Wie Bürger Wissen schaffen

Citizen-Science-Projekte setzen auf das Prinzip Schwarmintelligenz: Jede und jeder kann mithelfen, Daten liefern und einen wissenschaftlichen Beitrag leisten.
Von Wolfgang Knabl

Selbst aktiv mithelfen
Umwelt- und Klimaschutz braucht Leute, die anpacken. Wer Zeit investiert und aktiv mithilft, bekommt auch selbst etwas zurück: Etwa das gute Gefühl, gemeinsam mit anderen etwas Sinnvolles zu tun. Interessant und zielführend ist die Zusammenarbeit von Laien mit Wissenschaftlern. Wer bei wissenschaftlichen Projekten mitarbeiten möchte, bekommt auf der Webseite des „Citizen Science Network Austria“ einen guten Überblick. Eines der bekanntesten Citizen-Science-Projekte sind die von der Vogelschutz-Organisation „BirdLife“ organisierten und ausgewerteten Vogelbeobachtungs-Aktionen: Tausende Freiwillige aus ganz Österreich melden, welche Vögel in ihrem Umfeld – also etwa im Garten – verweilen. Diese Beobachtungen ermöglichen es Wissenschaftlern, die Entwicklung der Artenvielfalt zu erforschen und datenbasierte Schutzmaßnahmen auszuarbeiten. Informationen über Status und Verbreitung der Vögel sind zudem wichtige Grundlagen für Naturschutzarbeit. Die beteiligten Bürger wiederum lernen die Artenvielfalt in ihrem Umfeld besser kennen. So manche haben durch die erste nähere Beschäftigung mit Rotkehlchen und Co. auch ein neues Hobby gefunden.

Viele Bürger, quer durch alle Altersgruppen, wollen etwas Sinnvolles im Bereich Umwelt- und Naturschutz tun. Vor allem bei projektbezogenen Forschungsarbeiten ist der Zulauf steigend. „Das entspricht zunehmend auch den Arbeitswelten vieler Menschen, manche übersiedeln zudem immer wieder“, sagt Katrin Vohland. Die Leiterin des Naturhistorischen Museums (NHM) Wien hat die europäische Citizen-Science-Bewegung maßgeblich mitgeprägt. Ihr Faible für Feldforschung zeigte sich schon früh: Für ihre Promotion über Artenbildung und Biodiversität forschte sie im Amazonasgebiet, in Peru hat sie mit Bauern Tausendfüßler gesucht. „Draußen vor Ort sein und anschließend die gewonnenen Daten systematisch wissenschaftlich erfassen: Das ist enorm wichtig für strukturierte Naturbeobachtungen. Und wir Wissenschaftler können nicht überall sein“, beschreibt sie die große Bedeutung der Zusammenarbeit mit Laien.

Gemeinsam mehr Wissen schaffen
Tatsächlich liefert Forschung mit Bürgerbeteiligung wichtige Inputs für den Schutz und Erhalt der Ökosysteme, aber auch für Herausforderungen wie etwa die Hitze in Städten. Katrin Vohland wünscht sich daher eine entsprechende Unterstützung für Menschen, die ihre Freizeit in Citizen-Science-Projekte investieren. Wie würde sie einem Skeptiker erklären, warum – etwa das Umweltministerium – Anreize für Bürger zum Beispiel fürs Käferzählen schaffen sollte? „Wir Menschen hängen sehr stark von der Natur ab. Käfer sind wichtige Zersetzer, erzeugen Humus, erschließen Nährstoffe, bestäuben, sind Nahrung für andere Tiere und wichtige Bestandteile des Ökosystems“, erklärt sie. „Käfer können aber auch Schädlinge sein. Es ist wichtig, einen fundierten Überblick zu haben.“ Ebenso seien Daten, wann und wo welche Pflanzen zu blühen beginnen, wichtige Indikatoren um zu erforschen, wie sich unsere Vegetation in Zeiten des Klimawandels entwickelt.
Die heurige Konferenz der Europäischen Citizen-Science-Bewegung fand Anfang April in Wien statt. Auf der Agenda: Das Potenzial der Citizen Scientists als Wegbereiter des Wandels in Forschung und Gesellschaft. Nicht nur bei Umweltprojekten, auch bei sozial-ökologischen Transformationen kann Bürgerbeteiligung eine zentrale Rolle spielen. Beispiel: Ein Projekt über Reparier-Cafés und Offene Werkstätten lieferte Daten über die Szene – und brachte gleichzeitig frischen Zulauf für die „Reparieren statt Wegwerfen“-Community.

Dr. Katrin Vohland, Foto NHM Wien,
Foto Christina Rittmannsperger

Clownfisch


„Einerseits ermöglichen Citizen-Science-Projekte Ergebnisse, die auf vielen individuellen Daten beruhen, das ist entscheidend für Innovationen und Transformationen“, sagt Katrin Vohland. Andererseits seien die teilnehmenden Bürger auch Multiplikatoren, sie bringen die Themen in ihre Familien, ihren Freundeskreis. „Sie sehen bewusster, wie sich etwa Schadstoffe auf Pflanzen oder Bautätigkeiten auf Tierpopulationen auswirken. Das verändert möglicherweise das Verhalten der Umwelt gegenüber oder den Konsum.“ Noch etwas lernen viele Teilnehmer: „Forschung macht Spaß.“ Mit welchen Tieren würde die NHM-Direktorin die Citizen-Science-Bewegung vergleichen? Die Antwort auf diese Frage führt ins Korallenriff, wo Clownfisch und Anemone in einer symbiotischen Beziehung leben. Der Clownfisch versorgt die Anemone mit Dünger und Nahrung, sie beschützt ihn dafür.

Weiterführende Informationen:
citizen-science.at, birdlife.at


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