Zeichen fürs Klima
Kann Künstliche Intelligenz gemeinnützige Bewegungen wie Fridays For Future unterstützen? Zwei Wiener Informatik-Designer zeigten es bei der London Design Biennale vor.
Von Franziska Dzugan
Zigtausende Besucher strömten trotz Pandemie diesen Sommer ins Londoner Somerset House. Viele von ihnen ließen sich dort ihr individuelles, einzigartiges Logo entwerfen. Martin Grödl und Moritz Resl, beide haben sowohl Kunst als auch Informatik studiert, wollen Aktivistinnen und Aktivisten rund um den Globus bei ihrem Kampf für das Klima, die Menschenrechte und andere Anliegen helfen. Sie haben ein intelligentes Computerprogramm entworfen, das mithilfe eines ausgewählten Vokabulars aus erlesenen Zeichen und Glyphen originelle Symbole generiert. Das Ziel: Mit den „Tokens for Climate Care“ knackige Botschaften zu vermitteln. Der Begriff Token wird in diesem Zusammenhang als Synonym für Symbol verwendet. Beim Besuch im Process – Studio for Art and Design von Grödl und Resl in Wien konnte man in Echtzeit verfolgen, wie die Gäste der Biennale in London in der raumgreifenden Installation die neue Technologie erproben.
Auf Klima-Demos sieht man hauptsächlich selbst gebastelte Plakate und Transparente. Stört Sie das?
Grödl: Keineswegs. Aber es ist eine Ungerechtigkeit, dass große Konzerne riesige Summen für Kampagnen ausgeben, um ihre Botschaften in die Welt zu tragen. Aktivisten haben so gut wie kein Budget, um eine eigene Symbolsprache zu entwickeln. Das wollen wir jetzt ändern.
Wie?
Resl: Wir stellen Protestbewegungen ein Werkzeug, eine Software zur Verfügung, die auf sie zugeschnittene Symbole entwirft. Die User wählen drei Begriffe aus dem Climate-Care-Vokabular und bringen damit ihre Inhalte in die Gestaltung ein. Das entstandene Symbol kann als Vektordatei runtergeladen werden und ist somit für alle möglichen Schritte des Grafikdesigns verwendbar. Es ist quasi eine Initialzündung für ein maßgeschneidertes Logo.
Womit haben Sie den Algorithmus gefüttert?
Resl: Wir wählten 7.000 Symbole und Zeichen aus Open Source-Bibliotheken aus und wiesen jedem eine Bedeutung zu. Die Symbole sollten möglichst klar, einfach, bedeutungsoffen und symmetrisch sein. Das Vokabular umfasst 50 sorgfältig ausgesuchte Begriffe. Die Aktivisten können aus vier Kategorien wählen: Natürliche Ressourcen wie Erde, Boden, Wasser zum Beispiel oder Aktivitäten wie Veränderung, Fortschritt oder Revolution. Wir haben das neuronale Netz darauf trainiert, daraus völlig neue Symbole zu kreieren.
Es gibt das berühmte Beispiel einer Künstlichen Intelligenz, die sich verselbstständigte und zum pöbelnden Neonazi wurde. Wie sehr vertrauen Sie Ihrem Algorithmus?
Grödl: Mit unserer Software wird das nicht passieren, wir haben sie ja nicht mit Hakenkreuzen gefüttert. Der Bias unserer KI ist klar pazifistisch und demokratisch.
Wie verhindern Sie, dass Corona-Leugner, Impfgegner oder Rechtsextreme Ihre Tokens nutzen?
Resl: Die User müssen den Terms of Care, einem Regelkatalog, zustimmen. Er schließt eine antidemokratische oder hetzerische Verwendung aus. Ich glaube deshalb nicht, dass unser Tool für extreme Gruppen und Verschwörungstheoretiker besonders interessant ist.
Große Tech-Konzerne nutzen Künstliche Intelligenz, um ihre Nutzer auszuspionieren und ihnen möglichst genau zugeschnittene Werbung zu präsentieren. Gibt es gute und böse Algorithmen?
Resl: Facebook und Google sind Unternehmen, die Gewinn machen wollen. Das ist bis zu einem gewissen Grad legitim. Jedem muss klar sein: Die Nutzungsbedingungen von Facebook nützen Facebook und sonst niemandem. Hier liegt der Unterschied zu unserer Software – unser Regelwerk nützt vor allem der Erde – und somit allen.
Grödl: Wir nutzen im Prinzip dieselbe Technologie wie Facebook. Die Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug, man kann es so oder so anwenden. Ich gebe Ihnen ein drastisches Beispiel: Man kann mit einem Hammer eine Schule bauen – oder jemandem den Kopf einschlagen.
Viele sehen in der Künstlichen Intelligenz eine Blackbox, von der keiner so genau weiß, was im Inneren vorgeht.
Grödl: Die KI erkennt Muster, zeigt sie auf und reproduziert sie. Der Vorgang dahinter ist so komplex, dass er oft nicht mehr nachvollziehbar ist. Trotzdem: Es wird Zeit, die Technologie zu entmystifizieren. Verantwortung tragt der, der die Software geschaffen hat, aber auch der User.
Sie verwenden die maschinelle Lerntechnik GAN. Was kann sie besser als andere?
Grödl: Sie kann eigenständig Bilder erzeugen. Sie ist zum Beispiel bekannt für ihre Fotos von Menschen, die es nicht gibt. Sie generiert sie aus unzähligen Bildern. Wir haben die Technik für Symbole verwendet, was hervorragend funktioniert.
Sie unterstellen der Künstlichen Intelligenz eine gewisse Kreativität. Kann ein Computer wirklich kreativ sein?
Resl: Nein, ein Computer führt genau das aus, was man ihm sagt und bewegt sich innerhalb vordefinierter Rahmenbedingungen. In diesem Fall baut er auf mathematischen Mustern auf — mit den Tokens liefert er einen Ausgangspunkt. Die Kreativität besteht darin, dem Computer die richtigen Befehle zu geben und zündet nur im Tandem mit dem Menschen.
Wie sind Sie zur London Design Biennale gekommen?
Resl: Wir wurden vom Museum für angewandte Kunst beauftragt, den heurigen Österreich-Beitrag zu gestalten. Kuratiert wurde der Beitrag von der Kunsthistorikerin Marlies Wirth. Die Biennale stand unter dem Motto „Wie können wir die Welt besser machen?“. Sie nicht weiter zu zerstören ist essenziell. Nichts ist in unseren Zeiten wichtiger, als die Klimabewegung zu unterstützen.
Sie haben mit der berühmten Band „The Prodigy“ zusammengearbeitet. Wie kam es dazu?
Resl: Die Band beziehungsweise Mitbegründer Liam Howlett hat eine Arbeit von mir im Internet entdeckt und wollte sie als Cover Artwork für die Single „Wild Frontier“ verwenden. Liam hat sich also bei mir gemeldet und wir haben über das Cover gesprochen und zusätzlich Ideen zur Typografie ausgetauscht, die ich auch gestaltet habe. Eine sehr nette und recht unkomplizierte Zusammenarbeit.
Weitere Informationen zum Projekt „Tokens for Climate Care” finden Sie untertokensforclimate.care. Es ist zudem von 20.10. bis 21.11.2021 im MAK – Museum für angewandte Kunst, Wien zu sehen. Weitere Informationen zu Process sind unter process.studio einzusehen.