Wintertourismus adé?

Wagrain-Kleinarl Skitour. Foto Christian Schartner

Der Wintertourismus in den Alpen steht vor einer doppelten Herausforderung: Er trägt zum Klimawandel bei und ist gleichzeitig sein Opfer. Wie lässt sich diese wichtige Einnahmequelle für die Bewohnerinnen und Bewohner des Alpenraums klimagerecht umwandeln?

Von Thomas Askan Vierich

Am besten wäre natürlich gar kein Tourismus. Also für die Natur, weniger für den Reisenden und die Menschen, die vom Tourismus leben. Jeder dritte Euro wird in Tirol von der Tourismus- und Freizeitwirtschaft verdient, jeder vierte Vollzeitarbeitsplatz hängt davon ab.

Hauptproblem: die Anreise

Sie verursacht den Hauptanteil der klimaschädlichen Treibhausgase: Die Mehrheit der Menschen reist mit dem Auto an (76 %), gefolgt von Flugzeug (13 %, Tendenz steigend), Bahn (7 %) und Reisebussen (3 %). Gerade im Winter verzichten Skifahrer nur ungern auf den Komfort des Autos: Wohin mit dem Gepäck und der ganzen Ausrüstung?

Wie man auch ohne Auto wunderbar (Winter-)Urlaub machen kann, zeigen alpine Ferienorte wie Werfenweng und Hinterstoder. Die haben sich zum Netzwerk „Alpine Pearls“ zusammengeschlossen und bieten spezielle Packages für die An- und Rückfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln und Shuttle-Services, gratis Skibussen und Elektroautos vor Ort.

Ende der Fahnenstange

In der 2021 erschienen Studie „Tourismus und Klimawandel“ analysieren die Autoren und Autorinnen das Dilemma, vor dem gerade der Wintertourismus steht: „Der Klimawandel verschärft den ohnehin steigenden Wettbewerbsdruck. Kürzere Saisonen, ein steigendes Risiko von Ausfalltagen aufgrund von Schneemangel sowie der steigende Beschneiungsbedarf stellen die Skigebiete vor Herausforderungen. Skifahren wird in Österreich bei entsprechender Beschneiung auch weiterhin möglich sein, jedoch ist mit einer Konzentration der Nachfrage auf Gunstlagen (das heißt höher gelegene Skigebiete, Anm.) sowie steigenden Kosten zu rechnen.“ CO2-Einsparpotenziale bestünden bei Skigebieten auch abseits des alpinen Skilaufs, und zwar vor allem durch den Bezug erneuerbarer Energien, die Nutzung emissionsärmerer Fahrzeuge sowie bei der Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden.
Soweit der nüchterne wissenschaftliche Befund. Fragt man eine Praktikerin vor Ort wie Michaela Hölz, Trainerin im Auftrag des „Global Sustainable Tourism Council“ (GSTC) sowie „Green Destinations“ Repräsentantin für Österreich und gerade mit der nachhaltigen Entwicklung der Skidestination Wagrain-Kleinarl im Salzburger Land beauftragt, klingt das so: „Tourismus ist und soll weiterhin in den Alpen möglich sein. Dennoch muss unter den verschärften Krisen von Biodiversitätsverlust, Klimawandel und Energiekrise ein Wandel stattfinden.“ Die Hauptprobleme seien der Verkehr, der Energieverbrauch und der Flächenverbrauch.

Faktor Beschneiung

An der (zunehmenden) Beschneiung von Pisten entzündet sich viel Kritik. In Österreich lag 2019 auf 70 Prozent der Pisten Kunstschnee. Über 1,3 Milliarden Euro hat das Land seit 2000 in die dafür notwendige Technologie gesteckt. Mittlerweile betreiben manche großen Skigebiete „Snowfarming“: Sie sammeln und konservieren Frühjahrsschnee im Schatten bis zum Anbruch der neuen Saison.

Die Studienautoren von „Tourismus und Klimawandel“ setzen beim Thema Beschneiung auf mehr Effizienz. So habe das Forschungsprojekt „PROSNOW1“ zum Ziel, ein Vorhersagesystem für die Optimierung der Beschneiungspraktiken zu entwickeln. „Die möglichst effiziente Nutzung der klimatisch gut geeigneten Beschneiungszeiten und Vermeidung von Beschneiung im Grenztemperaturbereich könnten den Energieeinsatz verringern. Kontinuierliches Monitoring der Schneehöhe auf Pistenflächen ermöglicht eine zielgerichtetere Beschneiung und Präparierung.“ Die hierdurch möglichen Einsparpotenziale werden auf 20 bis 25 Prozent geschätzt.

Zum Stromverbrauch sagt Michaela Hölz bezugnehmend auf Daten der Wirtschaftskammer Österreich: „Derzeit werden 1,2 Prozent des heimischen Strombedarfs in Österreich für Seilbahnen und die technische Beschneiung verwendet.“ Das müsse man in Bezug setzen zu den vielen Menschen, die sich im Naturraum an der frischen Luft bewegen, Sport treiben und den Gebirgstälern Einnahmen bringen.
Touristische Anbieter können auch eigenen Strom produzieren, zum Beispiel indem man Kraftwerksanlagen in Beschneiungsanlagen integriert: Statt eines Speicherteichs für die Beschneiung der Pisten errichteten die Riesneralm Bergbahnen im Winter 2019 ein Wasserkraftwerk, das an das Rohrsystem der bestehenden Beschneiungsanlage angeschlossen ist. Auf diese Weise produziert die Anlage sowohl Schnee als auch Strom. Über den Stromverkauf – produziert wird zweieinhalbmal so viel Strom wie die Bergbahnen für den Betrieb und die Beschneiung benötigen – finanziert sich der Bau des Kraftwerks. Die neue Anlage soll dazu beitragen, das Skigebiet Riesneralm energieautark zu machen.
Mittlerweile betreiben 98 Prozent der Skigebiete in Südtirol ihre Anlagen mit Strom aus regenerativen Energiequellen, wie das Urlaubsportal be-outdoor.de berichtet. Die aus Wasserkraft gewonnene elektrische Energie deckt nicht nur den lokalen Bedarf, sondern ist auch ein Exportschlager.

Allerdings: „Der Klimawandel als Kostentreiber könnte auch den Trend zu größeren Skigebieten weiter verstärken“, schreiben die Studienautoren. „Beides erhöht den Erschließungsdruck auf sensible Hochgebirgsräume. Häufig geforderte Anpassungsmaßnahmen sind der Ausbau in Richtung Vierjahreszeitentourismus und Alternativen zu schneeabhängigen Produkten. Ersteres wird seit Jahren von vielen Destinationen und auch Bergbahnen verfolgt.“

Und Letzteres bleibt häufig nur das Pfeifen im schneearmen Wald: Wer will schon im Winter durch graue, verregnete Landschaften wandern? Und ein Ausbau des Thermenurlaubs macht ökologisch auch nicht mehr Sinn und könnte für viele bald nicht mehr leistbar sein.

Sommerfrische reloaded

Kann der gerade in Österreich wieder aufblühende Sommertourismus einen zurückgehenden, weil immer teureren Wintertourismus wirtschaftlich ausgleichen und bringt der nicht neue Umweltbelastungen? Michaela Hölz: „Beim Tourismus im Allgemeinen und im Alpenraum im Besonderen, egal zu welcher Jahreszeit, geht es immer um das sogenannte Besucherlenkungssystem: Das ist das A und O. Und hier können wir alle massiv von den Bergbahnen lernen.“ Es gebe wenige Institutionen, die mit einer solchen Masse an Menschen auf relativ geringem Raum hervorragende Bewegungsmöglichkeiten entwickeln. Und dies müsse dann auch im Sommer angewandt werden, sagt Hölz. „Der Raumverbrauch sollte und darf nicht größer werden.“

Der Zwang zum Energiesparen

Hier kann auch die aktuelle Energiekrise einen klimafreundlichen Beitrag leisten. Thomas Reisenzahn von der Prodinger Tourismusberatung verweist auf die Schweiz: „Hier geht man das Thema aktiv und pragmatisch an, um die Wintersaison wie geplant durchziehen zu können. Die Vordenkergruppe Alliance 2022-23 rund um den Branchenverband HotellerieSuisse unterstützt die Sparziele der EU. Viele Betriebe senken beispielsweise ihren Gasverbrauch auf freiwilliger Basis um 15 Prozent.“

Es fehle oft an der nötigen Vernetzung von Wissenschaft, Energiewirtschaft, Liftbetreibern und Politik, sagt Andreas Haller, der mit seinem Team am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) tätig ist. Wie sich das ändern lässt, zeigte er in dem Projekt „Smart Altitude“. Das 2018 gestartete internationale Projekt, bei dem elf Partner aus sechs Alpenländern mitwirken, sollte Brücken zwischen der Wissenschaft und Skigebieten schlagen, die ihre Energiebilanz verbessern möchten. Vier Skigebiete konnten als Partner gewonnen werden: Les Orres in Frankreich, Madonna di Campiglio in Italien, Krvavec in Slowenien und Verbier in der Schweiz. Smarte Ideen zur Verringerung von Energiebedarf und Treibhausgasemissionen reichen von verstärkter Elektromobilität, Überwachung und Analyse des aktuellen Energiebedarfs im Skigebiet, Aufforstungsprojekten von Wäldern bis zu sozialen Überlegungen, wie man das Umweltbewusstsein bei Urlaubern stärken kann.


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