Wahre Wertschöpfung

Kelly, Gary und Sam Bencheghib haben sich dem Kampf gegen Plastikmüll verschrieben. Hierfür gründeten sie auf Bali einerseits die Non-Profit-Organisation „Sungai Watch“, andererseits das Unternehmen „Sungai Design“, das Kunststoffabfälle in stilvolle Möbel transformiert.
Von Jutta Nachtwey

Beim Stichwort Bali denken wohl die meisten Leute an ein tropisches Paradies mit Vulkanbergen und Traumstränden – nicht zuletzt, weil der Instagram-Tourismus diese Bildwelten permanent reproduziert. Realistischer wäre es jedoch, auch an endlos viel Müll zu denken: Verpackungen, Plastiktüten und anderen Unrat, der mangels funktionierender Abfallsysteme in der Natur landet.
Kelly, Gary und Sam Bencheghib kamen 2005 mit ihren französischen Eltern auf die indonesische Insel. Die drei Geschwister wuchsen dort auf und erkannten schon bald die Notwendigkeit, etwas gegen die Müllmassen zu unternehmen. Bereits als Teenager gründeten sie die Jugendorganisation „Make A Change Bali“ – Kelly war damals 16, Gary 14 und Sam 12 Jahre alt. Ihr Ziel war es, die Insel durch kollektive Sammelaktionen vom Müll zu säubern.
Ihr Engagement für die Umwelt dehnten sie später aus: Sie riefen das Medienunternehmen „Make A Change“ ins Leben, das Videos über das globale Plastikmüll-Problem produzierte. Hierfür fuhren Gary und Sam 2017 in der indonesischen Provinz Jawa Barat zwei Wochen lang mit Kajaks aus Plastikflaschen den Citarum entlang, einen der am stärksten verschmutzten Flüsse der Welt. Sie dokumentierten das mühsame Paddeln durch die Müllmassen – und konnten dadurch eine umfangreiche Säuberungsaktion bewirken.


Bei einem weiteren Projekt namens „#Ocean2Ocean“ lief Sam von Juli 2019 bis Februar 2020 rund 4.917 Kilometer von New York am Atlantik nach Los Angeles am Pazifik, um auf die Plastikverschmutzung und die Notwendigkeit des Schutzes unserer Ozeane aufmerksam zu machen. Dabei trug er Laufschuhe, die adidas in Kooperation mit der Organisation „Parley for the Oceans“ unter Verwendung von Meeresplastik entwickelte.
Ziel von „Make A Change“ war es, Menschen dazu zu inspirieren, nachhaltiger zu leben, und Unternehmen sowie Politik zu bewegen, die Plastikflut zu stoppen. Das Team hielt auch bei über 100 Events in verschiedenen Ländern Vorträge, etwa bei den „United Nations“ und beim „World Economic Forum“ in Davos. Ihre filmischen Dokumentationen erzielten laut eigenen Angaben eine Milliarde Views auf unterschiedlichen Social-Media-Plattformen.

Das mediale Engagement lassen die drei Geschwister inzwischen erst einmal ruhen und konzentrieren sich stattdessen auf ein Projekt, mit dem sie selbst wieder aktiv an der Reduktion von Plastikmüll mitwirken. Sie gründeten 2020 die Non-Profit-Organisation „Sungai Watch“, die Balis Flüsse von Abfall befreit, bevor dieser ins Meer gespült wird. Hierfür sammeln sie Weggeworfenes aus illegalen Halden in Ufernähe und installieren schwimmende Barrieren, die den im Wasser treibenden Unrat auffangen. Das Team umfasst inzwischen 155 „River Warriors“ in bezahlter Vollzeitbeschäftigung. Der aufgestaute Mist wird täglich entfernt, in 30 Materialkategorien sortiert, gewaschen und für Re- und Upcycling vorbereitet. Bislang sind bereits mehr als 2.800 Tonnen Müll gesammelt worden. Es klingt wie eine Sisyphosarbeit, denn täglich kommt neuer Zivilisationsdreck angeschwommen. Aber „Sungai Watch“ versucht, das Übel gleichzeitig auch an der Wurzel zu packen. Das Team geht nicht nur regelmäßig an Schulen und führt Infokampagnen durch, die dem Wegwerfverhalten entgegenwirken, sondern kooperiert auch mit Behörden und Gemeinden, um das Abfallmanagement zu verbessern. „Sungai Watch“ will in Zukunft auch außerhalb Balis aktiv werden: Ziel ist, 1.000 Barrieren in ganz Indonesien zu installieren, um die am stärksten verschmutzten Regionen zu säubern.

Das Trio hat inzwischen für viele eine Vorbildfunktion – wohl auch, weil es sich anscheinend nie entmutigen lässt. Ende des vergangenen Jahres fand in Südkorea der „UN plastic pollution summit“ statt, der die Begrenzung der globalen Plastikproduktion zum Ziel hatte – er scheiterte jedoch, weil die Ölstaaten ein Abkommen verhinderten. „Sungai Watch“ warf dies nicht aus der Bahn. Die Geschwister betrachten es als Ansporn, ihren Weg beharrlich fortzusetzen. Kelly kommentiert, das Fehlen einer Einigung sei zwar enttäuschend, aber nicht überraschend. Es unterstreiche die Bedeutung von Basis- und Gemeinschaftsinitiativen wie „Sungai Watch“, durch die sich direkt vor Ort greifbare Auswirkungen erzielen ließen. „Wir glauben daran, dass wir einen systemischen Wandel vorantreiben können und gleichzeitig Einzelpersonen und Organisationen dazu inspirieren können, vor Ort aktiv zu werden.“ Ihr Bruder Sam ergänzt: „Ich denke, wir müssen weiterhin eine Gesetzgebung forcieren. Die Aufräumarbeiten sind in erster Linie Katastrophenhilfe, aber wenn wir wirklich etwas an der Verschmutzung unserer Flüsse und Meere durch Plastik ändern wollen, müssen wir an der Quelle ansetzen, nämlich bei der Herstellung des Plastiks.“

Zusätzlich gründeten die drei Geschwister auf Bali das Unternehmen „Sungai Design“, das einen Teil des gesammelten Mülls – derzeit insbesondere Plastiktüten – in Möbel verwandelt. Das Material wird gewaschen, nach Farben sortiert, geschreddert und zu Platten gepresst. Per CNC-Technologie werden Formen herausgeschnitten und dann von Hand zusammengesetzt und poliert. Die Reststücke werden für andere Produkte wiederverwendet.
Bislang gibt es zwei Indoor-Produktserien: den Lounge Chair „Ombak“ und die „Muara“-Reihe, die einen Hocker und eine Bank umfasst, bei Bedarf mit einem Sitzpolster aus recyceltem PET-Gewebe. Die Farben der Möbel ergeben sich direkt aus denen des gesammelten Mülls – aus grünen Tüten entstehen zum Beispiel grüne Stühle. Das Mobiliar erweist sich als effektiver Müllschlucker: In einem Hocker stecken 500 Plastiktüten, in einer Bank 1.200 und in einem Lounge Chair 2.000 Stück. Insgesamt hat „Sungai Design“ bereits 10.000 Kilogramm Tüten verwertet. In Zukunft will das Team auch mit dem Recycling anderer Materialien experimentieren.
Das Besondere an diesem Trio ist, dass es unterschiedlichste Maßnahmen wirkungsvoll miteinander zu verbinden weiß. Zum einen verankert ihr Aktivismus den Wert der Nachhaltigkeit im Bewusstsein der lokalen Bevölkerung, was für einen Wandel des Konsumverhaltens und mehr Umweltbewusstsein sorgt. Zum anderen stellen die drei Geschwister mit der Möbelproduktion selbst unter Beweis, dass sich der aus den Flüssen gefischte Müll in etwas Schönes, Nützliches und Dauerhaftes verwandeln lässt. Obendrein sorgt der Verkauf auch für die Unterstützung von „Sungai Watch“: Derzeit fließen 5 Prozent der Erlöse zurück an die Non-Profit-Organisation, um weitere „Clean Ups“ zu ermöglichen. So gelingt es dem Trio, Wertschöpfung auf mehreren, miteinander verwobenen Ebenen zu betreiben und dem Sisyphos-Szenario zum Trotz Hoffnung zu verbreiten. 
Weitere Informationen: sungai.watch, sungaidesign.com


Teilen auf:
Facebook