Wende in Sicht
Unsere Ozeane sind in Bedrängnis. Durch jahrzehntelange Überfischung sind maritime Ökosysteme, die Artenvielfalt und die Lebensgrundlage von Millionen von Menschen bedroht. Nun lassen einige Signale auf eine positive Wende für die Weltmeere hoffen.
Von Alexandra Wimmer
Sie regulieren das Weltklima, beheimaten eine reiche Artenvielfalt und sind wichtige Nahrungsquelle für Milliarden von Menschen: Die Meere bedecken weltweit den weitaus größten Teil, 70 Prozent, der Erdoberfläche und sind für alles Leben von unschätzbarem Wert. Zuletzt haben sie stark gelitten.
Seit Jahrzehnten entnehmen wir den Meeren mehr Fisch und Meeresfrüchte als nachwachsen können. Von den weltweiten Fischbeständen gelten heute mehr als 35 Prozent als überfischt und 57 Prozent als maximal genutzt, also an der Grenze zur Überfischung. „Von den großen Fischen wie Thunfisch, Schwertfisch, Heilbutt, Rochen und Flunder sind seit Beginn der industriellen Fischerei in den 1950er Jahren 90 Prozent der Bestände leer gefischt worden“, ergänzt Ursula Bittner, Artenschutzexpertin bei der Umweltschutzorganisation Greenpeace.
Die weltweit führende Fangnation ist China, gefolgt von Indonesien, Peru, Indien, Russland und den USA. In Europa fangen Norwegen, Spanien und Island den meisten Fisch. Große Mengen der globalen Fänge dürften zudem aus illegaler, undokumentierter und unregulierter (=IUU-)Fischerei stammen; hinzu kommen enorme Mengen an Beifang, an ungewollt gefangenen Tieren. Hochtechnisierte Industrieschiffe plündern die Ozeane mit Massen-Fanggeräten und rasieren den Meeresgrund gleichsam ab. Darunter leidet letztlich das Weltklima. „Die Meere regulieren das Klima und speichern zehn Mal soviel klimaschädliches CO2 wie unsere Ökosysteme an Land“, informiert Bittner. „Das Aufwühlen des Meeresbodens setzt das dort gebundene CO2 frei.“ Auch jene, die vom Fischereihandwerk leben und ihre Familien davon ernähren, erleiden durch die Fischereiindustrie großen Schaden. „Die Küstengebiete sind praktisch leergefischt“, betont die Expertin. „Während die großen Schiffe tief ins Meer fahren können, riskieren regionale Fischer mit den kleinen Booten dabei ihr Leben.“
Bewusster Fischfang und Konsum gefragt
Grund für die Überfischung ist die ungebrochen starke Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten. Zwar stammt ein wachsender Anteil des Speisefisches inzwischen aus der Zucht in Aquakulturen. Diese sind allerdings keine wirklich nachhaltige Alternative, da die Zuchtfische oft mit Meeresfischen gefüttert werden. Nachhaltig ist Fischfang im Rahmen einer „1:1-Fischerei“: Gefischt wird nur der Fisch, den man tatsächlich will, ohne Beifang. „Und das nicht in rauen Mengen, sodass die Bestände sich regelmäßig erholen können“, ergänzt Bittner. Konsumentinnen und Konsumenten greifen am besten zu heimischem Biofisch – ob zu Karpfen, Saibling oder Forelle.
Auf globaler Ebene leisten Gebiete, in denen die Meere und deren Bewohner vor Ausbeutung und Überfischung geschützt werden, einen wichtigen Beitrag. „Es braucht ein dichtes Netz an globalen Schutzgebieten, die streng kontrolliert werden“, heißt es bei Greenpeace. Schließlich habe jedes Tier im Ökosystem eine gewisse Rolle und Funktion. Daneben bedarf es schonender Fangmethoden und nachhaltiger Fangmengen auf Basis wissenschaftlicher Empfehlungen, die Einhaltung der Vorgaben muss konsequent kontrolliert und illegaler Fischfang verhindert werden. Derzeit sind weltweit knapp acht Prozent der Ozeane Schutzgebiete, sie könnten demnächst deutlich anwachsen. Nach jahrzehntelanger Ausbeutung der Meere dürfte das Blatt sich nun wenden. „Grundsätzlich ist jetzt ein Punkt erreicht, an dem vielen bewusst ist, wie wichtig die Meere sind und welch große Bedeutung sie haben, um die Klimakrise aufzuhalten“, sagt Bittner.
Längst kämpfen neben Greenpeace zahlreiche Organisationen für den Schutz der Meere, die Biodiversität in den Ozeanen und einen Stopp der Überfischung – und markieren damit womöglich eine positive Wende. Allein in den vergangenen Monaten wurden wichtige Schritte zum Schutz der Meere unternommen.
UN-Hochseeschutzabkommen:
Globale Regeln für maritime Ressourcen
Als sehr großen Erfolg wertet man bei Greenpeace das im März 2023 vereinbarte Hochseeschutzabkommen der Vereinten Nationen. Bisher war die Hochsee – sie umfasst zwei Drittel der Meere und rund 43 Prozent der Erdoberfläche – praktisch ein rechtsfreier Raum. „Indem 30 Prozent der Meere bis 2030 auch per Gesetz geschützt werden, können diese weiterhin unser Klima schützen und sich bedrohte Tiere wieder erholen“, sagt Bittner. Das Abkommen gibt weiters vor, wie die Umweltverträglichkeit der Meeresnutzung (zum Beispiel Tiefseebergbau) geprüft wird. Es regelt den gerechten Zugang zu genetischen Daten aus dem Meer sowie zu Meerestechnologien zwischen Ländern des globalen Südens und Nordens. Vor allem die Rechte Indigener und der lokalen Bevölkerung müssten geschützt werden; lokale Fischer im globalen Süden sollten etwa ausreichend Fisch für die Eigenversorgung fangen können. Damit das Abkommen in Kraft treten kann, muss es nun von mindestens 60 Ländern ratifiziert werden. Dann können die Verhandlungen für die Einrichtung und Verwaltung der Meeresschutzgebiete beginnen.
Stop Funding Overfishing (SFO): Koalition gegen schädliche Fischereisubventionen
Subventionen gelten weltweit als eine der wichtigsten Ursachen für Überfischung. Sie führen dazu, dass selbst unrentable Fischereiaktivitäten fortgeführt werden. Staatliche Fördermittel gehen sogar an Akteure, die an IUU-Fischerei beteiligt sind: Schätzungsweise 22 Milliarden US-Dollar werden von Regierungen weltweit an Subventionen bereitgestellt. In den Entwicklungs- und Schwellenländern leiden insbesondere Kleinfischer darunter. „Regierungen sollten schädliche Subventionen beenden und ihre Finanzmittel besser in die Erholung der Meere und in nachhaltiges Fischereimanagement investieren“, lautet die Forderung von SFO. Die Kampagne startete im März 2019 unter der Leitung des „Pew Charitable Trusts“ mit einer Gruppe von etwa 70 Organisationen und hat sich zu einer von 182 Mitgliedern weltweit geführten Koalition entwickelt. Der bisher wichtigste Erfolg: Im Sommer 2022 haben sich die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) nach 20 Verhandlungsjahren darauf geeinigt, gegen schädliche Fischereisubventionen vorzugehen. „Die SFO-Koalition wird die WTO-Mitglieder weiterhin bei der Umsetzung des neuen Abkommens und bei den Verhandlungen über die noch offenen Fragen unterstützen“, unterstreicht Ernesto Fernandez Monge von „Pew Charitable Trusts“.
Global Fishing Watch (GFW):
Weltweites Monitoring für Transparenz
„Ein gemeinsames Bestreben zum Schutz der Ozeane beginnt mit Transparenz“, lautet der Leitspruch von GFW. Die internationale gemeinnützige Organisation, entstanden aus einer Partnerschaft zwischen Oceana, SkyTruth und Google, liefert Informationen über globale Fischereiaktivitäten. Mithilfe von Satellitendaten werden nahezu Echtzeit-Karten erstellt. Anhand der Bewegungsmuster kann ermittelt werden, welche Schiffe Fangschiffe sind, welche Ausrüstung sie verwenden, wann und wo sie fischen. Illegale Fänge in Schutzzonen können sichtbar gemacht werden, Regierungen Regulierungen besser überwachen und Forschungseinrichtungen erlaubt es unter anderem, dank der Daten, gefährdete Gebiete auszumachen.
Bislang hat man sich in der Fischereiüberwachung und -analyse vor allem auf die industrielle Fischerei konzentriert. Nun strebe man Partnerschaften mit Netzwerken von lokalen Organisationen, Fischern und Gemeinden an, erklärt Kimberly Vosburgh, Leiterin der Kommunikation bei GFW. „Wir erkennen die entscheidende Rolle an, die die handwerkliche Fischerei spielt und wollen eine bessere gemeinsame Bewirtschaftung, Überwachung und Durchsetzung der für die handwerkliche Fischerei ausgewiesenen Gebiete ermöglichen.“
Global Dialogue on Seafood Traceability (GDST): Standards für Rückverfolgbarkeit
Die internationale Business-to-Business-Initiative wurde als Ad-hoc-Plattform von zwei NGOs, dem „World Wildlife Fund“ und dem „Institute for Food Technologists“, einberufen, um freiwillige Industriestandards für die Rückverfolgbarkeit von Meeresfrüchten zu schaffen. GDST hat sich im Vorjahr zu einer dauerhaften, von der Industrie getragenen Organisation entwickelt, deren Standards von mehr als 90 Unternehmen in 30 Ländern akzeptiert werden. Wichtige regulatorische Prozesse – etwa in den USA, Kanada, der EU oder Japan – orientieren sich zunehmend am GDST-Ansatz.
Letztlich haben Initiativen gegen Überfischung nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Vorteile, wie die Weltbank vorrechnet: „Jedes Jahr verliert die globale Fischerei 83 Milliarden US-Dollar an wirtschaftlichen Vorteilen durch Überfischung – eine Summe, die stattdessen produktiv in Menschen, Gemeinschaften und Volkswirtschaften reinvestiert werden könnte“.