Widerstand!
Neue Rebsorten für die Zukunft
Biowinzerinnen und Biowinzer müssen bis 2030 den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln drastisch reduzieren. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, ist die Züchtung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten, sogenannter Piwis. Die Idee dahinter ist schlüssig und enkeltauglich, aber schmecken sie auch?
Text und Fotos von Jürgen Schmücking
Beim Thema Pflanzenschutz sind Biowinzerinnen und Biowinzer in einer echten Zwickmühle. Einerseits ist ihnen der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide, Herbizide und Fungizide untersagt. Das ist auch gut so, und streng genommen bei vielen auch der Grund für den Umstieg auf biologische Bewirtschaftung der Weinberge. Andererseits geht es auch nicht ohne. Jahre wie 2016 oder 2021, in denen langanhaltende Regenperioden dafür sorgten, dass Pilzkrankheiten wie Oidium (Echter Mehltau) und Peronospora (Falscher Mehltau) fröhliche Urständ‘ feierten, bereiten den Winzerinnen Kopfzerbrechen. Massive Ernteeinbrüche und hoher Arbeitseinsatz, um die Qualität zu halten, sind die Folgen feuchter Jahre. Also verwenden Biowinzer Alternativen zum synthetischen Pflanzenschutz, eine davon ist Kupfer. Das ist nicht neu. Kupfer wird im Obst- und Weinbau seit über 150 Jahren eingesetzt, um die Pflanzen vor Pilzbefall zu schützen. Das Problem des Kupfers ist, dass sich das Schwermetall im Boden anreichert und von dort kaum rauszubekommen ist.
Verbände, weinbauliche Hoch- und Fachschulen und viele Winzerinnen und Winzer arbeiten seit Jahren an Lösungen und Strategien, um den Kupfereinsatz zu verringern. Bis zu einem gewissen Grad gelang das auch. Die zulässige Menge beträgt derzeit drei Kilogramm pro Hektar und Jahr. Das ist bereits beträchtlich weniger als zu Zeiten der sogenannten „Bordeauxbrühe“, die in vielen Weinbauregionen – auch und vor allem in konventionell arbeitenden Betrieben – für extrem hohe Phosphat- und Kupfergehalte sorgte.
Druck auf die Biowinzer wird aber nicht nur von Pilzen ausgeübt, auch die EU trägt dazu bei. 2013 wurde Kaliumphosphonat aus der Betriebsmittelliste des Bioweinbaus gestrichen und im Rahmen des „European Green Deal“ und der „Farm-to-Fork“-Strategie wird bis 2030 eine Verringerung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes um 50 Prozent gefordert. Eine echte Herausforderung für Biowinzerinnen und Biowinzer.
Es gibt in dieser Frage eine Reihe von Lösungsansätzen. Die einen experimentieren mit (winzig kleinen) Mikrokapseln, bei denen Kupfer erstens in viel geringerer Menge und zweitens peu à peu freigesetzt wird. Die Idee könnte von der Pharmazie inspiriert sein, die Medikamente entwickelt hat, die den Wirkstoff über einen längeren Zeitraum und in kleinen Dosen an den Körper abgibt, Stichwort Retardwirkung. Andere versuchen, pflanzeneigene Abwehrstoffe aus dem Rebholz zu extrahieren und die Rebe dadurch zu stärken. Wieder andere – vor allem die Standesvertretung – machen politisch Druck, um die Wiederzulassung von Kaliumphosphonat zu erreichen. Die stärkste Strategie aber, also jene mit den größten Aussichten auf Erfolg, ist die Züchtung pilzwiderstandsfähiger Rebsorten: der Piwis.
Muscaris, Solaris und Konsorten
Die Idee ist überzeugend einfach. Piwi ist die Abkürzung für pilzwiderstandsfähige Rebsorten. Die Betonung muss hier auf widerstandsfähig liegen. Sie werden nämlich oft auch als pilzresistente Sorten beschrieben, das sind sie aber (noch) nicht. Oder als pilztolerant, was schon eher zutrifft. Versuchen wir eine erste Definition. Unter Piwis versteht man Rebsorten, die durch Blütenkreuzung europäischer Rebsorten mit amerikanischen oder asiatischen Sorten entstehen. Durch diese Kreuzungen wird eine bestimmte Widerstandskraft gegenüber Echtem und Falschem Mehltau, manchmal auch gegenüber anderen Rebkrankheiten wie Botrytis oder Schwarzfäule erzeugt.
Eine der bekanntesten Sorten heißt Solaris. Den Namen kennen wir aus dem Science-Fiction-Roman von Stanislaw Lem. Und wir wissen, dass er etwas mit der Sonne zu tun hat. Das passt auch irgendwie, weil die Rebsorte Solaris die Wärme der Sonne in gehaltvolle und fruchtbetonte Weine verwandelt. Die Geschichte der Kreuzung liest sich wie eine verworrene Familienaufstellung. Ihr eigentlicher Name ist Fr 240-75, was auf ihre Herkunft, das Staatliche Weinbauinstitut Freiburg hinweist. Die Elternrebsorten, die zur Kreuzung herangezogen wurden, sind Merzling und Gm 6493. Das Gm steht dabei für die Weinbauhochschule Geisenheim. Der Merzling, ebenfalls eine Freiburger Züchtung aus den Sorten Syve Villard 5-276, Riesling und Grauburgunder, wurde irgendwann ausgemerzt, weil seine Widerstandsfähigkeit gegen den Falschen Mehltau zu gering war. Letztlich sind bei einem Elternteil des Solaris die Rebsorten Zarya Severa und Muskat Ottonel im Spiel. Der illustre Stammbaum adeliger Familienzweige ist nichts dagegen. Angepflanzt wird Solaris vor allem im Süden Deutschlands, also im warmen Baden, in der Schweiz – überall dort, wo klimawandelbedingt Weingärten entstehen, wo früher keine waren. Also zum Beispiel auch in Belgien oder Dänemark oder in Tirol.
Haben gut lachen: Die Piwis von Selina und Manuel Ploder überzeugen auf ganzer Linie.
Neu sind die Piwis jedenfalls nicht. Andreas Dilger, Piwi-Pionier der ersten Stunde und Vorsitzender der Vereinigung Piwi Deutschland, sieht drei Generationen dieser Rebsorten. Aus einem aktuellen Interview mit der Zeitschrift „Ökologie und Landbau“: „Ja, es gibt die erste, zweite und dritte Generation der Piwis. Zur ersten gehört zum Beispiel der Regent, den ich zwar als Wein schätze, der sich aber als nicht sehr robust gezeigt hat, ebenso wie die Sorte Bronner. Ein Alleskönner der dritten Piwi-Generation ist Souvignier Gris. Da passt alles: wunderschöne Trauben in blassem Rosa, absolut pilzresistent, und es lassen sich wohlschmeckende Weine keltern.“
Letzteres ist übrigens ein Knackpunkt. Die Weine der ersten Generation teilten oft das Los früher Bioweine: fehlende Akzeptanz bei weinaffinen Genießern, keine Lobby durch die Behörden und wenig Freude bei den Händlern. Nicht ganz ohne Grund, wohlbemerkt. Die ersten Weine waren, was sie eben waren: Feldversuche. Und genau so haben sie oft auch geschmeckt. Das hat sich allerdings grundlegend geändert.
In Österreich gibt es in der Steiermark einige Winzer, die aus Piwis herausragende Weine machen. Ein Betrieb, der sich da besonders hervorgetan hat, ist das Weingut Ploder-Rosenberg im steirischen Vulkanland. Im Betrieb ist mittlerweile die dritte Generation am Ruder. Selina und Manuel Ploder haben sich voll und ganz dem biodynamischen Weinbau und den Naturweinen verschrieben, Anbau pilzwiderstandsfähiger Rebsorten inklusive. Diese ziehen sich wie eine rote Linie durch das klar strukturierte Sortiment des Hauses. Der oben bereits genannte Souvignier Gris wird in der Produktlinie „Linea“ sortenrein ausgebaut und ist eine Zierde seiner Art. In zwei Verkostungen, die beide anerkannt sind und doch verschiedener nicht sein könnten, erreichte der Souvignier Gris aus dem Haus Ploder-Rosenberg stattliche 95 Punkte. Einmal von Peter Moser von „Falstaff“ und einmal von Martin Darting und seinem Kosterteam. Beide Verkoster attestierten dem Wein ein hohes Maß an Komplexität und Vielschichtigkeit, Frucht, Struktur und feinen Gerbstoff. Auf den Punkt gebracht: einfach ein geiler Wein.
Die Ploders können Piwi aber nicht nur reinsortig. Gerade bei den Cuvées agiert Manuel Ploder als feinsinniger Masterblender. Bei den Basis-Weinen – die Ploders nennen die Linie „Fundamental“ – werden Piwis als identitätsstiftende Cuvéepartner eingesetzt. Der Wein „Vivas“ ist eine Aromabombe, bei dem die Sorten Blütenmuskateller, Sauvignac und Muscaris die erste Geige spielen. Beim „Cara“ sind es dagegen hauptsächlich Bronner und Souvignier Gris. Der Wein ist dadurch deutlich tiefgründiger und burgundischer. Die Linie „Archaik“ orientiert sich an Farben und den Elementen. Hier steuern die Piwis elementare Akzente bei.
Auf jeden Fall zeigen die Weine von Ploder-Rosenberg, dass aus Piwi-Rebsorten grandiose Weine gemacht werden können. Im Moment sind weltweit erst knapp drei Prozent der Rebfläche mit pilztoleranten Sorten bepflanzt. Aber: Vor 20 Jahren grundelte auch der Anteil biozertifizierter Rebflächen bei drei bis fünf Prozent herum, heute sind es über 20. Das Potenzial ist also enorm.