Theos Welt

Ein Tag auf der Alpe Stongen

Text und Fotos von Jürgen Schmücking

Über die Alpe Stongen in Bezau erzählt man sich eine Geschichte. Irgendwann, vor langer Zeit kamen zwei Bettler des Weges. Sie klopften an die Tür der Alpe und baten um ein Stück Butter. Die Sennen und Küher waren draußen, beim Vieh. Der Einzige, der im Haus war, war der Pfister (Pfister ist eine alte Bezeichnung für den Bäcker), und der dachte nicht daran, den armen Gesellen von der Butter zu geben. Die beiden – keck, wie sie waren – schlichen sich bei ihm vorbei und machten sich im Keller an der Butter zu schaffen. Der Bäcker wurde zornig, entsann sich, dass im Haus ein kleines Buch mit Bannsprüchen herumlag, blätterte darin und bannte die beiden Bettler an den Butterstollen. Als die Sennen von der Weide zurückkamen, sollten die beiden armen Teufel von der Butter befreit werden. Nur konnte der Pfister zwar den Bannspruch vorlesen, hatte aber keine Ahnung, wie der Bann aufzuheben sei. Zur Lösung des Problems wurde ein Kapuzinerpater aus dem Kloster in Bezau gerufen, der die beiden Bettler befreite. Der Pfister musste versprechen, das mit dem Bannen in Zukunft bleiben zu lassen. Ihm wurde zwar eine drakonische Strafe auferlegt, letztlich wurde aus ihm noch ein tüchtiger Senn. Heute ist die Alpe Stongen einer der gastfreundlichsten Orte, die man sich vorstellen kann. Ein zauberhafter Platz, an dem großartiger Käse gemacht wird, Gäste und Wanderer stets willkommen sind und prächtig bewirtet werden. Wir haben uns einen Tag lang davon überzeugt.

Man kann natürlich mit der Seilbahn auf den Berg fahren. Die Talstation befindet sich am Ortsende von Bezau, von der Bergstation geht es dann über die Niedere Höhe, vorbei an den Alpen Stoangerhöhe und Schreibere. Die Alpe Stongen liegt in einer leichten Senke am Fuß der Stongerhöhe, gleich hinter ihr eine wildromantische Moorlandschaft, das Stoanglermoos, in dem der Grebenbach als kleines Rinnsal entspringt und dann weiter unten in die Bregenzer Ache mündet. Es ist fast ein mystischer Ort, an dem man ankommt, wenn man die Alpe Stongen besucht.


Oben angekommen begrüßt mich zuallererst ein fröhlicher Bub. Etwa zwölf Jahre alt, wacher Blick und quicklebendig. Es ist Theo. Er verbringt seine Sommerferien auf der Alpe, hilft mit, wo er kann und wo er gebraucht wird. Theo wird an diesem Tag nicht von meiner Seite weichen. Er wird mir die Alpwirtschaft erklären, mich holen, wenn es in der Käserei interessant wird und mich mitnehmen, wenn er die Schweine füttert. Theo zeigt mir heute seine Welt.

Davor noch ein Frühstück. Am Tisch steht eine große Kanne Filterkaffee, ein Humpen mit frischer Milch und eine Pfanne Riebel. Beim Frühstück lerne ich auch Nicole Steurer und Mathias Giselbrecht kennen. Ein junges Paar, das sich für das Älplerleben entschieden hat und das im Sommer in den Bergen genau drei Dinge tut: Käse machen, Schweine füttern und Gäste bewirten. Mit allem, was dazugehört. Mathias, der Senn, ist gelernter Zimmermann. Nicole studiert Wirtschaft. Ihre ersten Erfahrungen mit den Kühen und dem Käsen haben sie vor ein paar Jahren ein paar Hügel weiter gemacht. Auf der Alpe Hintere Niedere, wo sie vom erfahrenen Senner lernten.

Die Sonne strahlt an diesem Herbsttag vom Himmel. Ich drehe mit meiner Kamera eine Runde um das Alpgebäude, entdecke eine Bank, lasse meine Gedanken abschweifen – bis ich Theos Stimme höre. In der Sennerei geht es langsam los. Im Kessel ruht schon länger die Milch, bevor Mathias mit ruhigen, gleichmäßigen und kräftigen Bewegungen die Käseharfe durch den Bruch zieht. Später kommt Nicole dazu. Sie wirken dabei wie ein eingespieltes Team, das bei der Arbeit nicht vieler Worte bedarf. Das Spannen des Tuchs, das Einsammeln des Käsebruchs aus dem Kessel, das Verknoten der Tuchenden. Jeder Handgriff sitzt. Zur Abstimmung reicht oft nur ein kurzer Augenkontakt, eine Geste, eingespieltes Handwerk.

Nicole und Mathias käsen in der Regel zwei oder drei Laibe am Tag, auch heute sind es zwei. In den Verkauf werden sie rund um Weihnachten gelangen. Etwa zwei Drittel des Bergkäses werden direkt vermarktet. Ein Teil davon geht an die Endverbraucher, ein anderer wird an Vertriebspartner geliefert, etwa die SPAR-Filiale in Langen oder verschiedene Metzgereien in der Region. Ein Drittel der Produktion ist für einen großen Partner bestimmt. Im Gegensatz zu dem halben Jahrtausend, dass die Alpe Stongen seit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung bereits am Buckel hat, ist ALMA zwar nur ein Juniorpartner, das bezieht sich allerdings wirklich nur auf das reine Alter. Immerhin ist ALMA seit stattlichen 100 Jahren ein Förderer der Vorarlberger Alpwirtschaft und als Organisation wie als Begriff untrennbar mit dem Vorarlberger Bergkäse verbunden.

Wenn die Laibe gepresst und fertig sind, wird – Theo ist wieder zur Stelle – die Sennerei gereinigt. Mit einem Wasserschlauch wird auch noch der letzte Milchtropfen aus der kleinsten Spalte gespült. Dies erledigt, steht die Fütterung der Schweine an. Theo erklärt mir den Zusammenhang und den Ablauf: „Beim Käsen entsteht Molke, mit dieser Molke füttern wir die Schweine, am Schluss werden sie geschlachtet.“
Danke, Theo, so ist das also. Der Bub nimmt mich mit in den Schweinestall. Er zeigt mir das Rohrsystem, das die Molke aus der Sennerei direkt in den Stall leitet, nimmt einen Schlauch und füllt die Tröge. Die Almschweine haben sichtlich Vergnügen am köstlichen Mahl. Theo lässt sie danach noch aus dem Stall ins Freie, bevor er gemeinsam mit Mathias die Kühe und Ziegen auf die Weiden begleitet.
Theo ist ein Junge mit einem besonderen Interesse. Er wohnt in der gleichen Gemeinde wie Nicole Steurer und Mathias Giselbrecht und besucht die Talenteschule Doren. Den Kontakt zu den beiden Älplern hat ein gemeinsamer Bekannter hergestellt. Theos Interesse für die Landwirtschaft ist groß, und während andere Kinder ihre Sommerferien im Schwimmbad verbringen, zieht es ihn auf die Alpe.
Dort schwimmt der Käse jetzt im Salzbad, das Vieh grast auf der Weide, die Käserei ist sauber und bereit für den nächsten Tag. Das Tagwerk auf der Alpe Stongen ist größtenteils erledigt und auch die Sonne verabschiedet sich langsam. Für mich ist es Zeit, aufzubrechen.


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