Wir bleiben das Original

Von Sarah Kleiner

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich Evi Ruescher und die ehemalige Mitherausgeberin des ORIGINAL Magazins, Judith Reichart, kennengelernt habe. Ich war Studentin, habe mein erstes Praktikum in der Redaktion des Wiener Monatsmagazins „Datum“ absolviert, war noch ein journalistischer Neuling. Da kamen die beiden Vorarlberger Frauen 2014 in die Redaktion, um sich zu vernetzen, ein paar Tipps zu holen und über ihre Magazingründung zu informieren.

Man wollte den vielen kleinen Initiativen, die Umweltlösungen entwickeln und leben, den Menschen, die Tugend und humanistische Werte zu Prämissen ihres Handelns machen, medial Raum geben. Man wollte das Bild einer Gesellschaft zeichnen, wie wir sie auch kennen. Der Mensch ist nicht nur schlecht, lügt, betrügt und korrumpiert. Er ist großzügig, selbstlos, kreativ, hilfsbereit. Naturverbunden. Ich war damals Feuer und Flamme für das Konzept und schrieb als freie Autorin von der zweiten Ausgabe weg in fast jedem Heft.

Konstruktiver Journalismus war damals in Österreich noch kein weit verbreiteter Begriff. „Only bad news is good news” heißt es ja bekanntlich und ein Magazin, dass „das Gute” abbilden, das Umwelt und Natur in den Fokus rücken will, wurde als sentimentaler Wohlfühljournalismus betrachtet. Ein klassisches Frauenmedium halt. Mit großer Freude konnten wir die vergangenen Jahre beobachten, wie immer mehr Medienhäuser die Notwendigkeit erkannten, ebenfalls konstruktiv zu berichten. Eigene Ressorts wurden etabliert, konstruktive Rechercheplattformen, Newsletter, Preise, Ausbildungsprogramme gestartet. Klimajournalismus ist nun endlich – zwar noch immer Jahrzehnte zu spät – ein fixer Bestandteil der großen Blätter und er wird auch vielerorts konstruktiv betrieben.

Das „Constructive Institute”, gegründet 2017 an der dänischen Aarhus Universität, forscht und fördert diese junge publizistische Strömung. Es liefert heute eine nähere Definition für konstruktiven Journalismus: „Seine Hauptaufgabe besteht darin, das Vertrauen in die Idee wiederherzustellen, dass gemeinsame Fakten, gemeinsames Wissen und gemeinsame Diskussionen die Säulen sind, auf denen unsere Gemeinschaften balancieren – und es stellt die demokratische Funktion des Journalismus als Feedback-Mechanismus in den Mittelpunkt, der der Gesellschaft bei der Selbstkorrektur hilft.“

Zentral ist die Lösungsorientierung: Wie können wir die Entstehung von Problemen verhindern, anstatt nach ihrem Aufkommen darauf zu reagieren? Wie konstruieren wir unsere Zukunft? Die Gesellschaft ist global und so sind es auch die Herausforderungen geworden, es gilt sich zu vernetzen und die Tragweite des menschlichen Handelns zu erkennen: Die immer weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich sorgt für soziale Instabilität, Kriege um die Restbestände fossiler Energiequellen werden ausgetragen, Konflikte genährt durch Lebensmittelknappheiten, die mit steigenden Temperaturen häufiger werden: Wenn man die Dringlichkeit dieser Probleme erkennt, dann wird lösungsorientierte Berichterstattung zur Notwendigkeit.

Der moderne Mensch verbringt im Schnitt mehrere Stunden am Tag vor einem Bildschirm. Das morgendliche Zeitunglesen und abendliche Zeit-im-Bild-Einschalten wurde ersetzt durch einen nie abreißenden Informationsstrom, der permanent in unsere Wahrnehmung drängt, uns tagein tagaus mit Krieg und Skandalen konfrontiert, vom Aufstehen bis zum Niederlegen. Korruptionsaffäre, Drohnenangriff, Steuerhinterziehung, Mord, tödlicher Autounfall, Drogentote hier, Totschlag da – welches Bild haben wir von der Gesellschaft, wenn das die wesentlichen Informationen über sie sind, die wir den Medien entnehmen können?

Eine Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts „Marketagent“ unter 1.000 Befragten zwischen 14 und 75 Jahren ergab, dass jeder Vierte sich lieber nicht mit Nachrichten über die Klimakrise beschäftigen möchte. Nachrichten über Corona würden von 58 Prozent, die über Kriege von 35 Prozent eher oder ganz vermieden. Konstruktiver Journalismus ist eine Möglichkeit, Probleme zu thematisieren, aber den Leser oder die Leserin mit einem Gefühl der Bewältigung zurückzulassen. Der Klimawandel findet statt, aber wir haben unzählige Möglichkeiten, damit umzugehen. Die Geschichte zeigt auch, dass schon diverse Weltuntergänge prognostiziert wurden, aber doch noch keiner eingetreten ist. (Holzklopfen!)

Wenn es Aufgabe des Journalismus ist, eine Gesellschaft so abzubilden, wie sie ist, dann ist es auch seine Aufgabe, das Positive dieser Gesellschaft aufzuzeigen. Als Journalistin, die auch leidenschaftlich investigativ recherchiert und durchaus schon Negativschlagzeilen produziert hat und weiterhin produziert, geht es hier keineswegs darum, die Rolle der Medien als Vierte Gewalt im Staat, die die Mächtigen kontrolliert und Missstände aufdeckt, zu verändern. Konstruktiver Journalismus ist eine Ergänzung, ein Add-on, um jene zurückzuholen, die sich angesichts der Negativität von Medien und damit auch vom demokratischen Diskurs abgewendet haben.

Es freut uns, dass das ORIGINAL Magazin in dem Sinn schon einige Nachahmer gefunden hat und eine Inspirationsquelle für andere Journalistinnen und Journalisten geworden ist. Es nimmt uns hoffentlich niemand übel wenn wir zum Jubiläum aber auch einmal betonen: Wir bleiben das Original.


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