Zeit, Dämme zu bauen
„Ich wasche das Gemüse für die Ernteteiler nicht“, sagt Rudi Hoheneder, „das ist wertvolle Erde mit Mineralien.“
Rudi Hoheneder ist eine namhafte Größe der Ökolandbaubewegung. In Niederösterreich betreibt er heute eine solidarische Landwirtschaft und arbeitet mit regenerativen Methoden wie der Dammkultur. Das Ziel: den Boden wiederbeleben. Von Sarah Kleiner, Fotos Ursula Röck
„Ein bisschen hab ich mich ja schon mit Agrarpolitik beschäftigt“, sagt Rudi Hoheneder und grinst. Er steht auf einem nicht asphaltierten Parkplatz, neben zwei großen Toren, die in einen Hof führen. Ein Hund bellt irgendwo dahinter. „Eigentlich gibt es in Österreich keine Agrarpolitik“, sagt Hoheneder. Den Wachstumsdrang in der Landwirtschaft hinterfrage niemand auf politischer Ebene. „Die Österreichische Bergbauernvereinigung Via Campesina macht die Agraropposition, aber im Parlament gibt es sie nicht.“ Die 1,5 Hektar, die Hoheneder hier in Kirchberg am Wagram gepachtet hat, betreibt er mit Ehefrau Irmi im Vollerwerb. Für öffentliche Fördergelder war die Fläche bei der Gründung noch zu klein. In der kleinstrukturierten Landwirtschaft ist Kreativität gefragt, um ein Auskommen zu finden.
Um bei den Tatsachen zu bleiben: Rudi Hoheneder hat sich nicht nur „ein bisschen“ mit Agrarpolitik beschäftigt. Seit über 40 Jahren ist der heute 59-Jährige in der Landwirtschaft tätig. Als junger Mann hat er gegen Kost und Logis auf Bauernhöfen ausgeholfen und gelernt. Nach mehreren Jahren an einem Betrieb nahe Krems hat er sieben Jahre lang als Biokontrolleur für die Austria Bio Garantie gearbeitet, 250 Betriebe hat er im Jahr gesehen. Hoheneder kennt den Fächer der österreichischen Biolandwirtschaft in allen Farben. Er hat Bauernbundfunktionären und Grünen-Politkern die Meinung gegeigt und das gemacht, was man wohl als Agraropposition bezeichnen kann. Seit 1996 bewirtschaftet er selbst – und tut das inzwischen doch völlig anders, als er vielerorts beobachtet hat. Rudi Hoheneder setzt auf solidarische Landwirtschaft und auf die Dammkultur. Wie die aussieht? „Geh ma aufs Feld“, sagt er.
Die Dammkultur ist eines der Puzzlestücke, die das Bild einer Landwirtschaft formen, die den Boden durch den Lebensmittelanbau nicht verbraucht, sondern wiederaufbaut. Und das ist dringend nötig. Das wertvollste Gut, das der Mensch sich neben dem Wasser angeeignet hat – der Boden – wird nämlich durch intensive Bewirtschaftung, Monokulturen, Pestizide, Kunstdünger ausgezehrt. Die Fruchtbarkeit lässt nach, wodurch immer mehr chemische Hilfsmittel eingesetzt werden müssen – ein Teufelskreis. So steigt die Menge der eingesetzten Pestizide in Österreich an, obwohl die landwirtschaftliche Fläche rückläufig ist. Die Anzahl der Betriebe sinkt, die Größe der einzelnen Höfe nimmt zu. Immer mehr Land ist nötig, um als Landwirt bestehen zu können, die Felder des Nachbarn werden zur begehrten Einkommensmöglichkeit, die Konkurrenz steigt. Kleine oder experimentelle Landwirtschaften, die nicht auf Profitmaximierung aus sind, die Pionier- und Forschungsarbeit leisten, sehen bei flächengebundenen Förderungen durch die Finger.
„Das Prinzip der Dammkultur ist, dass der Boden nicht mechanisch zerkleinert und auch nicht gepflügt wird“, sagt Hoheneder. Der Acker, auf dem er steht, ist in Parallelreihen strukturiert, das Gemüse wächst in 90 Zentimeter Abständen auf länglichen Hügelchen. Auf ihnen wachsen Salate, Pastinaken, Chinakohl. Einige hundert Meter Luftlinie entfernt sieht man die Wallfahrtskirche „Maria Trost“. „An schönen Tagen hab ich von hier einen Blick auf den Schneeberg“, sagt Hoheneder, „aber heute nicht.“ Der Wind pfeift, es ist Mitte Jänner, bewölkt, hat ein paar Grad über null. Hoheneder zieht einen Handschuh aus und bückt sich um eine Handvoll Erde. Er lässt sie durch seine Finger rieseln. „Siehst du, wie locker der Boden ist? Der Boden sollte selbst in diese Gare kommen“, sagt er. Als Gare bezeichnet man das Porenvolumen der Erde. Ein garer Boden ist feingliedrig durchwurzelt und krümelig, humos, gut durchlüftet, er sollte gut riechen und keinen Fäulnisgeruch ausströmen. „In so einem Boden fühlen sich die Pflanzen wohl“, sagt Hoheneder.
Bis in die 1970er Jahre war die Dammkultur vor allem in Spanien weitverbreitet. Weiterentwickelt wurde sie vom deutsch-spanischen Biodynamiker Julian Turiel in den 1990er Jahren. Die Methode steht dem klassischen Flachanbau gegenüber. Am Feld werden Dämme angehäuft, wie Berg und Tal. Im Tal sammelt sich bei Regen das Wasser, am Gipfel des Berges wächst die Kulturpflanze. Wenn im Flachanbau der Boden verschlemmt ist und ein starker Regen kommt, dann versickert nur ein Bruchteil des Wassers, der Rest rinnt davon, weil der Boden es nicht aufnehmen kann. In der Dammkultur kann der lockere Boden das Regenwasser aufnehmen, durch die feinen Kapillaren zieht es tief in die Erde ein – sie wird zum natürlichen Wasserspeicher.
Durch die Dämme entsteht zudem eine viel größere Erdoberfläche rund um die Pflanze; Nährstoffe, Sonnenlicht und Wasser können besser aufgenommen werden. Das Sonnenlicht trifft nicht überall gleich intensiv auf den Boden, es entstehen Temperaturunterschiede und Luftzüge – ein eigenes Mikroklima, und der Boden kann atmen. Die Dämme werden lediglich abgeschert und aufgelockert, und das mit simplen Werkzeugen, frei nach der alten Bauernweisheit: „Der Boden soll so wenig wie möglich bewegt werden, aber so viel wie nötig.“ Seit einigen Jahren ist die Dammkultur nun benutzertauglich, es gibt Ackergerät, Beratungen und Weiterbildungen.
„Das hier ist ein Versuchsfeld“, sagt Hoheneder und bleibt neben einem der Folientunnel stehen, unter denen sich Kohlrabi und Pak Choi aus der Erde recken. „Ich habe von einer ehemaligen Mitarbeiterin eine Tomatensorte aus Rumänien bekommen. Ich habe sie vermehrt und gemerkt: Wenn ich diese Pflanze dünge, dann wird sie krank.“ Hoheneder hat damit eine sogenannte Low Input Sorte entdeckt, das heißt, die Pflanze verbraucht wenig bis gar keine zusätzlichen Ressourcen. „Perfekt für Hausgärtner – eine Fleischtomate fürs Freiland!“, sagt er sichtlich begeistert. Sein Forschungsprojekt dazu heißt „Freiland-Tomaten mit Dammkultur ohne Bewässerung“.
Nach Julian Turiel sollten die Dämme jährlich umgehügelt werden; ein Jahr stehen sie quer, eines längs. Rudi Hoheneder hat ein eigenes System entwickelt, das „Dammkultur Gardening“. Seine Dämme stehen seit 2015 in dieser Form. Der feuchte Kern wird nicht bearbeitet oder umgegraben. Hoheneder muss nach eigenen Angaben nicht zusätzlich bewässern, er braucht keinen Kunstdünger, keine Pestizide, kein Gewächshaus. Er kämpft mit seiner Methode nicht mit Schädlingen wie Erdfloh oder Schnecken. Auf die Felder kommt Brennnesseltee, die Gurken bekommen Schafgarbe, die Tomaten Hornkiesel. Hoheneder versteht die Natur als ein in sich geschlossenes System ineinandergreifender Kreisläufe, das keinen Überfluss und keine Zwecklosigkeit kennt. „Mein System lebt den biodynamischen Gedanken, die Landwirtschaft heilt sich aus sich selbst heraus.“ Das einzige Manko: „Mein Traktor. Der verbraucht Diesel und dazu steh ich”, sagt er.
Auch im Vertrieb spiegelt sich das Kreislaufprinzip wieder. Das Gemüse, das Irmi und Rudi Hoheneder produzieren, geht an 25 Ernteteiler, die es sich gegen einen monatlichen Fixbetrag an Verteilerstellen in Krems und Wien abholen. Die Idee der solidarischen Landwirtschaft (kurz SoLaWi, auch „Community Supported Agriculture“ oder CSA, genannt, Anm.) ist, die Verbindung zwischen Konsument und Produzent zu stärken und regionale Vertriebsstrukturen zu fördern. Für den Landwirt hat das den Vorteil der Risikoverteilung und Planungssicherheit. Ein Ernteausfall wird genauso auf die Schultern der Mitglieder übertragen, wie eine Überproduktion. Die Ernteteiler können den Betrieb kennenlernen und im Idealfall mithelfen.
Wie macht man Lebensmittel haltbar? Was kann man von einer Pflanze alles essen? Muss man wirklich jeden Stängel und jedes überflüssige Blatt wegschmeißen? Und was gibt es abseits des klassischen Sortiments im Supermarkt? Viel Wissen um die unzähligen Feinheiten und Geheimtipps der Natur ist bereits verloren gegangen. Die Hoheneders veranstalten Ernteerlebnistage und versuchen, den Menschen solche Details beizubringen. „Das ist der Vorteil von der SoLaWi“, sagt Irmi. „Wir sind persönlich da und können den Leuten sagen ,Heute probierst du das aus!‘ Und sie lernen neue Sachen kennen.“ „Wir machen am Feld auch Fermentierkurse“, fügt Rudi hinzu, das sei wie „kochen ohne Hitze“.
Irmi ist als Quereinsteigerin in die Landwirtschaft gekommen, ursprünglich arbeitete sie in der Elementarpädagogik und hilft seit einigen Jahren am Betrieb mit. Neben der Betreuung der Tomatenforschung stellt sie eigene Cracker her, mit dem Gemüse vom Feld und Leinsamen. „Wir haben Ernteteiler, die sagen, dass sich ihre Gesundheit verbessert hat, seit sie unser Gemüse essen“, sagt sie. Andere würden Briefe und Dankeskarten schreiben. Das Ehepaar vermutet, dass das eigene Gemüse mehr Nährstoffe hat, als das Bio-Gemüse aus dem Supermarkt. Das mittels Analysen zu beweisen, ist aber kostspielig – zu kostspielig. „Ich mache das nicht wegen des Geldes“, sagt Hoheneder. „Wenn‘s darum ginge, müsste ich aufhören. Ich sehe das als meine Berufung.“ Er versuche, viel zu tauschen, Leistung gegen Gemüse, eine Hand wäscht die andere.
„Es gibt ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe, ‚Natur und Kunst‘“, sagt Rudi Hoheneder im warmen Heizraum von Nachbar Fritz sitzend. „Natur und Kunst, sie scheinen sich zu fliehen und haben sich eh‘ man es denkt gefunden; der Widerwille ist auch mir verschwunden, und beide scheinen gleich mich anzuziehen“, zitiert er die erste Strophe. „Goethe war ein Naturbeobachter. Er hat die Pflanze betrachtet und dann überlegt, was sie kann, welche heilende Wirkung sie haben könnte.“
Ebendiese Naturbeobachtung ist heute wohl eine der größten Herausforderungen der Dammkultur, der Permakultur, der chemie- und pestizidfreien – oder kurz: der nachhaltigen Landwirtschaft. Die Umstellung von Prozessen und Vertriebsstrukturen, die Wissensaneignung – herauszufinden, wie man Kreisläufe schließt, wie man mit natürlichen Mitteln Lösungen erzielt – das alles braucht Zeit. Die Wirksamkeit des eigenen Lernprozesses zu sehen, dauert Wochen, Monate, Jahre.
Auch einen geeigneten Nachfolger zu finden ist eine Herausforderung. Die Zeit läuft. Mit 60 möchte Rudi Hoheneder etwas kürzer treten und Platz machen für die nächste Generation. Er hat keine Zweifel daran, jemand geeigneten zu finden, der die Landwirtschaft so weiterführt, wie Irmi und er. Denn wer suchet, der findet, was er braucht. hauneda.at
Irmi Hoheneder öffnet die Tore zum Keller, wo das fermentierte Gemüse gelagert wird.