Top, die Wette gilt!

Können Haushalte, die bisher in ihrer Mobilität auf Autos gesetzt haben, auch ohne auskommen? Diese Frage will ein Wiener Projekt mit einer Wette auf die Probe stellen. Die Idee dazu entstand im Bürgerbeteiligungsprozess der Wiener Klimateams.
Von Naz Küçüktekin
„Es ist sehr schön zu sehen, dass nicht alles umsonst war“, sagt Michael Karg sichtlich stolz, wenn er darüber spricht, was sich in den vergangenen zwei Jahren so getan hat. Der 57-Jährige ist Softwareentwickler und wohnt seit 2005 im 18. Wiener Gemeindebezirk Währing. Die Gestaltung und Zukunft seines Grätzels liegen ihm seit jeher am Herzen. Er überlegte nicht lange, als bekannt wurde, dass die Wiener Klimateams auch in seinem Bezirk umgesetzt werden sollten. „Als ich erfuhr, dass man selbst Ideen einbringen kann und es sogar ein Budget gibt, war ich sofort dabei“, erinnert sich der Währinger. Sein Bezirk war einer von dreien, in denen das Projekt 2023 startete.
Die Initiative der Stadt Wien ist Bestandteil der „Smart City Strategie“ und einer der Ansätze, die „Menschen in den Mittelpunkt stellen“. Bei den Wiener Klimateams geht es darum, dass Bürgerinnen und Bürger mitdenken und mitentscheiden, wie städtische Klimastrategien entwickelt werden.
Das Projekt „Wiener Klimateams“ läuft in vier Phasen ab: Bürgerinnen und Bürger reichen zunächst Ideen ein, online oder per Einreichkarte. Alle Haushalte in den teilnehmenden Bezirken werden auch per Postzusendung über ihre Möglichkeiten informiert. Sind die Ideen eingelangt, prüfen städtische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Umsetzbarkeit und konkretisieren die Vorschläge in gemeinsamen Treffen. Die finale Auswahl trifft dann eine Bürgerjury. Das Budget beträgt 20 Euro pro Bezirksbewohner. Die Jury-Mitglieder werden aus der Bevölkerung ausgelost, um eine breite gesellschaftliche Diversität zu erreichen.

informieren sich zum Klimateam
und erfahren, wie sie ihr Grätzl
mitgestalten können. Foto: Christian Fürthner

53 Projekte umgesetzt
2022 startete der Pilotversuch. Im ersten Jahr waren die Bezirke Margareten, Simmering und Ottakring beteiligt, 2023 folgten Floridsdorf, Mariahilf und Währing. Seit 2024 ist das Projekt aus der Testphase heraus und läuft nun als fest implementierte Maßnahme in regelmäßig wechselnden Bezirken. Aktuell sind es Alsergrund, Meidling und Rudolfsheim-Fünfhaus.
Insgesamt wurden seit Projektbeginn 2.400 Ideen eingereicht, von denen 53 bereits umgesetzt wurden. Darunter auch eine Idee von Karg, dessen Grundgedanke es war, ein Bewusstsein für Mobilitätsformen abseits des Autos zu schaffen. Unter dem Motto „Frei vom Auto“ setzte das Projekt „Nachhaltige Mobilität – So geht’s in Währing“ eine Initiative für großflächige Aufklärung um. Währingerinnen und Währinger wurden dabei über Alternativen zum Auto informiert, um Strecken im Alltag zu bewältigen.
In Kooperation mit den Wiener Linien hat die Stadt Wien diese Idee aufgegriffen – und geht dabei sogar noch einen Schritt weiter als reine Bewusstseinsbildung. Das Motto „Frei vom Auto“ soll mit dem im Jänner 2025 verkündeten Projekt in ganz Wien umgesetzt werden – zumindest für eine bestimmte Zeit. Wie das Ganze funktioniert?
Die „Autowette“
In Form einer Wette. Der Wetteinsatz: das eigene Auto. Haushalte, die bei der „Wette“ mitmachen, müssen von Mai bis Juli 2025 ihr Fahrzeug in der Garage stehen lassen. Dafür erhalten sie im Gegenzug über eine Prepaid-Karte ein monatliches Mobilitätsbudget von 500 Euro – und damit die Möglichkeit, alle anderen Mobilitätsangebote auszuprobieren.
Im Trend würde das Vorhaben jedenfalls liegen. Bereits seit 2015 gibt es mehr Jahreskartenbesitzerinnen und -besitzer der Wiener Linien als angemeldete Autos. In 18 Wiener Bezirken ging die Anzahl der Autos im Vorjahr laut der Mobilitätsorganisation VCÖ zudem zurück. Die Zahl der Pkw pro 1.000 Einwohnerinnen und Einwohner liegt in 13 Bezirken unter 400.
Was genau Menschen dazu bewegt, ihre Mobilitätsgewohnheiten zu ändern, darüber soll die „Autowette“ auch Aufschluss geben. Das Projekt wird während seiner Laufzeit von der Universität für Bodenkultur Wien wissenschaftlich begleitet. Das Tracking der insgesamt 40 Haushalte, 20 davon in Währing, erfolgt dabei mithilfe einer App. Weitere Daten und Erfahrungen werden auch über qualitative und quantitative Befragungen gesammelt. Dadurch kann festgestellt werden, welche Motive hinter dem jeweiligen Mobilitätsverhalten stehen. „Natürlich wollen wir auch Alternativen zum eigenen Pkw schmackhaft machen, wie etwa die Öffis oder Sharing-Angebote. Wir glauben nämlich nicht, dass ein eigenes Auto in der Stadt wirklich notwendig ist, und wollen das auch unter Beweis stellen“, erklärt Alexandra Reinagl, Geschäftsführerin der Wiener Linien, das Ziel des Projekts. Die Teilnehmenden wurden mithilfe wissenschaftlicher Begleitung ausgewählt, um eine möglichst breite Streuung über die gesamte Bevölkerung abzubilden.
Grenzen der Beteiligung
Karg sieht die Ausweitung des Projekts als großen Erfolg: Es zeige nicht nur, dass seine Idee funktioniere, sondern auch, dass Bürgerbeteiligungsprozesse, wie sie bei den Wiener Klimateams umgesetzt werden, größere Veränderungen inspirieren können. Auch wenn Beteiligungsprozesse Herausforderungen mit sich bringen: „Natürlich wird die eigene Idee nie zu 100 Prozent umgesetzt. Man muss Kompromisse eingehen“, gibt Karg zu. Das größte Problem: Wer sich denn überhaupt beteiligt – und wer nicht.
„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich oft Menschen beteiligen, die ohnehin schon recht engagiert sind“, sagt Karg. Bei Initiativen wie den Klimateams grenze man zudem auch Menschen aus, indem man sich auf Klimamaßnahmen beschränke. „Aber gerade bei solchen Themen wäre es wichtig, auch Menschen an Bord zu holen, die sonst nicht dabei wären“, betont Karg. Seine Erfahrung spiegelt auch die Studie „Mehr zusammenbringen“ des Instituts „Foresight“ wider, die 2024 herausgegeben wurde und sich mit wirksamer politischer Beteiligung in Wien befasst. Laut dieser kennen Wienerinnen und Wiener im Durchschnitt nur fünf der 13 erfassten Beteiligungsangebote. Rund 60 Prozent haben bisher an keinem Angebot teilgenommen. Häufig genannte Gründe dafür sind Zeitmangel, fehlende Information und die Einschätzung, dass die Beteiligung nicht politisch wirksam sei.
Gründe, die Karg gut nachvollziehen kann. Bis auf die Wirksamkeit. Von der ist der Währinger überzeugt und: „Überall, wo es Sinn ergibt, sollten Bürgerinnen und Bürger trotz der Limitationen einbezogen werden.“
Weitere Informationen: klimateam.wien.gv.at