Unterirdische Wälder am Rande der Wüste – Eine Offenbarung
Die ausgedehnten Savannen in der Sahelzone. Baum- und Buschwerk in allen Größen bewahrt die Savanne vor der Wüste, vor Sandstürmen, schattenloser Hitze und dem Absinken des Grundwassers. Doch selbst wenn nur Wurzelwerk bleibt, treibt dies aus und kann wieder zu Bäumen werden.
Begrünungsbewegungen in der Sahelzone: Zwischen Projektion und Welterrettung. Tony Rinaudos Lebenswerk und Volker Schlöndorffs Erzählung. Von Robert Fabach
Volker Schlöndorff, der Regisseur und Oscar-Gewinner von 1980, widmet seinen jüngsten Film „Der Waldmacher“ dem Lebenswerk des australischen Agrartechnikers Tony Rinaudo, der seit 1984 gemeinsam mit afrikanischen Bauern eine simple Technik des Baumschnitts praktiziert und verbreitet. Dank seiner Passion blühen ganze Regionen wieder auf. Tony Rinaudo wurde 2018 für sein Engagement mit dem Alternativen Nobelpreis geehrt. Im Dialog zwischen Schlöndorff und Rinaudo werden im Film die Abgründe und unglaublichen Möglichkeiten eines Kontinents exemplarisch ausgeleuchtet und reflektiert.
„Wenn die Wälder verschwinden, verschwinden das Wasser, die Fische und das Wild, verschwinden die Ernten, die Herden und vergeht auch die Fruchtbarkeit. Dann tauchen alle uralten Plagen still und heimlich wieder auf – Flut, Dürren, Feuer, Hunger und Seuchen.“ Richard St. Barbe Baker, London, 1943 (ein internationaler Waldschützer und Vorbild Rinaudos, eigene Übersetzung, Anm.)
Wirklichkeiten und Projektionen
Die Bilder, die von Geographen und Kaufleuten, Eroberern und Wissenschaftlern, Filmemachern und Reportern vom globalen Norden Afrikas erzeugt wurden und werden, sind eindrücklich. Stellt man sie jedoch nebeneinander, beginnen sie zu flirren, werden scheinbar widersprüchlich, unvollständig und produzieren neue Fragen und immer vielfältigere Bilder. So entwickelte sich auch die Recherche zum Lebenswerk von Tony Rinaudo zu einem Kaleidoskop von Wirklichkeiten und Projektionen. Großartige Errungenschaften überlagern sich mit Sehnsüchten und Visionen anderer Kontinente.
Rinaudos Methode: FMNR – Farmer Managed Natural Regeneration
Volker Schlöndorff fasst die Geschichte Tony Rinaudos im Presseheft zum Film folgendermaßen zusammen: „1981 kommen der damals 24-jährige Australier Tony Rinaudo und seine Frau Liz Fearon mit ihrem sechs Monate alten Sohn als junge Agrarwissenschaftler und Missionare in den Niger, um im Rahmen des Missionsprogramms SIM die wachsende Ausbreitung der Wüsten und das Elend der Bevölkerung zu bekämpfen. Systematische Rodungen und von Kunstdünger angefeuerte Monokulturen hatten das Land veröden lassen und vielfach einst fruchtbare Böden ausgelaugt. Rinaudos Bemühungen die Wüste durch groß angelegte und international finanzierte Pflanzaktionen von Bäumen aufzuhalten scheitern und nahezu alle Setzlinge gehen wieder ein. Nach zweieinhalb Jahren fruchtloser Bemühungen denkt er ans Aufgeben und die Rückkehr nach Australien. Doch dann macht er unter dem vermeintlich toten Boden eine ebenso simple wie gewaltige Entdeckung. Eine Entdeckung, die beispiellose und tatsächlich nachhaltige Begrünungsaktionen zur Folge hat und unzähligen Menschen neue Hoffnung schenkt.“
Tony Rinaudo selbst beschreibt diese Entdeckung als Offenbarung:
„Eines Tages im Frühling 1983, als ich auf einer Fahrt mit einem Anhänger voller Baumsetzlinge anhielt, um etwas Luft aus den Reifen zu lassen und so besser über den weichen Sand fahren zu können, fiel mir einer dieser vielen kleinen Büsche auf. Ich hatte diese Büsche so oft gesehen, aber ihnen nie eine Bedeutung zugemessen. Ich ging hin um ihn näher zu betrachten und als ich die Blätter sah, wurde mir sofort klar, dass dies gar kein Busch war, sondern ein Baum. Ein Baum, der gefällt worden war und aus dessen Strunk Triebe sprossen. Das war die Lösung, nach der ich so verzweifelt gesucht hatte. Da waren Millionen von solchen Büschen, die darüber hinwegtäuschten, dass ein riesiger unterirdischer Wald direkt unter der Oberfläche dieser scheinbar kargen Landschaft existierte.
Wenn ein Baum gefällt wird, bleibt bei den meisten Arten ein Großteil der Wurzelmasse am Leben, und der Baum ist in der Lage, aufgrund seines Zugangs zu Bodenfeuchtigkeit und Nährstoffen sowie seines großen Zuckerspeichers in den Wurzeln schnell aus dem Stumpf wieder zu wachsen. Gefällte Bäume sind unterirdische Wälder, aber weil wir sie nicht sehen, vernachlässigen wir das Potenzial der scheinbar unbedeutenden Triebe. Durch die Auswahl der geeigneten Arten und ein gezieltes Beschneiden zugunsten von drei bis fünf Trieben, die man wachsen ließ, erreichte man in nur drei bis vier Jahren ein Wachstum der Triebe zur Größe eines Baumes.
Plötzlich ging es nicht mehr darum, mit viel Geld, Personal und Zeit Bäume zu pflanzen, von denen ohnedies 90 Prozent verdorrten, sondern darum, vorhandene Triebe mit wenig Aufwand zu einem Baum werden zu lassen. Mir wurde klar, dass, wenn es Menschen waren, die den Wald in eine karge Landschaft verwandelt hatten, es Menschen brauchte, um ihn wiederherzustellen – und dass falsche Überzeugungen, Einstellungen und Praktiken mit gutem Beispiel, mit Nachdruck und freundlicher Beharrlichkeit in Frage gestellt werden mussten. Das war kein Kampf gegen die Sahara, es war ein Kampf um Herzen und Köpfe. Es ging darum, was die Menschen glaubten und um ihren Umgang mit der Natur.“ (aus „Der Waldmacher“, dt. Untertitel zum Originalton)
Nach zögerlichen Anfängen kam der Durchbruch mit der Hungertragödie in der Sahelzone 1984, während der auch Rinaudo mit der Verteilung von internationalen Nahrungsmittellieferungen betraut war. Er kombinierte die Verteilung mit einem „Food for Work“ Programm, an dem etwa 70.000 Menschen teilnahmen, die rund 500.000 Bäume auf 12.000 Hektar Land regenerierten. Die Erfolge überzeugten nun viele der Bauern.
Ein Kontinent voller Möglichkeiten
Auf der Bühne des „Right Livelihood Award“ 2018 in Stockholm, bei dem Tony Rinaudo den Alternativen Nobelpreis erhielt, stand auch Yacouba Sawadogo. Der burkinische Bauer wurde für eine an sich traditionelle Methode zur Begrünung der ausgedörrten Savanne – die Technik des „Zai“ – ausgezeichnet, die er seit über 40 Jahren weiterentwickelt und die sich über die Landesgrenzen hinweg erfolgreich verbreitet hat. Von Sawadogo führt die Spur der Begrünungsbewegung zum dezentralen „Green Belt Movement“, begründet 1977, der Kenianerin und Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai und zu anderen mehr.
Den Bottom-up-Prozessen stehen große internationale Projekte zur Wiederaufforstung gegenüber, deren zumeist zweifelhafte Nachhaltigkeit und kommerzielle Verflechtungen im Film auch thematisiert werden. „The Great Green Wall“ wurde 2005 von der Afrikanischen Union initiiert und gemeinsam mit Weltbank und UNO weltweit beworben. Anfangs medienwirksam als „grüne Mauer“ gegen die Wüste quer über den afrikanischen Kontinent konzipiert, wurden in zehn Jahren nur vier Prozent der geplanten Fläche um Milliardenbeträge realisiert. Vieles davon versickerte in nationalen Bürokratien oder durch Korruption.
Jüngste wissenschaftliche Auswertungen von Satellitenbildern zeigen, dass sich heute dennoch ein Mosaik von Maßnahmen gegen die fortschreitenden Wüsten stemmt und dass dezentrale Methoden der Regeneration von Vegetation wie durch FMNR zwar weniger Aufsehen erregen, aber zu einem Bruchteil der Kosten wesentlich effektiver ist.
Dennoch wird der Kontinent immer noch überschwemmt mit industrieller Agrartechnik. Wie während der großen Programme der „Green Revolution“ in den 1940er Jahren wird industrielle Landwirtschaft auch heute immer wieder nachdrücklich propagiert mit dem hehren Versprechen, den Hunger zu besiegen. Mit langfristig katastrophalen Folgen durch die Übernutzung der Böden, Verlust von Vegetation und Biodiversität und der Verelendung von Millionen von Kleinbauern, die fast 70 Prozent der Bevölkerung dieser Region ausmachen. So zu verfolgen beispielsweise seit 2006 durch die „Alliance for a Green Revolution“, bei der mit Milliardenbeträgen unter anderem aus den Bill Gates und Rockefeller Foundations Hochertragssaatgut und chemischer Dünger als Mittel gegen den Hunger verbreitet werden, die aber letzten Endes vor allem den Geschäften internationaler Konzerne dienen.
1 Die Szene verknüpft zahlreiche Themen. Bäume sind Lebensräume. Mehr als 70 Prozent der Menschen leben am Lande. Die Kehrseite der massiven Migration junger arbeitsfähiger Männer hinterlässt ganze Generationen alleinstehender Frauen, die sich um Lebensunterhalt und Bildung der Kinder bemühen.
2 Als Rinaudo für die Filmaufnahmen nach 40 Jahren wieder in die Dörfer des Nigers zurückkehrt, wird er mit aller Herzlichkeit empfangen, aber die Menschen am Land aus allen Generationen haben auch sehr ernste und neue Fragen an den Agronom.
In der Vielfalt an Kampagnen und Bewegungen scheint letztlich ein roter Faden erkennbar, der auch unsere Nachkriegsgeschichte geprägt hat und heute von existenzieller Dringlichkeit ist. Eine gemeinsame Linie vom (bitter notwendigen) Ende jener Ideen der Moderne, die bedingungslos der Hybris der Ingenieure folgen und der globalen Gier der Märkte.
Schlöndorffs Film: Reflexion und Kontext, Ausblick und Hoffnung.
Die Erzählung von Tony Rinaudo – wie er sie etwa in seinen Büchern beschreibt – wird in „Der Waldmacher“ ganz wesentlich erweitert durch die filmischen Beschreibungen Volker Schlöndorffs. Tony Rinaudo kehrt 2018 für den Film zurück in jene nigerischen Dörfer, in denen er ab 1983 seine revolutionäre, landwirtschaftliche Technik begonnen hatte. Rinaudo wird begrüßt, gefeiert und er lässt die Bauern und Bäuerinnen ihre Erfahrungen schildern. Volker Schlöndorff sieht ihm und den Menschen dabei zu. In einem nächsten Schritt lässt er sich dabei selbst als Betrachter, als Kommentator vor der Kamera ins Bild setzen, die feinsinnigerweise immer von kleinen lokalen Filmteams – jeweils Kamera und Ton – geführt wird. Rinaudos Erzählung wird von den Erzählungen der Akteure ergänzt und auch mit viel Klugheit hinterfragt und Schlöndorff kommentiert vor der Kamera und aus dem Off. Schlöndorff geht noch einen Schritt weiter, in dem er vier „Postkarten“, eigenständige Kurzfilme von jungen afrikanischen Filmemachern, einmontiert: „Die Tränen der Migration“ von Alassane Diago, „Die Köhlerinnen“ und „Loblied auf die Hirse“ von Idriss Diabaté und ein Porträt einer Landwirtin von Lauren Manja Abdallah. Schlöndorff beschreibt später in Interviews zum Film, dass die „Geschichte um die Bäume“ schnell erzählt wäre und ihn mehr die Menschen interessiert hätten.
Diese zutiefst menschlichen Sichtweisen kontextualisieren plötzlich die wunderbare Geschichte von der „Farmer Managed Natural Regeneration“. Sie schmälern nicht, sondern setzen die drastischen Lebensumstände und persönlichen und zutiefst menschlichen Erfahrungen in Szene und steigern dadurch die Dringlichkeit zur Anwendung und Unterstützung solcher Methoden und Strategien. Die Demut und Gottergebenheit Rinaudos, bewundernswert und vermutlich in Zeiten der größten Hungerkatastrophen unabdingbar, sind Teil von Rinaudos Charisma und Erfolg bei den Menschen. Zugleich bieten sie für den Betrachter aus dem globalen Norden ungewollt einen milden und entschuldenden Nebel über die menschlichen Abgründe und internationalen und historischen Verstrickungen des globalen Nordens.
Schlöndorffs Film, die Stimmen und Gesichter der Protagonisten und vor allem die authentischen Einschübe seiner afrikanischen Co-Autoren reißen diese Nebel auf. Fast beiläufig, aber doch bestimmt ziehen sie Parallelen zur eigenen Geschichte, bringen diese Menschen auf Augenhöhe und verbinden sie mit unserem eigenen Schicksal und unserem eigenen Handeln.
Epilog
Doch auch Schlöndorff bleibt versöhnlich im Sinne Rinaudos und der Film endet mit einem unvergleichlichen Dialog voller Weisheit und Selbstironie und der Bekräftigung einer Botschaft an die Zukunft: Die Welt kann gerettet werden. Nicht durch Ingenieure und Konzerne, sondern vor Ort, durch Hingabe und Freundlichkeit und Hartnäckigkeit, durch Menschen.
Volker Schlöndorff: „Nichts ist verloren. Kein Baum ist tot, keine Wurzel ist tot, alles kann wieder wachsen. Dass es Lösungen gibt, hab ich gesehen.“
Tony Rinaudo: „Es ist nicht so, dass ich ein Einzelfall wäre. Wenn ich die Biografien anderer Leute und anderer großer Ideen lese, gibt es darunter sehr wenige Ideen, die sich über Nacht durchgesetzt haben. Meist ist es ein langer Prozess und es braucht Hingabe und Ausdauer und ein wenig Schweiß, Blut und Tränen. Aber wenn es das ist, was es braucht, dann los!“
Volker Schlöndorff: (lachend die Hand auf Tony Rinaudos Schulter legend) „Danke.“
Weitere Informationen
Tony Rinaudo: „Unsere Bäume der Hoffnung“, rüffer & rub Verlag, Zürich 2021
Informationsplattform FMNR: fmnrhub.com.au
Volker Schlöndorff: „Der Waldmacher“, weltkino.de/filme/der-waldmacher
Filmkritik: film-kultur.de/publikationen/der-waldmacher_kc.pdf
Stefan Ehlert: „Wangari Maathai – die Mutter der Bäume“, Herder Verlag, Freiburg 2004
Andrea Jeska über Yacouba Sawadogo: fluter.de/es-werde-gruen
Zur Zeitgeschichte Westafrikas: Nwando Achebe u.a., History Textbook: West African Senior School Certificate Examination, Banjul (Gambia) 2018, wasscehistorytextbook.com