„Wir werden die Klimaproblematik nicht ohne KI lösen“
In seinem Impulsbuch „Klimaresonanz“ plädiert Christoph Thun-Hohenstein dafür, unsere Lebens- und Wirtschaftskultur neu und nachhaltiger zu gestalten. Im Gespräch im gerade sanierten Kunst Haus Wien verrät er, wie wir mit radikal weniger Ressourcen klüger wirtschaften – und welche Rolle Kunst und künstliche Intelligenz dabei spielen.
Text Alexandra Wimmer, Fotos Petra Kamenar
Jurist, Diplomat, Kulturmanager, Kurator – Sie haben bereits eine bewegte Karriere hinter sich. Was waren die bisher prägendsten beruflichen Etappen?
Christoph Thun-Hohenstein: Prägend war für mich in den 1990er Jahren sicher die Beitrittsphase Österreichs zur Europäischen Union. Ich war Chefjurist bei den Beitragsverhandlungen und diese Idee, dass wir der EU beitreten, war mir auch persönlich sehr wichtig. Ab September 1999 habe ich in New York acht Jahre lang das „Austrian Cultural Forum“ geleitet. In meiner Zeit als Direktor des MAK, also des Museums für angewandte Kunst, habe ich die „Vienna Biennale for Change“ gegründet und zuletzt der Stadt Wien als Nachfolgeprojekt die „Klima Biennale Wien“ vorgeschlagen.
Dieses von Ihnen initiierte Kunst- und Klimafestival ging heuer erstmals erfolgreich über die Bühne – herzlichen Glückwunsch! In Ihrem Impulsbuch, das Sie anlässlich der „Klima Biennale Wien“ geschrieben haben, verknüpfen Sie Ihre vielen beruflichen Erfahrungen. Umwelt- und Klimafragen haben Sie ja auch immer schon beschäftigt.
Genau. Ich betreute für Österreich in den 1980er Jahren bei der UNO in Genf den Nord-Süd-Dialog. 1987 legte die Brundtland-Kommission das Konzept der nachhaltigen Entwicklung „Our Common Future“ vor. Das Thema hat mich seither nicht mehr losgelassen.
Was veranlasste Sie nun dazu, die Themenfelder Kunst, Umweltschutz und Künstliche Intelligenz zu verknüpfen?
Ich bin fasziniert von der Idee der Moderne. Davon, in einer Zeit zu leben, in der so vieles im Umbruch ist und bei der es sich genau genommen um eine Doppelmoderne handelt: Auf der einen Seite haben wir die Klimamoderne. Ich glaube, dass die Klimathematik unsere heutige Zivilisation grundlegend verändert. Und wir leben zugleich in der Digitalen Moderne, die ich zugespitzt die KI-Moderne nenne. Diese beiden Modernen müssen wir zusammen denken. Wir können nicht so tun, als würden wir nur in der einen oder anderen leben – es geht um dieselbe Zeitschiene. Zum Beispiel will Österreich bis 2040, die EU bis 2050, klimaneutral sein. Für denselben Zeitraum, nämlich bis 2045, sieht Ray Kurzweil, Forschungschef und KI-Visionär bei Google, dass der Verschmelzungsprozess von Mensch und Künstlicher Intelligenz voll einsetzen wird.
Dieses Ineinander-Aufgehen von Mensch und Superintelligenz sehen Sie kritisch – stattdessen fordern Sie „die prioritäre Ausrichtung von Künstlicher Intelligenz auf Klima-, Biodiversitäts- und Ökosystemschutz“. Wie könnte das gelingen?
Meine These ist: Wir werden die Klimamoderne nicht schaffen, wenn wir nicht auch die KI-Moderne bewältigen und umgekehrt. Wir müssen uns fragen, wie wir in der Zukunftsgestaltung von diesen beiden elementaren Kräften profitieren können. Wie wir Künstliche Intelligenz viel strategischer und strukturierter auch für die Bewältigung der großen ökologischen Fragen einsetzen können. In der Konsequenz plädiere ich für eine regenerative Moderne.
Und wie könnte diese aussehen?
Regeneration bedeutet im Kern, der Erde mehr zurückzugeben, als wir ihr entnehmen, und die Wirtschaft ebenso wie die Gesellschaft auf dieses Ziel einzuschwören. Es geht um die Schaffung eines neuen Gefühls des Miteinanders – jeder von uns als Teil einer weltumspannenden Gestaltungs- und Schicksalsgemeinschaft im Einklang mit der Natur und ihren anderen Lebewesen. Wir brauchen alle ein möglichst regeneratives Mindset. Ich glaube außerdem, dass wir ein neues Narrativ benötigen. Sehr oft betonen ja ökologiebewusst lebende Menschen: „Wachstum geht nicht mehr. Wir brauchen die Postwachstumsgesellschaft.“ Meiner Meinung nach müssen wir Wachstum neu denken: Qualitäts- statt Quantitätswachstum! Dazu müssen wir dringend eine neue Vorstellung davon entwickeln, was wir unter Wohlstand verstehen, einschließlich neuer Zugänge zur Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse. Wertvolle Anhaltspunkte dafür bietet die Gemeinwohl-Logik.
Nun haben Menschen hinsichtlich der Klimathematik sehr unterschiedliche Positionen: Manchen gehen die Maßnahmen längst nicht weit genug, andere sehen die Problematik nicht oder haben existenzielle Sorgen aufgrund von Teuerung und Inflation. Wie können diese verschiedenen Gruppen abgeholt werden?
Das Allerschwierigste ist, Hebel zu finden, um an die Menschen heranzukommen. Man muss ihnen nahebringen, wie relevant das Thema auch für sie ist – nicht erst in vielen Jahren, sondern schon jetzt! Dafür braucht es überzeugende Multiplikatoren, und dieses Potenzial steckt in jedem und jeder von uns. Es gilt, die Menschen auch emotional zu erreichen, denn Kenntnis allein hat noch selten Verhaltensänderungen bewirkt.
Angst und Panik auch nicht …
Eben – die Menschen schalten dann ab. Daher habe ich versucht, mögliche Hebel herauszuarbeiten. Wir haben eine zukunftsweisende Basis in Gestalt der Resonanztheorie von Hartmut Rosa. Er hat die meines Erachtens schlüssigste Grundtheorie für die Weiterentwicklung der fossilen Beschleunigungs-Moderne zu einer nachhaltigen Qualitäts-Moderne vorgelegt. Resonanz bedeutet eine Abkehr von der Steigerungslogik, indem sie die Qualität menschlichen Lebens nicht in der Währung von Ressourcen und Optionen misst, sondern von gelingenden Beziehungen zur Welt. Vereinfacht gesprochen meint Resonanz einen vibrierenden Draht zwischen Menschen, aber auch zwischen Menschen und Dingen, der Natur, einem Kunstwerk, einer Idee.
Bei Resonanz geht es also auch um Verbundenheit. Ein wichtiger Effekt könnte sein, dass wir, wie von Friedensreich Hundertwasser gefordert, Frieden mit der Natur schließen?
Genau. Zwei bedeutende Resonanzachsen sind unser Verhältnis zur Natur und unser Verhältnis zur Kunst. Erstere meint, dass wir viel stärker dafür aufnahmefähig werden sollten, was die Natur uns an Lebensqualität geben kann.
Sie schreiben außerdem, dass wir in der „Zukunftsgestaltung stark auf die Imagination und Vermittlungskraft der Künste“ angewiesen sind.
Ich arbeite seit über zwanzig Jahren an den Schnittstellen zwischen künstlerischen Sparten und den großen Zukunftsfragen und habe unendliches Vertrauen in die Kunst: Kunstschaffende beflügeln unser Vorstellungsvermögen und können uns alle anspornen, als Zukunftsdesignerinnen und -designer die Welt von morgen proaktiv mitzugestalten.
Nach der Lektüre erwartet uns „unbändige Lust an der Zukunftsgestaltung“ – wie könnte diese aussehen?
Wenn man begreift, was auf dem Spiel steht und man selbst beitragen kann, die Dinge zu ändern – in den eigenen Netzwerken, in der Familie und im Freundeskreis, im beruflichen Umfeld – dann verspürt man auch diese Lust, mitzugestalten. Wir alle können uns als Zukunftsgestaltende verstehen, indem wir verantwortungsvoll entscheiden: Wie konsumieren und leben wir emissionsarm und ressourcenschonend im Sinn der Kreislaufkultur? Und wie kann die Wirtschaft dem Rechnung tragen und die umfassende Nutzung technischer und biologischer Kreisläufe verinnerlichen?
Regeneration ist nicht nur für die Umwelt, sondern auch für uns Menschen wesentlich. Viel zu lange lief alles auf Funktionieren und Leistung bis zum „Geht-nicht-mehr“ hinaus. Das von Ihnen geforderte regenerative Mindset muss auch uns selbst inkludieren. Rosa bezeichnet nicht umsonst Zeitdruck, Angst und Konkurrenz als die effizientesten Resonanzkiller.
Das hängt alles eng zusammen. Für Resonanz ist es zentral zu fragen: Wie können wir Zeitdruck herausnehmen? Wie können wir das, was wir haben, viel bewusster genießen, anstatt ständig Neues an uns zu raffen? Regeneration hat Resonanz als Voraussetzung – diese ermöglicht eine andere Sicht auf die Dinge und kann die große Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft erheblich leichter machen.
Wir sitzen hier im schönen Café Friedlich im Kunst Haus Wien. Der Erschaffer, der Künstler und Ökologie-Pionier Friedensreich Hundertwasser, spielt in Ihrer Arbeit eine maßgebliche Rolle …
Ich bedaure, dass ich Hundertwasser nie persönlich kennengelernt habe. Für mich ist er, auch weltweit gesehen, einer der ganz großen Ökopioniere. Er hat seine Überzeugungen gelebt und in seiner Kunst zum Ausdruck gebracht. Er hat gefordert, dass unsere technischen Errungenschaften mit unserem kreativen Verantwortungsbewusstsein mithalten sollten. Und er hat sehr früh auf die maßgebliche Rolle Kunstschaffender hingewiesen, wenn es darum geht, ökologisch zu leben und sich als Mensch in die Natur eingebettet zu fühlen. Auch wenn damals vielleicht die Zeit dafür nicht reif war – jetzt ist sie es absolut!
Christoph Thun-Hohenstein
Klimaresonanz
Unsere Lebens- und
Wirtschaftskultur neu gestalten
148 S., Spector Books,
ISBN: 978-3-95905-867-4,
2024