Triest

Caffè degli Specchi auf der Piazza Unità im Regen.

Zwischen mitteleuropäischer und mediterraner Identität
Text und Fotos von Georges Desrues

Von Triest weiß man oft nicht, ob es sich um die südlichste Stadt des Nordens handelt oder um die nördlichste des Südens. Wenn im Winter der Fallwind namens Bora mit über 120 Stundenkilometer durch die steilen Straßen fegt, im Yachthafen die Boote peitscht und die gefühlte Temperatur weit unter den Gefrierpunkt drückt, fühlt man sich ohne Zweifel im Norden. Dann ist es Zeit, sich an einer Jota zu wärmen, an dieser kuriosen und deftigen Suppe aus Sauerkraut, Bohnen, Kartoffeln und Geselchtem.

Wenn sich aber, häufig schon tags darauf, das Wetter beruhigt und der Wind gelegt hat, der Himmel sein tiefstes Blau hervorkehrt, die Wintersonne auf der spiegelglatten Adria glitzert und die Café-Terrassen wärmt, dann ist man eindeutig im Süden – und es lockt statt der Jota das Brodetto, jene tomatisierte Suppe aus Fischen und Meeresfrüchten, die rund um die Adria verbreitet ist.

Genau wie ihre Geschichte und ihr gesamtes Wesen ist auch die Küche der Hafenstadt geprägt von der Zerrissenheit zwischen Norden und Süden, zwischen mitteleuropäischer und mediterraner Identität. Aber auch zwischen Osten und Westen, an deren politischer Grenze man hier jahrzehntelang lag, mit starken Einflüssen aus dem Balkan einerseits und aus dem nahen Venedig andererseits.
Sauerkraut, Geselchtes, Zwetschkenknödel und Gulyás zählen gleicherweise zum kulinarischen Erbe Triests wie Spaghetti alle Vongole, wie marinierte Sardellen oder frittierte Tintenfische. Aber auch wie die Cevapcici, wie die Krautrouladen Sarma, die Maissuppe Bobici oder Mehlspeisen wie Gibanica, Presnitz oder Pinza.

Schon in der warmen Jahreszeit zeigen sich Küste und Hinterland lange nicht so lieblich wie anderenorts in Italien, wie etwa an der Amalfi-Küste oder der Riviera dei Fiori. Es wachsen hier kaum Palmen und es blühen auch keine Zitronen. Und südländischeres Flair findet man selbst im nördlicher gelegenen Udine. Im Winter wirkt die Stadt noch um ein Stück weniger italienisch. Doch für viele ist das auch jene Zeit, in der ihr wahrer Charme am deutlichsten zum Ausdruck kommt. Jene melancholische, bisweilen schwermütige Atmosphäre nämlich, die sie so stark abhebt vom ansonsten so lebensfrohen und sonnengefluteten Italien. Und die so viele Schriftsteller inspirierte, die die Stadt hervorbrachte oder die in ihr lebten.

Darunter Italo Svevo, Umberto Saba, James Joyce und in jüngerer Vergangenheit Claudio Magris. Also sitzt man wie sie in einem der klassischen Kaffeehäuser wie dem Tommaseo, dem Degli Specchi oder dem San Marco und betrachtet durch die Fenster die von Wind und Wetter leergefegten Straßen. Oder spaziert dem grauen Meer entlang, wo große Dampfer auf Reede liegen. Wagemutigere zieht es hinauf in den kargen Karst, wo die eine oder andere Osmiza, die lokale Spielart der Buschenschank, ausgesteckt hat und den Wanderer mit Wein, Prosciutto und Salami vorm wärmenden Kanonenofen erwartet.

Art-Déco Juwel: Die Stazione Marittima

Es ist auch die Zeit, die sich am besten eignet, um die zahlreichen Kirchen, Tempel und die kleinen, aber interessanten Museen der Stadt zu besuchen. Wie etwa das Museo Revoltella mit den prächtigen Repräsentationsräumen des namengebenden Barons. Oder die mächtige Synagoge, eine der größten der einstigen Habsburgermonarchie. Oder das Schloss Miramare mit seiner düsteren Atmosphäre, von dessen Balkonen schon Kaiserin Sissi melancholisch aufs Meer blickte.
Aber auch die beklemmende Risiera San Saba, ein Konzentrationslager, wo viele der einst zahlreichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde auf ihre Deportation warten mussten. Besonders empfehlenswert ist ein Spaziergang durch den Alten Hafen, ein weitläufiges Gelände aus der Zeit der Österreicher, in dem man sich zwischen etlichen Ruinen, rostenden Kränen und Kanonenröhren bisweilen wie in einem dystopischen Science Fiction Film fühlt. Touristen wird man in der kalten Jahreszeit nur wenigen begegnen. Und Kreuzfahrtschiffen überhaupt keinen. Zumindest letzteres ist ein weiteres, schlagendes Argument, um im Winter nach Triest zu reisen.


TIPP FÜR DIE ANREISE:

ÖBB Rail Tours bietet folgendes
Package an:

Anreise ab/bis Wien nach Triest
Bahnfahrt 2. Klasse nach Triest und zurück auf allen von den ÖBB betriebenen Strecken
2 Nächtigungen inkl. Frühstücksbuffet im Hotel Centrale ****
z. B. 28.11. hin, 30.11. retour
Preisbeispiel pro Person im Doppelzimmer: 243,-. Verlängerungsnacht: 43,-
Buchungsinformation:
Rail Tours Touristik GesmbH
E-Mail für Buchungen: 
info@railtours.oebb.at


Wohin in Triest

Kaffeehäuser


Caffè San Marco
Legendäres und prachtvolles Literaten-Café mit Original-Einrichtung vom Beginn des 20. Jahrhunderts und angeschlossener Buchhandlung. caffesanmarco.com

Caffè Tommaseo
Ältestes Kaffeehaus der Stadt in Ufernähe, seit wenigen Monaten unter neuer Führung.caffetommaseo.it

Caffè degli Specchi
Großes historisches Café mit enormer Terrasse am inoffiziellen Hauptplatz Piazza Unita, das als „Wohnzimmer von Triest“ gilt. caffespecchi.it

Caffè Torinese
Prachtvoll designtes kleines Café aus dem Jahr 1919 im Stile Liberty (einer lokalen Mischung aus Jugendstil und Art Déco), zentral und dennoch etwas ungünstig an einer stark befahrenen Straßenkreuzunggelegen. Die jungen Betreiber haben das Angebot um eine Auswahl an gepflegten Cocktails erweitert, die Vielen als die besten der Stadt gelten. anticocaffetorinese.ts.it

Triester Buffets
Einfache, Beisel-ähnliche Lokale mit deftiger Küche, die am besten vormittags beziehungsweise mittags besucht werden, wenn der Beinschinken noch dampft und das Brot knuspert. Nicht in allen gibt es Fisch.

Da Pepi
Ein Monument und Wahrzeichen der Stadt. Serviert werden ausschließlich Fleischgerichte, darunter auch gekochte Füße, Ohren oder Schnauze vom Schwein. buffetdapepi.it

Siora Rosa
Alteingesessenes Lokal mit täglich frischem Beinschinken im Brotmantel und auch sonst sehr ansprechender Küche. Piazza Hortis 3

Da Giovanni
Uriges Buffet in sehr zentraler Lage mit Riesen-Mortadella. trattoriadagiovanni.com

Da Roby
Sympathisches Lokal im Zentrum mit gepflegtem Mittagstisch. buffetdarobytrieste.it

L’Approdo
Belebtes Buffet nahe der Markthalle mit großer Weinauswahl. buffetapprodo.it

Da Gildo
Gestandene Küche zu erstaunlich niedrigen Preisen im lokaltypischen Ambiente. Via Valdirivo, 20

Fischlokale

Osteria Salvagente
Frischer, lokaler Fisch und sensationelles Preisleistungsverhältnis in einer urigen Osteria. facebook.com/OsteriaSalvagente

Al Nuovo Antico Pavone
Gutbürgerliches Fischlokal gegenüber vom Ruderclub im Charme der 1980er Jahre.
nuovoanticopavone.it

Trattoria Nerodiseppia
Moderne Einrichtung, ambitionierte Küche, frischer und vorwiegend lokaler Fisch.
trattorianerodiseppia.com

Tavernetta al Molo
Bürgerliches Restaurant in zauberhafter Lage im nahen Ort Grignano mit hervorragendem Fisch und freundlichem Empfang. (Erreichbar auch mit der Buslinie 6 und in den Sommermonaten per Passagierboot.)
tavernettaalmolo.it

Osteria del Vento
Gestyltes Lokal im Supermarkt Eataly mit tollem Ausblick und Terrasse sowie gepflegter Küche (auch Fleisch und Pizza).
eataly.net

Pier in der Marina San Giusto
Sensationelle Lage zwischen Fischer- und Segelbooten in Zentrumsnähe. Leider ist die Küche nicht die beste, dafür gibt es hippe Cocktails. marinasangiusto.it/ristorante

Heurigen und Buschenschanken
Genau wie bei ihren österreichischen Pendants geht der Ursprung der Triestiner Buschenschänke auf ein Dekret des einstigen gemeinsamen Kaisers Josef II. zurück. Welche dieser sogenannten Osmize gerade ausgesteckt haben, erfährt man im Internet auf osmize.com

Gelateria

Gelateria Soban
Beste Gelateria der Stadt, vorzügliches Eis ausschließlich aus frischen und bisweilen lokalen Zutaten wie etwa Safran aus Istrien. Und in der Weihnachtszeit einen Panettone, der zu den besten weit und breit zählt.
gelateriasoban.com

Pasticceria

La Bomboniera
Prachtvolle historische Konditorei, die ausschließlich (!) im holzbefeuerten Backofen bäckt. pasticcerialabomboniera.com


Noch mehr über Triest. Unsere Empfehlun

Georges Desrues, Erich Bernard
Triest für
Fortgeschrittene

192 Seiten
ISBN 978-3-222-13668-9
Styria Verlag, 2021


Tipp aus der Redaktion

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