Zukünftiges Comeback

Die „chamfer“-Serie ist outdoortauglich, da das Polymer das Holz vor der Zersetzung bewahrt. Neolign® ist witterungsbeständiger und abriebfester als das Tropenholz Bangkirai.

Von Jutta Nachtwey

Das Möbel-Start-up WYE aus Antdorf in Bayern produziert stilvolle Objekte für eine umweltfreundliche Wohnkultur und setzt dabei auf echte Kreislaufwirtschaft.

Mutabor, der lateinische Zauberspruch im Märchen Kalif Storch, bedeutet bekanntlich: „Ich werde verwandelt werden“. Damit ließe sich auch das Prinzip beschreiben, das jedem Möbelstück von WYE zugrunde liegt. Die Produkte sind zwar so langlebig, dass sie über Generationen hinweg genutzt werden können, aber sie haben darüber hinaus einen unschlagbaren Vorteil: Das Material der Tischplatten und Sitzflächen namens Neolign® lässt sich nach beliebig langer Nutzung zu 100 Prozent recyceln und in etwas Neues verwandeln – und zwar immer wieder.
Mit Zauberei hat das also rein gar nichts zu tun. Vielmehr setzten sich die Gründer von WYE, der Produktdesigner Ferdinand Kraemer und der Wirtschaftsingenieur Franziskus Wozniak, von Anfang an das Ziel, ein kreislauffähiges Monomaterial zu entwickeln, das sich ohne Qualitätsverlust wiederverwenden lässt. Neolign® besteht zu 83 Prozent aus Holzresten – Fichte und Verschnitt, zum Beispiel Gebüsch, aus PEFC-zertifizierter Holzwirtschaft. Das Sägemehl wird unter Hitze und Druck mit einem thermoplastischen Polymer und Farbpigmenten vermengt. Auf diese Weise entsteht ein Granulat, das sich wie herkömmlicher Kunststoff verarbeiten und formen lässt. Das Material riecht nach Holz und ist frei von Emissionen und Schadstoffen.
Für die Möbelserie „chamfer“ kam dieses Material erstmals zum Einsatz. Sie ist modular aufgebaut und zeichnet sich durch einen reduzierten, klaren Stil aus. Die markanten Formen der sich verjüngenden Beine aus pulverbeschichtetem Stahlblech lassen die Möbel leicht wirken, obwohl ihnen der Holzverbundwerkstoff Gewicht verleiht. Das Gestaltungskonzept setzt auf sichtbare Verbindungen der Elemente und verzichtet auf alles Überflüssige. Laut Ferdinand Kraemer hat jedes Gramm Material seine Funktion.


Tipp der Redaktion
Gespräch mit Ferdinand Kraemer
im ORIGINAL Podcast
original-magazin.at/podcast


Der englische Name „chamfer“ bedeutet auf Deutsch „Fase“ und verweist auf die abgeschrägte Fläche der Tischkanten und Sitzflächen. Sie macht die Durchfärbung des Neolign®s sichtbar, die für eine gute Reparaturfähigkeit sorgt. Falls die Möbel nach langjähriger Benutzung Kratzer aufweisen, können sie durch Abschleifen wieder geglättet werden – einen entsprechenden Service will WYE in Zukunft zusätzlich anbieten. Neben weiteren Varianten für die „chamfer“-Serie plant das Unternehmen, Beistelltische und Regale aus reinem Neolign® herzustellen.
Die Produkte von WYE sind der konsequente Gegenentwurf zu den Wegwerfmöbeln der Überkonsumkultur: Wer sein Objekt nicht weiter nutzen möchte, schickt es an das Unternehmen zurück und erhält eine Gutschrift von 10 bis 20 Prozent des Produktwerts für ein neues Teil des Sortiments. Die Neolign®-Elemente des zurückgegebenen Gegenstands werden zu Granulat verarbeitet, aus dem dann neue Dinge entstehen. Das Stahlblech gibt WYE – wenn es nicht mehr reparierbar ist – zurück in den externen technischen Kreislauf, in dem das Material ohne Qualitätsverlust zirkulieren kann. Bisher sind die Möbel zwar noch nicht Cradle to Cradle zertifiziert, aber das Unternehmen folgt den Grundsätzen dieses Konzepts und hat von vornherein eine entsprechende Infrastruktur geschaffen.
WYE nutzt erneuerbare Energien und produziert unter fairen Arbeitsbedingungen in Deutschland und Polen, was für kurze Transportwege sorgt. Obwohl für die Möbel keine Bäume gefällt werden müssen, lässt das Start-up mit Hilfe vom Verein Primaklima für jede Bestellung einen Baum pflanzen. Eine Zero-Waste-Strategie ist Teil des Kreislaufkonzepts: Den Neolign®-Verschnitt der Möbelproduktion nutzt das Unternehmen für die Herstellung von Schneidebrettern für die Küche. Alle übrigen Reste, bis hin zu feinen Spänen, werden aufgefangen und zu Granulat für neue Produkte verarbeitet – selbst das kleinste Körnchen feiert hier also sein Comeback.


Ferdinand Kraemer hat in München Industriedesign studiert. Zusammen mit Franziskus Wozniak gründete er das Start-up WYE. Der Firmenname verweist auf die Frage „Why?“, die aus ihrer Sicht am Anfang von allem Neuen steht.

Wer sein Möbelstück nach Gebrauch an WYE zurücksendet, erhält ja eine Prämie. Das klingt wie eine Art Pfandsystem – gehört den Kunden das Möbelstück also gar nicht wirklich?
Ferdinand Kraemer: Besitz im klassischen Sinn ist aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäß. Deshalb wollen wir unseren Kunden nicht das Material, sondern vielmehr die Funktionalität unserer Möbel verkaufen. Auf diese Weise geben wir ihnen die Freiheit, sich nicht darum kümmern zu müssen, wie das Produkt zu entsorgen ist. Die Verantwortung für das Material übernehmen wir stattdessen selbst. Wir nennen das Konzept aber nicht Pfandsystem, sondern Rückführungskreislauf.

Das Designkonzept der „chamfer“-Serie vermeidet den Einsatz von überflüssigem Material und nutzt die Ästhetik sichtbarer Verbindungen. Ist das ein Revival vom Prinzip „Form follows function”?
Man sollte dabei nicht den traditionellen Begriff der Funktion zugrundelegen. Produkte müssen heute neue Funktionen übernehmen, besonders was ihr Verhältnis zur Umwelt betrifft. Während es früher um Langlebigkeit ging, ist die Kreislauffähigkeit nun ein zentraler Aspekt der Funktionalität.

Sie bauen ja derzeit eine „Circular Community“ auf – was ist das Ziel?
Wir suchen nach Partnern, die unsere Werte teilen. So könnte beispielsweise auch die Modemarke Armedangels unsere Produkte anbieten. Man kann dann zum Beispiel einen dort gekauften Hocker später auch an Armedangels zurückgeben und erhält dadurch eine Gutschrift der Modemarke. Dies schafft für unsere Kunden mehr Flexibilität.

Und welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
Zu Neolign® bekommen wir viel positives Feedback von Architekten und Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen. Sie zeigen Interesse, Firmenräume mit diesem Material zu gestalten. In diesem Jahr wollen wir Spritzguss und 3D-Druck in die Produktion einbeziehen, weil wir dann auf solche Kundenwünsche noch flexibler eingehen können. Außerdem möchten wir damit unsere eigene Produktpalette erweitern, etwa im Dekorationsbereich, der ja eher schnelllebig ist. Die Persönlichkeit verändert sich nunmal, außerdem zieht man öfter um, dann passt manches nicht mehr. Deshalb landen Dinge, die keine wirkliche Funktion haben, bisher oft im Müll. Unsere Granulierung ermöglicht es, aussortierte Dekorationsobjekte in neue zu verwandeln – so kann man das persönliche Umfeld ohne schlechtes Gewissen immer wieder verändern.

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