Göttlesbrunn
weingutglatzer.at
Franz von Grün, Göttlesbrunn
franzvongruen.at
Weingut Dorli Muhr, Prellenkirchen
dorlimuhr.at
Weingut Nepomukhof, Göttlesbrunn
nepomukhof.at
Weingut Robert Payr, Höflein
weingut-payr.at
Weingut Söllner, Gösing am Wagram
weingut-soellner.at
Weingut Johannes Trapl, Stixneusiedl
johannestrapl.com

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