Wenn Stoffe Erde werden

Stefan Grabher. Foto Angela Lamprecht

Wie lassen sich Textilien so lange wie möglich wiederverwerten? Stefan Grabher, Gründer und Geschäftsführer bei Mary Rose, hat in seinem Unternehmen für Heimtextilien echte Kreislaufwirtschaft als Ziel.

Von Magdalena Mayer

„Die Kresse wird gepflanzt und darunter der Stoff abgebaut. Dann sieht man bald, was passiert, weil die Pflanze sensibel auf die Erdbeschaffenheit reagiert“, erklärt Stefan Grabher, während er Bilder von Kressebüscheln in einer Broschüre von Mary Rose herzeigt. Die Fotos der Pflanzen in verschiedenen Stadien dokumentieren die biologische Abbaubarkeit von Baumwollbettwäsche seines Unternehmens für nachhaltige und fair produzierte Heimtextilien: Wächst die Kresse schön, kann man davon ausgehen, dass der Boden trotz der in ihm abgelegten Produkte gesund blieb und sich die empfindliche Pflanze in dem neuen Substrat gut entwickeln konnte. Nach 35 Tagen sei der Stoff rückstandslos biologisch abgebaut, schildert Grabher. Das sei auch unter Laborbedingungen bewiesen worden und könne auf jedem Komposthaufen nachgemacht werden.

Wenn der Vorarlberger schildert, dass er einst Archäologe werden wollte, merkt man seine Begeisterung für wissenschaftliche Forschung. Die Kressestudie, die 2020 an der Universität Innsbruck von der Masterstudentin Livia Hökl durchgeführt wurde, bestätigte, dass die untersuchten Baumwollprodukte von Mary Rose im biologischen Kreislauf rückgeführt werden können: sich also am Ende auflösen und wieder in den Naturkreislauf gelangen. Dass das funktioniert, ist für Grabher ein zentraler Schritt hin zu einer „echten“ Kreislaufwirtschaft.

Dorthin sollen auch die Kriterien des Cradle-to-Cradle-Prinzips führen, die auf die vollständige Kreislauffähigkeit von Produkten abzielen. Bei Mary Rose sind Produkte aus dem Sortiment Bettwäsche und Frotteewaren aus Bio-Baumwolle mit dem Label „Cradle to Cradle Gold“ zertifiziert, dem zweithöchsten von vier Graden. Vor Kurzem bekam man auch den internationalen „Green Product Award 2023“ des Green Future Club in der Kategorie „Interior & Lifestyle“.

Transformation hin zum biologischen Kreislauf

Als Grabher 1990 seine Firma Mary Rose gründete und – „wegen familiärer Prägung“, wie er sagt, – bald darauf beschloss, nachhaltige Produktionswege einzuschlagen, war das schwierig. Heute gebe es viele Bestrebungen in der Branche, darunter Textilsiegel für umweltfreundlichere Produkte. „Aber wir haben punktuelle Lösungen, keine gesamthafte“, sagt Grabher. Gerade für Kleinunternehmen wie Mary Rose sei es ein herausfordernder Aufwand, Kriterien für Zertifikate einzuhalten und die dafür nötigen Dokumente einzureichen. EU-weite Maßnahmen für Standards wie Cradle to Cradle und dafür definierte Spielregeln wären wichtig, meint Grabher. Zudem würden unterschiedliche Zertifizierungen nur einzelne Aspekte in der Textilbranche abdecken – und auch wenn „Cradle to Cradle Gold“ dabei die Kür sei, hält er es für nötig, auch andere Zertifikate bei seinen Produkten zu verwenden. Global Organic Textile Standard (GOTS) für umwelttechnische Anforderungen entlang der Produktionskette und für Sozialkriterien ist bei Baumwolle Standard, Fair Wear bescheinigt angemessene Arbeitsbedingungen.

Im Jahr 2020 war die Textilindustrie die drittgrößte Quelle für Wasserverschmutzung und Flächenverbrauch, listet das Europäische Parlament. Kreislauffähige Konzepte, bei denen Textilien auch tatsächlich wieder dem biologischen Zyklus zugeführt werden, sind Leuchtturmprojekte, allerdings auf breiter Ebene erst in Nuancen erkennbar. Mit Mary Rose beweist ein Kleinunternehmen, dass Baumwolle durchaus im biologischen Kreislauf ohne Schaden an der Umwelt zirkulieren und dann abgebaut werden kann.

Bewusstsein beim Benützen

Um dorthin zu gelangen, müssen zum Beispiel für ein Cradle-to-Cradle-Produkt – bei Mary Rose trägt bei Baumwolle im Bettwäschebereich etwa die Hälfte das Siegel, bei Frotteewaren fürs Bad rund 90 Prozent – folgende Punkte erfüllt sein: Materialgesundheit, Materialkreislauf, erneuerbare Energie und Carbon Management, Wasserqualität und soziale Fairness. Bei der Auswahl des Materials fängt es an, meint Grabher. Es komme immer darauf an, in welcher Region Baumwolle angebaut und wie sie bearbeitet wird; er setzt auf Biobaumwolle aus der Türkei. In den dortigen Partnerunternehmen wird in kleinen Strukturen genäht, gewebt und gefärbt. „Das sind Ausnahmen, andere Felder sind riesig“, sagt er. Wenn die Stoffe dann ins österreichische Lager kommen, werden Stichproben genommen, ob die Kriterien für die angegebenen Umweltlabels erfüllt sind, die Farbe auf chemische Inhaltsstoffe getestet oder die Echtheit der Materialien.

Zu Grabhers Unternehmen gehören inzwischen zwei Geschäfte, Mary Rose in Dornbirn und Tyrler in Innsbruck. In der Filiale in Vorarlberg steht er selbst und erklärt, was ab dem Kauf zu beachten ist. Dort verkauft er auch Weingläser und wünscht sich, dass sich Leute bei Textilien ebenso gut auskennen würden wie bei Wein. Denn, so Grabher: „Eine entscheidende Frage ist auch: Was passiert mit dem Produkt während seines Lebenszyklus?“

Bei jedem Waschgang lösen sich Partikel aus Stoffen: ein Problem, das insbesondere bei synthetischen Materialien nicht immer bewusst ist. „Auch diese Partikel müssen biologisch abbaubar sein“, ergänzt Grabher. Er setzt in seinem Unternehmen auf neutrale Farbstoffe – in konventionellen Farben sind meist Chemikalien enthalten. Auch eine sorgsame Nutzung kann die Lebensdauer der Produkte verlängern. „Im Prinzip kann einen eine Bettwäsche ein Leben lang begleiten“, meint Grabher, in Realität schaut das natürlich oft anders aus. So hat er mit seinem Unternehmen auch Möglichkeiten überlegt, um die Produkte im Kreislauf zu halten, selbst wenn Verbraucherinnen und Verbraucher sie aussortieren: Er bietet Reparaturen und eine Rücknahmeaktion an, wenn Flicken nicht mehr möglich ist. Man bekommt Rabatt auf Neuware und bei den alten Produkten werden Wiederverwertungsmechanismen eingeleitet, um sie in einen weiteren Verwendungszyklus zu bringen. Aus ihnen können Fleckerlteppiche oder Füllmaterialien entstehen. 20 bis 40 Stück pro Monat kämen derzeit zurück. Wenn sich dies steigern würde, hätte man noch mehr Spielraum in der Wiederverwertung.

Endziel: abbaubar

„Wenn am Schluss nichts mehr geht, muss das Endziel die Abbaubarkeit im biologischen Kreislauf sein“, ist für Grabher gewiss. Konventionelles Recycling sei meist Downcycling, bei dem nur ein geringer Prozentsatz der Materialqualität erhalten bleibe. Auch wird oft mit Mischfasern produziert, die bei der thermischen Verwertung schwierig zu trennen und wiederzuverwenden sind. „Dabei ist die Enddestination der Sondermüll, und dann kann man das Recycling Greenwashing nennen“, beklagt er. Mischfasern zu zerlegen, sei generell zeit- und kostenintensiv, neue Rohstoffe meist billiger. Nur auf Baumwolle zu setzen, die kompostierbar ist, ist allerdings auch nicht die Lösung, gibt Grabher zu bedenken. Sie könne die Nachfrage nicht abdecken, weil sie Anforderungen für Einsatzbereiche wie etwa Funktionswäsche nicht erfüllte. Aber auch wegen der Ressourcenknappheit: Bei ihrem Anbau wird übermäßig viel Boden und Wasser verbraucht. „Darum ist es noch wichtiger, den Rohstoff im Kreislauf zu halten“, sagt Grabher.

Derzeit forscht er mit Manuel Schweizer, Gründer und CEO beim Schwester-Textilunternehmen Ocean Safe, mit der Universität Innsbruck und Livia Hökl im Rahmen ihrer Doktorarbeit an einer neuen Kollektion aus abbaubarem Polyester. Sie möchten sehen, was passiert, wenn Polymere mit hochwertiger Baumwolle zusammengebracht werden. Die Idee ist, diese Mischfaser bei ausgewählten Produkten einzusetzen und zu beobachten, wie sie sich verhält – ob sie sich zersetzt. Wenn alles gut läuft, sollen kommendes Jahr die Produkte in Serie kommen: Mit dem Ziel, dass auch bei der Mischfaser der Kreislauf biologisch und geschlossen ist.


Weitere Infos: maryrose.at



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