Von Aushublehm und Biertreber
Von Ziegeln, über Lehmputze bis hin zu Glasuren, entstanden in der Biofabrique Vienna aus ungenutzten lokalen Ressourcen neue Werkstoffe für Design und Architektur. Foto Paul Sebesta
Im Kulturbetrieb entsteht viel Müll. Oft wird beim Planen und Bauen nicht an das Nachher gedacht. Für die „Vienna Design Week“ erweitern Architekturstudierende den Möglichkeitsraum – mit neuen Materialien und flexiblen Modulen aus der „Biofabrique“.
Von Juliane Fischer
Dieses Produkt sei für sie die größte Überraschung gewesen, berichtet Julia Cäsar, die im dritten Mastersemester an der Technischen Universität Wien studiert. Sie zeigt auf die Liste, die den Produktionsverlauf der Carbokalk-Ziegel abbildet: 116 der kleinen Kästchen, die aussehen wie Bausteine, sind schon ausgemalt. Insgesamt sollen alle 700 abgehakt werden können. Jedes dieser Symbole steht für einen Ziegel, der in der „Biofabrique“, einem Pilotprojekt der Wirtschaftsagentur Wien und des „Atelier LUMA“ aus Arles, gefertigt und dann für die „Vienna Design Week“ verbaut wird.
Was daran besonders ist? – Der Kalk stammt vom Zuckerkonzern „Agrana“. „Bei der Zuckerproduktion setzt man Kalk zu, der dann wieder weggenommen wird. Üblicherweise kommt er als Düngemittel auf die Felder“, klärt Cäsar auf. Die Stärke der Biertreber aus der Brauerei Ottakringer hält den Carbokalk zusammen. Dann braucht es noch etwas Faseriges. Man könnte Stroh nehmen oder wie hier Holzwolle, die in Tischlereien abfällt. 20 solcher Rezepturen entwickelten Julia Cäsar und ihre Kolleginnen und Kollegen in den Lehrveranstaltungen an der TU Wien. Ein paar davon setzten sich für die Anwendung durch und werden nun hier auf dem Festival-areal der im Juli zu Ende gegangenen „Klima
Biennale Wien“ in der „Biofabrique“ produziert.
Ausmalen der täglich geschafften
Anzahl an Ziegeln. Foto studio dreiSt
„Recherche und eigene Ideen gleich mit den Materialien zu erproben, ist etwas ganz anderes als theoretisch über nachhaltige Baustoffe zu diskutieren. Wir waren vor Ort und konnten alles direkt ausprobieren“, schwärmt die Studentin. Neben ihr wird an weiteren Stationen gewogen, gesiebt, gepresst und gestampft. Einer mischt an, einer wiegt ab und drei füllen die Formen. Insgesamt teilen sich 20 Studierende die zweiwöchige Phase der Materialherstellung auf. Und der sogenannte „Adobe Brick“ entsteht aus Ziegelsplitt vom Recyclingcenter und dem Aushub vom U-Bahn-Bau.
Von der Nordwestbahnstraße 16 wandert das Ganze im September in den dritten Wiener Gemeindebezirk zum Stadtentwicklungsviertel „Village im Dritten“. Dort gestaltet das „studio dreiSt“ den Aufenthalts- und Gastronomiebereich in der Festivalzentrale der „Vienna Design Week“ (20. bis 29. September). Das Planer-Trio, bestehend aus Martin Kohlbauer, Luisa Zwetkow und Sophie Coqui, leitet das Bauprojekt an. Bis zur Eröffnung am 19. September werden die einzelnen Elemente aufgestellt.
„Es ist als temporäres Design gedacht, also ist es wiederverwendbar. Mobile Elemente aus Ziegeln sind nicht gemörtelt. Wir haben eine Art Baustein-System entwickelt, sodass die einzelnen Module woanders wieder zusammengesetzt werden können“, erläutert Sophie Coqui. Damit reagiert das Planer-Trio auch auf die unterschiedlichen Formate während der Veranstaltung: von der Eröffnungsparty bis zum gesetzten Essen, vom täglichen Café-Betrieb bis zu Verleihungen. Dass der Bereich einer sein soll, in dem sich alle willkommen fühlen – ein offener und einladender Ort des Austauschs, das wünscht sich „Vienna Design Week“-Direktor Gabriel Roland. „Uns als Festival stellt sich immer die Frage nach dem Verhältnis von Alltag und Außergewöhnlichem.“ Ein Festival sei immer ein Zeitraum, in dem die Welt anders aussehe, meint er. „Wir betrachten den Designbereich und die Produkte, mit denen wir uns umgeben, alles, was wir schön und wichtig finden, mit neuen Augen, und damit regen wir an, anders an das Gestalten heranzugehen.“
Was die Anforderungen an ein Event-Gebäude betrifft, ist „studio dreiSt“ relativ frei in der Umsetzung. Viele Ideen entstehen im Laufe des Aufbaus. Das sei ein untypischer Weg, anders als man es im Studium lernt, viel prozesshafter, betont die angehende Architektin Sophie Coqui. „Was wir schaffen, soll nicht nur an diesem Ort funktionieren, sondern auch an anderen Platz finden können“, meint sie.
Die „Vienna Design Week“ entsteht immer an Räumen der Zwischennutzung und arbeitet sehr ortsspezifisch. „Wir begeben uns an Plätze, die Geschichte und Bestand haben. Alles, was wir hinbringen, muss sich in den Ort einschreiben und in einen Dialog treten“, sagt Gabriel Roland. Dass die Veranstaltung heuer erstmals in einem Neubau, also vor der eigentlichen Nutzung, zu Gast ist, ermögliche das Arbeiten mit „der nächsten Generation an Baumaterialien“.
„Viele der Ressourcen, die wir jetzt erstmals verwenden, sind dadurch entstanden, weil oft zu kurz gedacht wird“, gibt Luisa Zwetkow zu bedenken. „Im Kulturbetrieb entsteht viel Müll. Auch weil meistens gebaut wird, als wäre es nicht temporär“, ergänzt Martin Kohlbauer. „Wir haben uns in Kursen über nachhaltiges Bauen kennengelernt, wobei das mittlerweile ein oberflächlicher Begriff ist“, erklärt das Kollektiv. Den dreien geht es darum, mit bioregionalen Materialien zu arbeiten, die Potenziale der ungenutzten Ressourcen im städtischen Umfeld noch besser zu erkennen und in die Baupraxis einfließen zu lassen. Sie lassen sich durch die Materialien im Prozess leiten.
Klar könne man nicht von heute auf morgen die Bauindustrie revolutionieren, aber man wolle zeigen, dass es auch anders geht. „Man sollte bei den Materialien anfangen, die schon regional existieren, statt endlos Ressourcen auszubeuten“, findet das angehende Architekten-Trio. Dabei gelte es, auch Kreisläufe zu hinterfragen und zu verbessern. Nicht jede Kreislaufwirtschaft sei automatisch sinnvoll. Kohlbauer nennt die Rückstände, die bei der Bierherstellung anfallen, als Beispiel: „Treber wird großteils an Schweine verfüttert, aber wie viele derartige Mastbetriebe braucht es in Zukunft?“
Unterschätzt werde beispielsweise das Thema Aushublehm. „Wien ist ja auf einem riesigen Lehmhügel gebaut und in manchen alten Gebäuden findet man noch ungebrannte Lehmziegel“, erzählt er. In einer Energiekrise würde sich die Frage stellen: Muss man jeden Lehmstein brennen oder kann man das Material nicht wieder so nutzen, wie es jahrhundertelang üblich war? Braucht man betonierte Innentrennwände?
Die Botschaft beim Baustellenbesuch ist klar: Design kann nicht nur verantwortungsvoll, nachhaltig und inspirierend sein, sondern zudem Flexibilität lehren. Die Erkenntnisse von „studio dreiSt“ sind eigentlich allgemeingültig: Man braucht immer einen Plan B, man muss sehr anpassungsfähig sein, neue Wege einschlagen, wenn der Designprozess sich so experimentell gestaltet.
Weitere Informationen:
biennale.wien/projekte/biofabrique
viennadesignweek.at, gbl.tuwien.ac.at
TIPP:
VIENNA DESIGN WEEK
20. bis – 29. September 2024
Stadt Wien
viennadesignweek.at