Wie das Meer von Plastik befreit wird
Von der Idee eines Teenagers zu einem globalen Projekt in Sachen Umweltschutz: „The Ocean Cleanup“ entfernt Plastikmüll aus den Weltmeeren. Von Sarah Kleiner
Sie zählen wohl zu den unangenehmsten Berichten der menschengemachten Umweltverschmutzung: Beiträge über die Vermüllung der Weltmeere mit Plastik. Das „Great Pacific Garbage Patch“, eine Müllinsel im Nordpazifik, hat inzwischen die Ausmaße der doppelten Fläche von Texas erreicht. Bilder von Meeresbewohnern, die in Plastik gefangen sind, oder von den Innereien verstorbener Vögel voller Kunststoffpartikel sind wenn nicht herzzerreißend, zumindest beunruhigend.
Wer Dreck verursacht, muss ihn auch wieder wegmachen, ist wohl ein Grundsatz, den viele Menschen verstehen, aber bei Weitem nicht alle leben. Boyan Slat schon. „Beim Tauchen in Griechenland sah ich mehr Plastiktüten als Fische“, sagte der 18-jährige Studienanfänger einleitend bei einem Vortrag im Rahmen einer TEDx Konferenz in Delft 2012. Der Niederländer präsentierte dort erstmals seine Idee, die uns heute als „The Ocean Cleanup“ bekannt ist – er wollte nicht länger zusehen.
Am Anfang stand eine Idee
Slat erzählte, er habe nach seinen Beobachtungen beim Scuba Diving, nachdem er selbst in den entlegensten Taucherregionen unter Wasser auf Mikroplastik gestoßen ist, mit Schulkollegen zu forschen begonnen. Sie kontaktierten Umweltwissenschaftler und Forschungsinstitute, die erste Erkenntnis: es gab kaum belastbare Daten zum Ausmaß der Verschmutzung. Schätzungen reichten – und reichen auch heute noch – von ein paar bis zu ein paar hundert Millionen Tonnen Plastikmüll, der in den unterschiedlichsten Größen und Formen in den Weltmeeren schwimmt.
Die Jugendlichen stellten erste technologische Überlegungen an, machten Experimente auf See, zerbrachen sich den Kopf darüber, wie man den Unrat wieder aus dem Wasser fischen könnte, ohne dabei die Meeresbewohner zu gefährden. Schnell beschlossen sie, sich mit den Aufräumaktionen auf die fünf großen Ozeanwirbel (auf Englisch „gyres“) zu konzentrieren, in denen sich der Müll durch natürliche Strömungen sammelt und unter Wasser zirkuliert.
Die bisherigen Überlegungen, die Meere mit Netzen zu durchkämmen, wurden weiterentwickelt. Die Netze sollten an Fangarmen angebracht sein, die von einem Träger in Form eines Mantarochens zusammengehalten werden. Ein solches Filtersystem müsste fest verankert sein, die Strömung würde den Rest von alleine erledigen. Das Wasser sollte den Müll zum Filter schwemmen – die Idee für „System 001“ ist geboren, doch bis zu einem tatsächlich funktionierenden Modell ist es noch ein weiter Weg.
Boyan Slat bricht sein Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Delft nach sechs Monaten ab und gründet 2013 mit 300 Euro Ersparnissen am Konto „The Ocean Cleanup“. Kurz darauf beginnt ein Crowd- funding, bei dem innerhalb von 100 Tagen 2,1 Millionen US-Dollar gesammelt werden.
Zahlreiche Feldversuche und Prototypen, Machbarkeitsstudien und Expeditionen, Pannen und Erfolge später geht im Sommer 2019 „System 001/B“ im Nordpazifik in Betrieb und kann tatsächlich Plastik in geraumen Mengen aus dem Wasser filtern. „Ich bin sehr stolz, Ihnen heute mitteilen zu können, dass wir ab jetzt Plastik sammeln“, sagt Boyan Slat bei einer Pressekonferenz anlässlich der ersten funktionierenden Anlage im Wasser. „Wir haben jetzt ein in sich geschlossenes System im Pacific Garbage Patch, das die natürlichen Kräfte des Ozeans nutzt, um passiv Plastik einzufangen und zu konzentrieren.“
Globaler Einsatz und viel Unterstützung
Boyan Slat ist heute 28 Jahre alt und CEO der „The Ocean Cleanup“ Stiftung, ein weiterentwickeltes „System 002“ wurde bereits zu Wasser gelassen, am nächsten wird geforscht. Partner sind inzwischen multinationale Konzerne, wie der Logistikriese Maersk, die Coca Cola Company oder der Autohersteller Kia – allesamt auch Mitverursacher des Problems, das „The Ocean Cleanup“ zu beseitigen versucht. Daneben finanziert sich das Projekt durch Spenden und Fördergelder. Die regelmäßigen Technologie-Updates in Form von Pressekonferenzen werden belagert von Journalistinnen und Journalisten aus aller Welt. „The Ocean Cleanup“ ist heute am ganzen Globus aktiv, allerdings wird die Initiative auch immer wieder dafür kritisiert, zu geringe Müllmengen zu befördern, um tatsächlich einen Effekt zu haben.
Gesteigert werden könnte diese zukünftig durch Reinigungsaktionen in Flüssen, weil der Abfall darüber erst in die Ozeane gelangt. Ziel des Projekts ist es, die 1.000 am stärksten verunreinigten Flüsse, die zusammen etwa 80 Prozent der Plastikverschmutzung im Meer verursachen, zu reinigen. Um sich an die diversen Situationen anzupassen, die die Umwelt vorgibt, hat „The Ocean Cleanup“ dafür den „Interceptor“ entwickelt, der in den unterschiedlichsten Gewässern genutzt werden kann. In Malaysia, Vietnam, Jamaika, der Dominikanischen Republik und Indonesien sind „Interceptors“ bereits im Einsatz.
Ein weiterer Meilenstein des Projekts ist zum Beispiel ein riesiger Gitterzaun, der im Rio Las Vacas in Guatemala, einem der am stärksten verschmutzten Flüsse, montiert wurde. Die Flut an Müll riss den Zaun binnen kürzester Zeit nieder, doch seit dem Wiederaufbau scheint der Einsatz geglückt. Aufgeben ist keine Option, jeder Rückschlag wird als Lektion zur Weiterentwicklung der Konzepte genutzt. Über ein Dashboard auf der Webseite und durch umfassende Informationsmaterialien kann man die Fortschritte der globalen Reinigungsaktion mitverfolgen.
Nutzen für die Wissenschaft
Mit der praktischen Projektarbeit geht auch Forschung einher. „The Ocean Cleanup“ publiziert wissenschaftliche Beiträge und Datenmaterial, das hilft, zu verstehen, wie und wo das Plastik in unsere Umwelt gelangt und wie wir es wieder rausbekommen. Das ermöglicht außerdem die Optimierung von Recycling-Prozessen, sowohl hinsichtlich der Standorte von Anlagen, als auch im Bezug auf die möglichst effiziente Wiederverwertung der Ausgangsstoffe. Der Meeresunrat, den „The Ocean Cleanup“ sammelt, wird wieder zu Granulat verarbeitet und an strategisch ausgewählte Recyclinganlagen verkauft, die das Plastik nachhaltig binden sollen.
Nachdem das Projekt von Beginn an mit großen Netzen arbeitet, die das Meer durchkämmen, stellt sich auch seither die Frage, wie dabei keine Meeresbewohner verletzt und gefangen werden. Die Systeme seien deshalb so designt, dass das Risiko von Kollateralschäden dieser Art minimiert wird. Unterwasserkameras, das niedrige Tempo, mit dem die Netze durchs Wasser gezogen werden, und die Crew vor Ort sorgen dafür, dass Fische und andere Lebewesen sich rechtzeitig entfernen können. „Wenn nötig, können und werden wir die Reinigungsaktion stoppen, basierend auf der Schwere des Vorkommnisses“, schreibt die NGO dazu auf der Webseite.
Ironischerweise ist es die industrialisierte Fischerei, die einen Großteil des Mülls verursacht, mehr als 75 Prozent. Gleichzeitig gelangt das Plastik durch Zerfall in immer kleiner werdenden Stücken in die Nahrungskette und stellt dadurch für etwa drei Milliarden von Menschen, die sich von Meeresfrüchten und Fisch ernähren, ein wachsendes Gesundheitsrisiko dar.
Im „Pacific Garbage Patch“ sind es mit Stand Oktober 145 Tonnen Kunststoff, die von den inzwischen 120 Beteiligten und den freiwilligen Helfern des Projekts entfernt wurden, an allen Standorten zusammen 1.700 Tonnen Müll. Bis 2040 will „The Ocean Cleanup“ 90 Prozent des schwimmenden Ozeanplastiks entfernt haben. Ambitionierte Ziele, vor allem mit Blick darauf, das täglich weitere hunderttausend Tonnen davon ins Meer gelangen. Ohne eine radikale Trendwende in Kunststoffverbrauch und -produktion, wird die NGO ihr Ziel nur schwer erreichen, aber ein erster mutiger Schritt in einen hoffentlich expandierenden Markt wurde damit getan. „The Ocean Cleanup“ gibt Menschen Hoffnung auf eine intakte Umwelt und eine gesunde Meerestierwelt. Das Projekt gesellt sich damit zu einer Reihe von Initiativen, die glauben machen, dass die menschengemachte Zerstörung der Natur tatsächlich rückgängig gemacht werden kann. Was bleibt angesichts dieses Erfolgs anderes zu sagen als: Chapeau und Danke!