Zeit fürs Ich
Von Jürgen Schmücking
Wenn uns die Corona-Krise eines gezeigt hat, dann die Erkenntnis, dass vieles nicht so bleiben darf, wie es war. Das gilt natürlich für viele Bereiche, speziell aber für den Tourismus und die Gastronomie. Massentourismus ist zum ökologischen und gesellschaftlichen Problem geworden – und Reisen zum Konsumprodukt, das nicht mehr glücklich macht. Touristische Unternehmen leiden gleichzeitig unter Fachkräftemangel und beinhartem Preiswettbewerb. Doch wie geht es weiter mit unserem Tourismus?
Maskierte Kellner und Tische, die mit Absperrband – eben abgesperrt sind. Statt schön gestalteter Speisekarten steht oft ein kleiner Aufsteller mit QR-Code am Tisch. Weil, wenn ohnehin schon jeder sein Essen mit dem Handy fotografiert, kann er damit auch nachschauen, was er oder sie essen möchte. Pfeffermühlen und Salzstreuer sind sowieso verpönt. Die Streuer könnten schließlich Spreader sein. Und Reservierungen für größere Gruppen (also konkret, Taufen, Familienfeiern oder die Betriebsweihnachtsfeier)? Fehlanzeige! Über all dem steht die Angst, Covid-19 könnte erneut ausbrechen und eine weitere Welle übers Land rollen. Dass diese Stimmung, in der jeder Gast als potentielle Gefahr und Infektionsquelle gesehen wird, nicht dazu angetan ist, die Lust am Restaurantbesuch zu fördern, haben die Tage und Wochen des „Re-Starts“ nach dem „Lockdown“ gezeigt. Für den Tourismus gilt das natürlich ebenso. Ein paar Wochen zeitversetzt und durch geschlossene Grenzen verstärkt.
Österreichs Gastronomie und Tourismus braucht neue Wege. Claims wie „Relax. If You Can“ haben ausgedient. Sogar Ischgl wirbt für den Sommer 2020 mit dem Slogan „Quality Time. Dein Paznaun. Mein Paznaun“. Nachhaltige Konzepte sind also gefragt. Im Schlepptau Ideen, die auch das Lebensmittelsystem erfassen. Wir sind – klarerweise mit der Bahn – durchs Land gefahren. Vom Arlberg nach Wien und haben Menschen, Orte und Betriebe gefunden, die zu besuchen es lohnt. Entspannend, köstlich, innovativ und enkeltauglich. Eine grüne Tour de force durch die Alpenrepublik. Was uns dabei immer wieder begegnet, sind Betriebe, die bereits vor Corona auf Nachhaltigkeit gesetzt haben, dabei stets leicht belächelt wurden und jetzt aber zu role models einer neuen Bewegung wurden.
Wir starten am Arlberg. Genauer im Zugertal. Noch genauer in Lech. Dort betreiben die Eigentümer des Almhofs Schneider seit einiger Zeit auch das Klösterle. Gut zu Fuß oder mit der Kutsche erreichbar, liegt das Kleinod etwas außerhalb von Lech. Am Herd haben Ethel Hoon (Singapur) und Jakob Zeller (Südtirol) den Herd von Milena Broger übernommen. Der kulinarische Werdegang der beiden kann sich sehen lassen. Kennengelernt hat sich das Paar in der schwedischen Pampa, im legendären radikal-regionalen Fäviken von Magnus Nilsson. Aber auch Erfahrungen in Japan, Spanien und Frankreich haben die beiden im Rucksack. Da bleibt natürlich was hängen. Im Vogelbeer-Negroni wird statt Campari Vogelbeerlikör mit leichtem Bitterl verwendet, der Speck ist lange gereift und kommt vom wohlbekannten Mangalitza-Zampano Christoph Wiesner aus Wischatal. Verwendet wird aber hauptsächlich, was die Gegend (und die Höhe) hergeben. Latschenkiefer, Buchweizen, Tannennadeln. Und was nicht sofort verarbeitet wird, wird eingelegt, eingekocht oder fermeniert.
Wenige Kilometer weiter, im Tannheimer Tal (Luftlinie wohlgemerkt), werkt Ralf Morent. Sein Gasthaus, durch die Corona-Krise schwer gebeutelt, ist ein Vorzeigebetrieb der Slow Food-Community. Obwohl das Tannheimer Tal gastronomisch immer interessanter wird, der Gasthof Morent ist und bleibt der sicherste Hafen für kulinarisch anspruchsvolle Wirtshausgänge. Ralf Morent ist ein Sammler, Tüftler und Philosoph, und sein Wirtshaus ist ein Juwel. Die Stube ist schlicht und sagt mit jedem Detail „weniger ist mehr“. Es gibt EINE holzvertäfelte Wand mit EINER Jagdtrophäe, EINEM alten Ski, EINEM Bild und EINER Lampe. Genau so sehen auch die Gerichte im Morent aus, und genauso schmecken sie auch.
Bei der Herkunft ihrer Lebensmittel sind die Morents übrigens kompromisslos. Die Rohstoffe kommen entweder aus der unmittelbaren Nachbarschaft oder aus dem Trentino. Familientradition. Beim Fisch bedeutet das Haldensee (zu Fuß eine etwa anderthalbstündige Wanderung), beim Wild das Zöbler Revier (das noch näher liegt). Salat und Kräuter sind an Distanzlosigkeit nicht zu überbieten. Die kommen aus dem Garten hinterm Hof. Die Arbeitsteilung im kleinen Wirtshaus ist übrigens klar geregelt. Frau Morent kocht, Herr Morent serviert (und unterhält die Gäste).
Neben ein paar à la carte-Gerichten werden auch ganze Menüs angeboten. Das Sommermenü eröffnet ein Trentiner Kopfsalat, herzhaft mariniert, mit (getrockneten) Kräutern aus dem Garten mariniert und mit frischem Ziegenkäse angerichtet. Ausgezeichnet und ausgesprochen adrett angerichtet. Vor allem die Marinade besticht durch Eleganz und Feinheit. Die Pilze – es ist Sommersaison – kommen vom Kühberg, und es sind vorwiegend Eierschwammerl und Steinpilze. Timi Morent schickt sie leicht angebraten auf einem üppigen Bett aus feinsten (hausgemachten) Nüdeli und geriebenem Vorarlberger Bergkäse. Ein großartiger Gang. Mindestens genauso großartig ist allerdings – sofern verfügbar – der Hirsch. Genauer gesagt das Hirschkalb und noch genauer, der gegrillte Schenkel davon. Zartrosa bis knapp unter die Haut, beste Fleischqualität, das Schmorgemüse daneben gut, aber eigentlich wie ein notwendiges Nebengeräusch.
Weiter nach Salzburg. Eines der Häuser mit der längsten Tradition (seit 1332) hat sich in den letzten Jahren komplett neu erfunden: der Kirchenwirt in Leogang. Alleine in den letzten 30 Jahren war die Veränderung eine gewaltige. In den frühen 80ern war der Kirchenwirt ein – Kirchenwirt eben. Mit Sonntagsbraten, Stammtisch und verrauchter Stube. Die Kinder bekamen eine Rabenfeder ins Schnitzel gesteckt und schon war es der Winnetou-Teller.
Er ist nicht wiederzuerkennen, der Kirchenwirt. Und dann doch wieder. Das Geschwisterpaar Barbara Kottke und Hansjörg Unterrainer hat den Betrieb mit viel Liebe zum Detail renoviert, umgebaut und vergrößert, dabei die historische Substanz erhalten. Was dabei herauskam, ist im Pinzgau ein gastronomisches Machtwort. Ein Gasthaus mit Tradition und Geschichte, einer durchdachten Wirtshauskarte, auf der auch spannende Gerichte mit Geschichte angeboten werden und dazu ein Weinkeller, der sich sehen lassen kann.
Bei der Suppe zeigt sich der Charakter eines Betriebs. Im Fall des Kirchenwirts ist es das Schaumsüppchen mit Kräutern und Fisch (das Diminutiv ist absolut unpassend, die Portion riesig.) Die Suppe ist leicht, cremig und geschmacklich ganz klar von den Kräutern geprägt. Außerdem lügt die Suppe nicht. Sie zeigt exakt, was dem Haus wichtig ist. Hochwertige Rohstoffe, im günstigen Fall aus dem Ort, aus Bio-Anbau, wenn es regional nicht verfügbar ist. Wer es übrigens eine Spur klassischer will, wird ebenfalls fündig. Das „Alt Wiener Kaiserschnitzel mit Petersilerdäpfel und hausgemachter Granggn (Preiselbeer)-Marmelade“ ist mindestens so gut wie das Winnetou-Schnitzel vor 40 Jahren. Klarerweise zeigt auch das Hotel selbst, beziehungsweise die Zimmer, wie die Kirchenwirte modernen Tourismus verstehen. Höchste Qualität bei den verwendeten Materialien, Liebe zum Detail und ein Gespür für Gestaltung und Design. Dabei aber immer die Tradition und Geschichte des Hauses im Blick habend.
Wer in Leogang Wert auf biologische Küche legt, wird auch hier fündig. Im Biohotel Rupertus, direkt an der Talstation der Asitz-Bahn, liegt das Juwel. Im Rupertus beginnt das Bio-Genuss gleich am frühen Morgen und endet meistens an der Bar. Das Frühstück ist mittlerweile legendär. Für das Rupertus-Team war es auch der Einstieg in die wundervolle Welt der Bio-Kulinarik. À la minute werden großartige Frühstücksgerichte rund ums Ei gemacht. Spiegelei, mit Speck oder ohne, Rührei, Omelettes oder – ganz klassisch – ein weiches Ei. Honig aus der Wabe oder aus dem Glas, grandios guter Käse aus der Region und natürlich ein üppiges Angebot an laktosefreien und veganen Schmankerl. Danach ist man gestärkt für alles, was Leogang und der Pinzgau zu bieten hat. Ausgedehnte Wanderungen oder Skitouren am Asitz, dem Hausberg des Hotels, Bike- und Kletter-Touren im Sommer, Schneeschuhwandern, Skifahren und Langlaufen im Winter. Die Möglichkeiten sind praktisch unerschöpflich. Was nicht bedeutet, dass man danach nicht durchaus erschöpft sein kann. Zimmer und Wellnessbereich laden die Batterien im Nullkommanichts wieder auf und einem gelassenen Tagesausklang an der Bar steht nichts im Weg. Entgehen lassen sollte man sich das nicht. Die Green Bar im Rupertus gehört zu den besten Bio-Bars, weit über die Landesgrenzen hinaus. Fragen Sie nach dem Leo Mule ;-)
Weiter am Weg in Richtung Osten. In Richtung Hauptstadt. Dem Schlusspunkt der Reise. Auf diesem Weg kommt man an einer Reihe erstklassiger Gastronomen und Produzenten vorbei, für die das Thema Nachhaltigkeit nicht nur ein Schlagwort am Firmenprospekt ist. Klaus Dutzlers „Seebauer“
am Gleinkersee zum Beispiel. Gut, das liegt jetzt nicht direkt am Weg, aber der kleine Umweg zahlt sich aus. Ein Bio-Wirtshaus, eine Metzgerei, die das Fleisch alter Rinder- und Schweinerassen verarbeitet, ein idyllischer kleiner See. Man muss schon sehr diszipliniert sein, um weiterzuwollen. Im Mostviertel liegt – deutlich näher an der Bahnstrecke – die Mostelleria von Doris und
Josef Farthofer. Die Mostelleria ist eine Erlebniswelt rund um die Birne und den Mostello, einen Birnendessertwein. Dieser wurde, inspiriert vom Sherry Andalusiens, vom Tüftler Farthofer vor 15 Jahren erfunden und hat sich mittlerweile zum Superstar im Sortiment der Destillerie entwickelt.
Jetzt aber endgültig und ohne Umschweife nach Wien. Kaffeehaus, Heuriger und irgendwo schlafen. Das ist praktisch die gastro-touristische Dreifaltigkeit der Hauptstadt. Und auch in diesen Kategorien zeigen Betriebe, was sie bio- und nachhaltigkeitsmäßig draufhaben. Für den Kaffeehausbesuch empfiehlt sich das legendäre Café Central.
Das ist ernst gemeint. Wenn man nämlich gleich am frühen Morgen ins Café kommt, kann man sich den Platz sogar noch aussuchen. Am Nachmittag wird es dann eher ungemütlich, und in der Regel steht man schon vor dem Central in der Schlange. Aber wie gesagt, Frühstück einplanen und die Ruhe genießen, solange sie währt. Das lohnt in weiterer Hinsicht. Das Central hat nämlich das Frühstück vor einiger Zeit auf Bio und großteils regionale Produkte umgestellt. Absolut köstlich.
Zweiter Fixpunkt: der Heurige. Hier sollte man unbedingt dem Bioweinbau Obermann einen Besuch abstatten. Nicht umsonst ist das der Heurige der Wahl, wenn Slow Food Veranstaltungen macht. Die einzigen Bilder von seiner – wienbesuchenden – Majestät Prinz Charles gibt es, käseverkostend, beim Obermann in Grinzing. Und last not least – die Nacht. Uneingeschränkte Empfehlung für das Boutiquehotel Stadthalle. Vorweg, es ist nicht zu übersehen. Wenn im Prospekt etwas von „grüner Oase“ steht, dann ist das auch so. Innen wie außen. Die Außenfront ist ein Biotop, der Innenhof ein kleiner Urwald. Bienenstöcke inklusive.
Österreich hat sie. Orte der Achtsamkeit und der Besinnung. Die hier genannten Betriebe sind nur Beispiele dafür. Mit Bedacht ausgewählt und für gut befunden, wohlgemerkt. Sie sollten Vorbilder sein. Dann kann dem Tourismus eigentlich nichts passieren.
1 Klösterle Restaurant
Zug 27
6764 Lech am Arlberg
+43 5583 3190
restaurant-kloesterle.at
2 Morent-Tyrol
6677 Zöblen 14
+43 676 7747070
www.morent.at
3 Der Kirchenwirt
5771 Leogang 3
+43 6583 82 16
hotelkirchenwirt.at
3 Bio-Hotel Rupertus
Hütten 40
5771 Leogang
+43 6583 8466
www.rupertus.at
4 Gasthaus Seebauer
Gleinkersee 2
4575 Roßleithen
+43 75627503
gleinkersee.at
5 Destillerie Farthofer
Öhling 35
3362 Öhling
+43 74 75 53 674
destillerie-farthofer.at
6 Café Central
Ecke Herrengasse /
Strauchgasse
1010 Wien
+43 1 533 37 63-61
cafecentral.wien
6 Weinbau Obermann
Cobenzlgasse 102
1190 Wien (Grinzing)
+43 664/4519927
weinbauobermann.at
6 Boutiquehotel Stadthalle
Hackengasse 20,
1150 Wien
+43 1 9824272
hotelstadthalle.at