„Wie hässlich wir Menschen im Vergleich zu Insekten sind“

Foto Ursula Röck

Edgar Honetschläger ist Filmemacher, Maler und Umweltaktivist. Der gebürtige Linzer schafft Naturbezirke für Käfer und Ameisen und sorgt sich, dass aus unseren Betonlandschaften bald nur mehr die Alpen herausragen werden.
Von Wolfgang Paterno

Edgar Honetschläger, 1967 geboren, ist Filmemacher, Fotograf, Drehbuchautor, Künstler und Umweltaktivist. 1989 zog er von Wien nach New York, 1991 übersiedelte er nach Tokio, wo er bis 2011 lebte. Seitdem pendelt er zwischen Wien und Italien. Honetschlägers Werk ist so vielfältig wie vielgestaltig, so facettenreich wie immer wieder aufs Neue überraschend. Im Jahr 2018 gründete er den gemeinnützigen Verein „GoBugsGo“, der sich für die Erhaltung des Lebensraums von Insekten in Form des sogenannten Rewilding einsetzt, jenes ökologischen Konzepts, das auf die Minimierung menschlicher Eingriffe in bestimmte Naturgebiete abzielt. Honetschlägers jüngster Film, die Natur-Mensch-Meditation „Le Formiche di Mida/Die Ameisen des Midas“, erreichte im April die Kinos.

In einem Ihrer Videos aus dem Jahr 2018 stehen Ihnen aufgrund des Zustands unserer Zivilisation buchstäblich die Haare zu Berge. Besser ist es seit damals nicht geworden, oder?
Edgar Honetschläger: Auf keinen Fall. Siehe etwa die Versiegelung unseres Landes, die ungebremst weitergeht, der Mangel an Regen, die Beschleunigung des Artensterbens.

Sie sehen die Politik in der Pflicht, die grassierende Flächenversiegelung zu stoppen?
Es liegt an jedem einzelnen von uns, etwas dagegen zu unternehmen. Der Staat sind wir alle, deshalb muss jeder einzelne sein Verhalten ändern. Ich versuche das zumindest. Seit fünf Jahren bin ich in keinen Flieger mehr gestiegen. Sobald ich das aber bei einem Abendessen erwähne, fühlen sich alle angegriffen. Ich sage nie: „Du sollst nicht mehr fliegen“ – trotzdem herrscht sofort getrübte Stimmung am Tisch.

In Ihr Atelier bin ich mit dem Auto gefahren. Steht unser Gespräch unter einem schlechten Stern?
Überhaupt nicht. Ich würde sogar infrage stellen, ob E-Autos die bessere Alternative sind, weil bereits Hybridmotoren ein enormes Umweltproblem darstellen. Die Industrie ist darin geübt, uns Dinge vorzumachen: Im Moment wird das E-Auto als alternativlos angepriesen. Verschwiegen wird dabei, dass der Autobus mit klassischem Motor das weitaus CO2-schonendste Fahrzeug ist – und nicht der Zug, der auf Energie aus Kohlekraftwerken angewiesen ist. Das können Sie jedem CO2-Rechner entnehmen. Leider verfallen viele der in den Medien vorherrschenden Diktion und glauben, mit ihren E-Karossen etwas Gutes zu tun. Dem ist aber nicht so. Wir verschieben die Probleme, die wir erzeugen, immer nur. Dabei hilft ausschließlich Verzicht – und aus diesem kann man durchaus Lust gewinnen. Weniger ist mehr!

Sie sind Zeichner, Filmemacher, Maler, Fotograf, Skulpteur. Was machen Sie eigentlich nicht?
Musik. Als Künstler habe ich mir immer erlaubt, mich in jedem erdenklichen Medium auszudrücken. Meine Ideen münden in verschiedenen Ausdrucksformen. Am Anfang jeder Arbeit steht aber immer eine Zeichnung.

Sie lebten in New York, Rom, Palermo, Brasilia und Tokio. Kommen Sie schwer zur Ruhe?
Meine Mutter wollte Kosmopolitin sein. Die Zeit, in die sie geboren wurde, ließ es jedoch nicht zu – also habe ich ihren Traum erfüllt. 2011, nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima, übersiedelten meine Gefährtin und ich mit unserem Kind von Tokio nach Wien. Österreich allein geht gar nicht. Tarquinia und die Natur unweit von Rom wurden bald zu unserer zweiten Basis. Meine Arbeit nährt sich aus dem Wechsel zwischen Kulturen. Ich liebe es bunt. Mono lehne ich ab: monokulturell, monochrom, monotheistisch, monogam.

Kunst, die nur Kunst sein will, ist für Sie ebenfalls unerträglich?
Absolut. Als Künstler verstehe ich mich als Diener der Gesellschaft, der Übersetzungsarbeit leistet. Ich genieße das Privileg, über Dinge nachzudenken, wozu andere keine Zeit haben. Ich kann Denkprozesse anregen – und vielleicht den einen oder die andere so glücklich machen. Die Kunst hat sich zur Speerspitze des kapitalistischen Systems gemausert, mit obszönen Millionengewinnen. Warum müssen Künstlerinnen und Künstler denselben materialistischen Vorstellungen wie das Gros der Zeitgenossen folgen? Gerade die Kunst sollte dazu ein Gegenmodell darstellen.

Wechseln wir von den Kunstmillionen zu den kleinen Lebewesen. 2018 gründeten Sie den Verein „GoBugsGo“, der sich für die Erhaltung des Lebensraums von Insekten einsetzt.
Von den frühen Arbeiten zu Beginn der 1990er- Jahre bis heute sind die Natur und die Achtsamkeit den unscheinbaren Dingen gegenüber meine Themen. Unsere Mutter lehrte uns Kinder, dass der kleinste Wurm dieselbe Lebensberechtigung auf dieser Erde hat wie jeder Mensch. „GoBugsGo“ ist Kunst. Wenn die Taliban buddhistische Skulpturen zerstören, geht ein Aufschrei um die Welt. Es herrscht Einigkeit: Kultur ist schützenswert. Wenn ein Künstler ein Stück Natur zur lebenden Skulptur erklärt, löst sich die Dichotomie Kultur/Natur auf. „GoBugsGo“ verwirklicht eine künstlerische Utopie, indem wir gemeinsam menschenfreie Zonen schaffen, die gleich der Kultur schützenswert sind und den Schutz des Kollektivs genießen.

Lieben Sie alle Insekten?
Ja. Denken Sie an eine Spinne. Prägungen führen dazu, dass sie keinen guten Ruf genießt: Das Kind beobachtet die Mutter, die hysterisch wird, sobald eine Spinne durchs Zimmer krabbelt und ahmt es nach. Der Mensch tendiert dazu, alles, was kleiner ist als er selbst, zu erschlagen. Kehren wir die Größenverhältnisse um, dann erblicken wir eine Spinne im Ausmaß von 300 bis 400 Metern Körpergröße. Wie ungemütlich muss der Mensch für die Insekten sein!

Lästige Gelsen kommen bei Ihnen ungeschoren davon?
Sie sind Nahrungsquelle für viele andere Tiere. Man kann sich schützen, ohne zum Giftspray zu greifen. Wenn es keine Insekten mehr gibt, dann wird auch der Mensch Geschichte sein.

Dabei heißt es immer: Sterben die Bienen aus, sterben die Menschen.
Die domestizierte Biene erledigt sieben Prozent der gesamten Bestäubungsleistung, für alles andere sind wilde Insekten verantwortlich. Die Biene ist beliebt, weil sie Honig erzeugt. Ökologisch betrachtet ist jedoch jedes Lebewesen von enormer Bedeutung. Wenn eine Art ausstirbt, fallen wie bei einem Dominospiel viele andere Arten mit um. Ganz abgesehen davon, dass Insekten von einer unglaublichen Schönheit sind. Wie hässlich wir Menschen im Vergleich dazu sind: Auf dem Kopf und im Schritt haben wir ein paar kümmerliche Härchen – sonst sind wir nackt. Dagegen ist jedes Insekt ein Wesen unglaublicher Eleganz, die meisten Insekten sind auch völlig harmlos. Sie wollen mit uns Menschen nichts zu tun haben.

Wie kam es zu „GoBugsGo“?
„Study nature, not books“, sagte die große US-Biologin Lynn Margulis. Dass die Insekten in meinem Garten in Italien immer weniger wurden, die Trockenheit immer schlimmere Ausmaße annahm, versetzte mich – mit dem Schock von Fukushima in den Gliedern – 2017 in Panik. Ich fragte mich, wie ich mich weiter in Ästhetik üben sollte, wenn die Welt uns zwischen den Fingern davon rieselt. Inzwischen gibt es vier „GoBugsGo“-Non-Human-Zones. Der Hintergedanke beim sogenannten Rewilding im Rahmen von „GoBugsGo“: Der Besitz eines Individuums kann jederzeit enteignet werden – die Gemeinde will eine Straße bauen, die Natur soll einem Gebäude weichen. Wenn aber viele Personen ein Grundstück gemeinsam besitzen, wird es in der liberalen Demokratie schwer für die Politik, eine Liegenschaft umzuwidmen. Hinter „GoBugsGo“ versammeln sich InsektenforscherInnen, BiologInnen, und Bauern, rund 1.500 Menschen – was immer noch viel zu wenig ist. „GoBugsGo“ stellt die utopische Forderung nach Non-Human-Zones. Den Menschen verlangt es nach Freiheit, wieso gestehen wir der Natur keine zu?

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Die Natur und wir, das ist nicht gerade eine Erfolgsgeschichte.
Die Natur, das arme Hascherl, geht zugrunde, wenn wir nicht regulativ eingreifen: So lautet ein weit verbreiteter Irrglaube. Wer zugrunde gehen wird, das werden wir sein. Die Natur wird es immer geben, die Erde besteht auch ohne uns fort. In letzter Konsequenz kümmern wir uns, wenn wir für die Natur und den Klimaschutz eintreten, um uns selbst.

Wie schwer ist es, Land für „GoBugsGo“ zu erwerben?
Unglaublich kompliziert. Um das Grundstück im burgenländischen Breitenbrunn mussten wir drei Jahre lang kämpfen, um es schließlich kaufen zu dürfen. Die Bauern stemmten sich lange dagegen, weil sie keinen solchen „Sauhaufen“ vor ihrer Haustür haben wollten. Dabei weiß man, dass die verbliebenen Urwälder Europas für die Artenvielfalt enorm wichtig sind. Rewilding zu betreiben, bedeutet nicht, neue Urwälder zu schaffen, sondern die Tiere und Pflanzen in Ruhe zu lassen.

Für die Zukunft sehen Sie schwarz?
Bald werden aus dem ganzen Beton nur mehr die Alpen herausragen. Menschenfreie Zonen wie jene von „GoBugsGo“ werden dann anbetungswürdig sein. Als Kind durfte ich im oberen Mühlviertel noch Natur pur erleben. Heute ist dort alles verbaut, in jedem Kaff thronen mindestens zwei Supermärkte. Wie viele Plätze gibt es noch in Österreich, von denen aus man ungehindert, soweit das Auge reicht, blicken kann, ohne dabei auf irgendeine bauliche Hässlichkeit zu stoßen? Vielleicht geht das noch mit Mühe und Not im Waldviertel, von dem einen oder anderen Berg Vorarlbergs herab.

Da ist keine Hoffnung, nirgends?
Wenn Medien über die Erderwärmung berichten, dann wird die Apokalypse herbeizitiert. Wird aber vermittelt, alles sei ohnehin verloren, kann man sich gleich am nächsten Baum aufknüpfen, den es bald auch nicht mehr geben wird. Man muss sich selbst und den Menschen, so verzweifelt sich die Situation auch darstellen mag, Hoffnung geben. Mit Honig fängt man Fliegen, nicht mit Essig. Wenn jeder 15 Minuten die Woche dem Umweltschutz widmen würde, stünden wir anders da. Hört’s auf zu sudern! Tut’s was! Macht’s mit bei „GoBugsGo“! gobugsgo.org


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