Verwobene Geschichten

Cool, stilvoll und langlebig: Das spanische Fashion-Label L’Envers bietet zeitlose Kleidung aus nachhaltigen Materialien und setzt auf die handwerkliche Expertise kleiner lokaler Produktionspartner.
Von Jutta Nachtwey, Fotos: Ali Sallusti

Eine Art Textil-Gen steckt offenbar in der Familien-DNA der Französin Julie Charvet Ro-binne, Gründererin von L’Envers: Ihr Ur-Ur-Urgroßvater Alfred Charvet eröffnete 1820 in Nordfrankreich eine Wollmanufaktur und ihr Urgroßvater spezialisierte sich später auf die Herstellung von Leinenstoffen. Auch Julie Charvet Robinne zog es in die Textilbranche: Sie arbeitete unter anderem für die Sockenmarke Bonne Maison und die Kindermode-marke Petit Bateau, bevor sie 2015 ein eigenes, auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Label gründete.

Der Name L’Envers ist Programm – er nimmt auf die Redewendung „faire les choses à l’envers“ Bezug, was bedeutet, Dinge auf die entgegengesetzte Weise zu tun. Diesen Anspruch verfolgt sie mit großer Konsequenz: Ihr Konzept widersetzt sich ganz und gar den Fast-Fashion-Prinzipien. Statt minderwertige Ware in Billiglohnländern herstellen zu lassen, produziert L’Envers in Kooperation mit lokalen familiengeführten Unternehmen qualitativ hochwertige, langlebige Kleidungsstücke.

Die ersten Entwürfe für die Kleidung zeichnet Julie Charvet Robinne selbst, manchmal kooperiert sie aber auch mit kreativen Leuten oder Marken, die sie inspirierend findet. L’Envers verwendet vor allem Wolle, Bio-Baumwolle, Leinen und Hanf. Das Label legt viel Wert auf Transparenz und stellt viele Informationen über die Materialien, ihre Herkunft und ihre Zertifizierung bereit. Die Merinowolle von Schafen aus der westspanischen Extremadura wird zum Beispiel in Katalonien zu Garn gesponnen. L’Envers verwendet aber auch Yak-Wolle aus der Mongolei, die 30-mal wärmer als Schafwolle ist und dort nach dem jahreszeitlichen Fellwechsel der Tiere von den Büschen der Weiden gesammelt wird. Verarbeitet wird diese Wolle in Frankreich. Bei den Stoffen setzt L’Envers neben Biobaumwolle aus Ägypten vor allem auf Flachs aus Frankreich, der weniger Wasser in der Herstellung benötigt. Zusätzlich setzt L’Envers auf Upcycling und verwendet hin und wieder überschüssige Textilien aus Baumwolle und Wolle, die bei den Luxusmodemarken des Konzerns LVMH nicht verarbeitet werden.


Julie Charvet Robinne stammt ursprünglich aus Nordfrankreich. Sie absolvierte eine Wirtschaftshochschule, spezialisierte sich zunächst auf Marketing und arbeitete einige Jahre in Paris und London für den Designmöbelhersteller Habitat. Dann beschloss sie, zusammen mit ihrem Mann nach Madrid umzusiedeln – das spanische Leben hatten beide bereits zu Studienzeiten kennen- und schätzen gelernt. In Madrid begann sie, in der Textilbranche zu arbeiten, wobei sie immer deutlicher erkannte, wie stark die konventionelle Modebranche die Umweltverschmutzung vorantreibt und welche sozialen Auswirkungen sie hat. Um dem hektischen Großstadtrhythmus zu entkommen und ein naturverbundenes Leben zu führen, zog Julie Charvet Robinne 2012 mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in das Bergdorf Cercedilla in der Sierra de Guarrama, das zwischen Madrid und Segovia liegt. Von dort aus gründete sie ihr eigenes Label und baute sich für die Herstellung der Kleidung ein Netzwerk von familiengeführten Werkstätten auf. Dieses Modell garantiert faire Arbeitsbedingungen, hohe Produktqualität und kurze Transportwege. Die Geschichten dieser kleinen Betriebe, zu denen Julie Charvet Robinne langjährige enge Beziehungen pflegt, präsentiert L’Envers mit großer Wertschätzung auf der Website.

Foto: Augustin Robinne

Die Merinowolle wird etwa von einem Unternehmen in der Nähe Barcelonas gesponnen, das bereits seit 1898 existiert und nun in dritter Generation geführt wird, die Mohair- und Yak-Wolle von einem französischen Unternehmen, das 1913 vom Urgroßvater des jetzigen Eigentümers gegründet wurde. Viele der kleinen Betriebe in Spanien haben aufgrund der Verlagerung der Textilherstellung nach Asien harte Zeiten hinter sich. Die Knöpfe bezieht L’Envers aus einem Atelier, das 1946 gegründet wurde und in dritter Generation weiter existiert – früher waren dort 100 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen beschäftigt, heute sind es noch 20. Der Gründer des Nähateliers, mit dem L’Envers kooperiert, musste seine Firma zunächst sogar ganz schließen, bevor er eine kleinere Werk-statt mit drei Beschäftigten wiedereröffnete. Hier werden nun die Kleidungsstücke aus Hanf und Leinen für das Modelabel genäht. L’Envers arbeitet außerdem mit einer kleinen Färberei bei Madrid zusammen, die in der Region als einzige überlebt hat. Der Sohn führt die vom Vater gegründete Firma mit drei Angestellten weiter und setzt nun aus-schließlich auf ökologische Farben.

Durch diese ausführlichen Informationen über die Leute hinter den Kulissen gelingt es L’Envers, den Herstellungsprozess für die Kunden und Kundinnen transparent zu machen. Gleichzeitig ermöglicht diese narrative Kommunikation, den Kleidern authentische Geschichten einzuweben. Diese verbinden sich insgesamt zu einer größeren Erzählung über die mögliche Wiederbelebung lokaler handwerklicher Produktion. Durch den Kauf solcher Kleidungsstücke wird aus dieser Erzählung ein interaktive Geschichte – man trägt dazu bei, die generationsübergreifend gewachsene Expertise in die Zukunft hin-überzuretten. 

lenversfashion.com

Julie Charvet Robinne, Foto: Ali Sallusti

Bisher wendet sich L’Envers ja vor allem an Frauen, aber Sie bieten neben Blusen und Kleidern auch Kleidungsstücke an, die genderneutral wirken – haben Sie auch männliche Kunden?
Charvet Robinne: Ja, tatsächlich haben wir bereits einige männliche Kunden und sehen hier auch für die Zukunft viel Potenzial – deshalb werden wir im September mit einer Herrenkollektion starten.

L’Envers präsentiert sich im Netz als ein Modelabel, das viel Wert auf Feedback seitens der Community legt. Inwiefern kann man hier Wünsche einbringen?
Wir fragen unsere Community öfter mal: Gefällt euch dieser Stoff? Was möchtet ihr als nächstes, oder welche Farbe, welchen Schnitt bevorzugt ihr? Man könnte das Ganze also als eine Art Co-Design mit der Community verstehen.

Die Zusammenarbeit mit kleinen Werkstätten bietet viele Vorteile, aber neulich hakte die Produktion mal kurz – wegen eines Krankheitsfalls in der Familie eines Kooperationspartners. Wie lässt sich so etwas in Zukunft vermeiden?
Bisher haben wir jedes bestellte Produkt individuell fertigen lassen – aber dieses Konzept stößt dann eben an seine Grenzen. Deshalb werden wir nun kleine Mengen vorproduzieren, um auf solche Ausnahmesituationen besser vorbereitet zu sein und den Online-Shop am Laufen halten zu können. Ich werde auch weiterhin mit den Geschäftspartnern zusammenarbeiten, mit denen ich bereits seit dem ersten Tag kooperiere. Unser Ziel ist es, gemeinsam mit ihnen langsam und in organischer Weise zu wachsen.

Fotos Ali Sallusti


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