Toxische Tempel

Kolumne von Sarah Kleiner

„Komm, mach mit bei meiner ,daily skin care routine‘!“, frohlockt die Influencerin auf der Social-Media-Plattform in ihrem neuesten Video und beginnt, sich diverse Tinkturen, Cremes und Make-up-Produkte ins Gesicht zu pappen. Hautpflege ist ja das Wichtigste überhaupt, also abgesehen von gesunder Ernährung und Sport. „Mein Körper ist mein Tempel“, sagt die Influencerin, und der soll schön aussehen – zumindest von außen. Wirft man nämlich einen Blick ins Innere des Tempels, so wird die Doppelbödigkeit des Gesundheitstrends sichtbar:

Wir machen an dieser Stelle einen Ausflug in die unschöne Welt der Chemikalien. Die Umwelt-NGO „Global 2000“ hat vor einigen Monaten gemeinsam mit dem Europäischen Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN Europe) europaweit Stichproben von Oberflächen- und Grundwässern genommen und sie auf ihre Schadstoffbelastung hin untersucht. Auch zehn Proben aus österreichischen Flüssen wurden getestet. Das Ergebnis: In allen wurden PFAS nachgewiesen.

PFAS ist eine Abkürzung für per- und polyfluorierte Chemikalien. Die Gruppe umfasst nach Schätzungen mehr als 10.000 unterschiedliche Stoffe, die in zahlreichen Produkten zum Einsatz kommen. Viele stehen dabei im Verdacht, fruchtbarkeitsschädigend und krebserregend zu sein, manche stuft die EU deshalb als „besonders besorgniserregend“ ein. Außerdem sind diese Chemikalien bioakkumulierend, das bedeutet, sie reichern sich in der Umwelt und im Körper an, was ihnen den unrühmlichen Namen „forever chemicals“ einbrachte.

Eingesetzt werden sie bei Industrieprozessen, wie bei der Herstellung von Computerchips oder bei der Bearbeitung von Metall, aber auch in Alltagsgegenständen wie Wandfarben, Schuhen, Teppichen, Verpackungen, (Outdoor-)Kleidung und beschichteten Pfannen. Die Stoffe haben begrüßenswerte Eigenschaften: Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend, andere hitzeresistent. Auch in Make-up, Shampoos und zahlreichen anderen Kosmetikprodukten wurden PFAS schon entdeckt. Der weitreichende Eintrag in die Umwelt findet aber insbesondere über die Verwendung von PFAS-Pestiziden statt. Das heißt, sie sind auch im Essen, Obst und Gemüse.

PFAS sind bereits in den entlegensten Gebieten der Erde nachweisbar, zum Beispiel in den Polarregionen oder in der Tiefsee. Auch im menschlichen Blut und in der Muttermilch wurden sie nachgewiesen.

Aber gut, widmen wir uns noch kurz einem anderen Stoff: dem Formaldehyd, das aufgrund seiner konservierenden Wirkung in Kosmetika eingesetzt wird. Dieses stuft die EU tatsächlich als krebserregend ein. Seit 2019 ist es in Kosmetika eigentlich verboten, nicht aber die sogenannten Formaldehydabspalter, die über einen längeren Zeitraum Formaldehyd freisetzen können.

Ein alter Hut sind da die hormonell aktiven Bisphenole und Weichmacher im Kunststoff. Erstere werden bei der Herstellung von Polycarbonaten (PC) sowie in Epoxidharzen und Thermopapier verwendet und dienen als Stabilisatoren bei der Produktion von Polyvinylchlorid (PVC). Letztere werden genutzt, um die stabilen Kunststoffe dennoch weich und flexibel zu machen. Und von den giftigen Stoffen in unserer Kleidung wollen wir gar nicht erst anfangen.

Zusammengefasst: Unsere Umwelt im industrialisierten Zeitalter ist vollgepackt mit diversen Schadstoffen, die uns krank machen können. Derzeit versucht die Forschung im Rahmen der Untersuchung von sogenannten „Cocktail-Effekten“ herauszufinden, wie all diese Substanzen in unseren Körpern zusammenwirken.

Ein wahrer Gesundheitstrend müsste also weit über Hautpflege- und Ernährungstipps hinausgehen. Und Sachen sagen wie zum Beispiel: Saugen Sie Ihre Wohnung so oft wie möglich und wischen Sie die Böden – die Chemikalien, die die Alltagsgegenstände um Sie herum freigeben, sammeln sich im Hausstaub. Achten Sie bei Reinigungsmitteln auf die Inhaltsstoffe – insbesondere dort ist das Bewusstsein für giftige Chemikalien noch gering. Verbannen Sie Plastikfolien und -behälter mit den Recyclingcodes 3 (Polyvinylchlorid), 6 (Polystyrol) und 7 (andere Kunststoffe) aus Ihren Küchen. Glas und Edelstahl sind die Materialien der Wahl. Ersetzen Sie Ihre beschichtete Pfanne durch eine aus Keramik. Verbannen Sie unnützen Plastikkram und Elektrogeräte aus der Wohnung.

Und das Wichtigste: Scannen Sie jedes Körperpflege- und Kosmetik-Produkt vor dem Kauf mit einer Inhaltsstoffe-App wie „CodeCheck“ oder „ToxFox“, um sicherzugehen, dass Ihr Duschgel oder Ihr Make-up Ihnen nicht schadet. Achten Sie auf Umweltsiegel und lesen Sie nach, welche Schadstoffe dadurch im Produkt verboten sind.

Das alles wird freilich nicht genügen, um Ihr Inneres zu einem blitzeblanken Tempel zu machen, aber es kann die Chemikalienbelastung in Ihrem Haushalt und Ihrem Körper deutlich senken.


Sarah Kleiner lebt und arbeitet als Journalistin in Wien und absolviert zurzeit bei „Global 2000“ im Rahmen des EU-Projekts „ChemBee“ eine Ausbildung zur Chemikalien-Botschafterin.


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