Umweltkolumne

Wann kommen die echten großen Schritte?
Von Gerlinde Pölsler

„Bei uns in Oberösterreich stimmt eigentlich alles”, schwärmte die dortige Landesrätin und Bauernbund-Obfrau Michaela Langer-Weninger in ihrem Beitrag für die Bauern- Zeitung, dem Blatt des ÖVP-Bauernbundes. „Umwelt und Landwirtschaft sind im Einklang. Die Vögel zwitschern, die Bienen summen.” Klimakrise und Artensterben? Machen offenbar einen Bogen um das Land ob der Enns. Doch „einigen Naturschützern” sei dieses „Paradies auf Erden” zu wenig. Es sei „beunruhigend”, was man sich da mit der EU-Biodiversitätsstrategie habe einfallen lassen: Flächen ungenutzt lassen, Dünger- und Spritzmitteleinsatz halbieren. Man wolle wohl „die Versorgungssicherheit auf dem Altar der Biodiversität opfern”, dabei „ernährt Biodiversität sicher keine Menschen!”

Es bedarf schon einer speziellen Sichtweise, um angesichts einer Million vom Aussterben bedrohter Tier- und Pflanzenarten einen „Altar der Biodiversität” zu erblicken. Doch seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine trommeln konservative Landwirtschaftspolitiker in der gesamten EU: Wir müssten jetzt alles tun, um die Versorgung in Europa als auch für die Armen der Welt sicherzustellen. Pläne, die die Landwirtschaft grüner machen sollen, seien auszusetzen. Felder ungenutzt zu lassen, könnten wir uns nicht leisten. Daher hat die EU die als „Ökologische Vorrangflächen” geförderten Brachen wieder für den konventionellen Anbau auch mit Pestiziden freigegeben. Österreich macht mit. Haben wir wirklich keine anderen Möglichkeiten?

Doch, hätten wir. Derzeit kippen wir Europäer fast zwei Drittel unseres Getreides in die Tröge der sogenannten Nutztiere. Drei bis vier weitere Prozent schütten wir als Biosprit in unsere Tanks. Bleibt weniger als ein Drittel für die direkte menschliche Ernährung. Dabei ist der Umweg über Fleisch sehr ineffizient: Bis ein Kilo Schweinefleisch auf dem Teller liegt, braucht man rund drei Kilo Getreide oder Mais und bis zu ein Kilo Eiweißfutter. Wer es mit der Versorgungssicherheit ernst meint, müsste endlich Europas Tierbestände verkleinern. Man könnte Bauern, die aus der intensiven Tierhaltung umsteigen möchten, speziell fördern, oder in öffentlichen Kantinen weniger Fleisch verkochen. Mag man aber nicht.

Da haben wir noch nicht über die Lebensmittelverschwendung geredet. Und auch nicht darüber, wie viel Ackerboden gerade in Österreich Tag für Tag unter Asphalt und
Beton verschwindet. Oft sind es fruchtbarste Böden, die für Straßen, Einkaufszentren und Logistikhallen draufgehen. „Unfassbar: 65.000 Hektar Ackerfläche weniger in 20 Jahren!”, twitterte kürzlich Wifo-Agrarforscher Franz Sinabell. 360.000 Tonnen Weizen könne man auf diesen in Österreich
verloren gegangenen Böden produzieren, das würde den Kalorienbedarf von mehr als eineinhalb Millionen Menschen für ein Jahr decken. Der Plan für den Stopp dieser
zukunftsvergessenen Vergeudung? Es gibt
keinen.

Stattdessen ackert Europa die ohnehin viel zu wenigen Brachflächen ein. Die Ausbeute wird sehr überschaubar sein, wählen doch die Landwirte als Brachen klarerweise die schlechtesten Standorte. Pflanzen nun in Österreich die Bauern wie erlaubt alle 9.000 Hektar Ökoflächen voll, „dann würde das gerade mal 0,1 Prozent der fehlenden Menge der Ukraine ersetzen”, so der deutsche Agrarökonom Sebastian Lakner. Gleichzeitig gingen aber die wichtigen Funktionen der Ökoflächen verloren, die den Schwund an Bienen, weiteren Insekten und Vögeln eindämmen sollen. Immerhin 70 Prozent der weltweit meistgehandelten Nahrungspflanzen sind auf Bestäubung angewiesen.

Wie absurd es ist, den Umweltschutz jetzt zurückzudrängen, zeigt die Natur uns überall. In Österreich bedrohen laufend Trockenheit, Starkregen und Hagel die Ernten. Indien mit seinen 1,4 Milliarden Menschen hat mit Temperaturen über 45 Grad gerade den heißesten März und April seit Beginn der Wetteraufzeichnungen erlebt. Die Hitze hat große Teile der Weizenernte vernichtet. Teile Deutschlands und Kaliforniens, Marokko, das Horn von Afrika: Überall ist es extrem trocken. Anfang April warnte der Weltklimarat, viele Regionen der Erde könnten bald unbewohnbar werden. All das trifft erneut die Menschen in den ärmsten Weltregionen am stärksten.

Wir haben keine Zeit, Umweltmaßnahmen weiter aufzuschieben. Wann setzen Europas Agrarpolitiker endlich an den wirklichen Hebeln an?


Gerlinde Pölsler ist in der Obersteiermark auf einer Mini-Nebenerwerbslandwirtschaft aufgewachsen. Seit 2005 schreibt sie von Graz aus hauptsächlich für die Wochenzeitung Falter: über soziale und Gender-Themen, Umwelt, Landwirtschaft und Tierhaltung. Im Vorjahr absolvierte sie in Tirol ein Praktikum als Schafhirtin.
Foto Regine Schöttl


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