Vom schnellen Espresso und der Langsamkeit der Kaffeebohne
Foto Darko Todorovic
Andrea Trevisan ist Österreichs Kaffeeröst-Staatsmeister 2024. Bei einem Besuch in seinem Coffeeshop in Bezau erzählt er von der Komplexität des Kaffeebusiness und warum manche Kaffeebauern umsatteln – auf Lukrativeres.
Von Angelika Drnek
Er stammt aus Bologna und durch seine Adern fließt vermutlich Kaffee: Andrea Trevisan ist Österreichs Staatsmeister im Kaffeerösten. Wer einmal zusieht, wie er mit den Kaffeebohnen in seinem Laden umgeht, und hört, wie enthusiastisch er über sein Lebenselixier spricht, den wundert das wenig. Das Kaffeebusiness ist bei Andrea Trevisan Familiensache, schon sein Vater widmete sein berufliches Leben den kleinen grünen Bohnen, die erst bei der Röstung braun werden. Herr Trevisan Senior brachte die italienische Kaffeekultur nach Osteuropa – natürlich erst nach dem Mauerfall. Der Sohn arbeitete dann selbst in einer großen italienischen Rösterei, war dort auch als Brand Ambassador tätig. Ein Job, der ihn zum Globetrotter machte.
Später wechselte er die Seiten und arbeitete jahrelang als Barista in London – zu jener Zeit, als es mit dem „Speciality-Coffee-Boom“ gerade losging. Schließlich aber gewann die Sehnsucht nach den Bergen und der Natur. Als Snowpark-Designer in Tirol führte ihn die Liebe dann noch weiter in den Westen – in den Bregenzerwald, die Heimat seiner Frau. Sie ist also eigentlich dafür verantwortlich, dass Vorarlberg nun Kaffee in Topqualität genießen kann.
Seit 2019 vertreibt Andrea Trevisan seinen Selbstgerösteten. Die Kunden sind so vielfältig wie das Angebot: von qualitätsbewussten Hotels und Cafés bis hin zu anspruchsvollen Privatkundinnen und -kunden, die mehr haben wollen als Massenware aus dem Supermarkt. Und das bekommen sie auch: Im „Trevo“ gibt es Kaffee aus Äthiopien, Uganda, Guatemala, Brasilien oder auch Burundi – höchst individuell und mit großer Sorgfalt geröstet.
Andrea Trevisan kennt seine Kaffeebauern entweder persönlich und bezieht die Bohnen direkt oder er verlässt sich auf kleine Importeure, die ebenfalls auf Qualität setzen. Zudem nutzt er Online-Plattformen, die Kaffeeproduzenten und Röster zusammenbringen. Verglichen mit dem Welthandel wird dort aber quasi in homöopathischen Dosen gehandelt. Die dominante Lebensmittelindustrie rechnet mit der Maßeinheit Container: „Mit so was würde ich zehn Jahre auskommen“, sagt Andrea Trevisan. Will er aber gar nicht, denn was da im großen Stil ver- beziehungsweise gekauft wird, entspricht nicht den Standards, die im „Trevo“ hochgehalten werden. „95 Prozent des weltweit verkauften Kaffees werden über die Börse gehandelt. Für Arabica gibt’s die Börse in New York, für Robusta jene in London“, erzählt Andrea Trevisan. „Ist nun für die Erntezeit in Brasilien die Wetterprognose schlecht, dann geht’s rund.“ Der Preis ändert sich natürlich von Tag zu Tag. Doch genau darum geht es – um das Geld. „Die Preise, die ich zahle, sind natürlich höher als jene, die etwa Starbucks zahlt. Weil ich kleine Mengen kaufe und auf Qualität setze.“ Letzteres steht, wie auch der Geschmack, nicht an oberster Stelle der Prioritätenliste bei kommerziellem Kaffee.
Unter Druck geraten in diesem System oft die Kaffeeproduzenten. Sie sind auf die Lebensmittelriesen angewiesen – und auf deren Preisdiktat. „Kaffee ist ein Kolonialprodukt. Das hören viele nicht gerne, aber es ist so, dass für das Produkt in der Regel nicht angemessen bezahlt wird“, erklärt der Italiener. Das Verhältnis, meint er, sei immer noch nicht auf Augenhöhe. Ein Mitgrund dafür, dass viele kleine Kaffeebauern aufgeben: Weil sich die Arbeit kaum oder eben gar nicht mehr lohnt. Einige wandern aus, andere satteln um. So gibt es Kaffeebauern, die zwar immer noch die kleinen Bohnen anbauen, doch bestimmte, ebenfalls von ihnen bewirtschaftete Hänge sind für Besucherinnen und Besucher tabu. Dort wächst anderes – weit Lukrativeres. Kokain etwa.
Hinzu kommt, dass Millionen von Kaffeetrinkerinnen und -trinkern keine Ahnung haben von den Bedingungen des Anbaus – weil sie so weit weg sind. Der Weg, den die Bohnen nehmen, bis sie in der Tasse eines mitteleuropäischen Haushalts landen, ist ein langer: Erst einmal braucht eine Kaffeepflanze vier bis fünf Jahre, ehe sie richtig in Schwung kommt und die sogenannten Kirschen ausformt. Die reifen Früchte werden gepflückt und müssen dann ausgelöst werden, um an die Bohnen zu kommen. Das funktioniert per Sonnentrocknung oder beim „Washing“ im Wasser. Letzteres braucht eine Anlage, ersteres ist sehr aufwendig, weil die Früchte ständig gewendet werden müssen. Dann werden die Bohnen einige Monate gelagert, um sich zu stabilisieren. Und schließlich geht es per Schiff fünf bis acht Wochen lang auf die Reise nach Europa. „Von der Fixierung des Preises bis zur Anlieferung können schon sechs bis sieben Monate vergehen. Hunderte kleine Arbeitsschritte liegen dazwischen, das muss honoriert und respektiert werden“, erklärt der Barista, der besonders viel Wert darauf legt, mit seinen nachhaltig wirtschaftenden Kaffeeproduzenten langfristige Partnerschaften einzugehen.
Was er sich wünscht, ist mehr Zeit, um seine Kaffeebauern zu besuchen, intensiver ins Gespräch zu kommen, ein vertieftes Verständnis zu generieren. Doch auch so ist Andrea Trevisan glücklicherweise schon weit weg von seiner persönlichen Horrorvorstellung eines Jobs: „Einer meiner ehemaligen Chefs in einer großen Rösterei hat Kaffee bestellt, indem er in seinem Büro vor zwei Bildschirmen mit einer riesigen Excel-Matrix saß und ein paar Mausklicks getätigt hat. Im Büro hatten sich schon die vielen kleinen Probesäckchen mit Bohnen von unterschiedlichsten Kaffeebauern angesammelt. Die waren aber nur Alibi, gekostet hat die niemand. Das wollte ich nie.“