Zusammenhänge neu denken

Vorbild Natur. © IDRV – Werkzeuge für die Designrevolution

Statt linear soll die Wirtschaft zirkulär werden. Doch was ist echte Kreislaufwirtschaft, warum beginnt sie beim Produktdesign und warum ist herkömmliches Recycling nicht der richtige Weg? Michael Braungart, Mitbegründer des konsequenten Designkonzepts „Cradle to Cradle“, und Harald Gründl vom Designstudio „EOOS“ geben Einblicke. Von Magdalena Mayer

Die Lage ist deutlich: Es ist Zeit zu handeln. Der globale Verbrauch an Rohstoffen steigt rasant. Bis 2050 wird die Weltbevölkerung nach Prognosen so viel verbrauchen, als hätten wir drei Planeten, Österreich überschreitet diesen Verbrauch bereits jährlich. Die weltweite Ressourcenentnahme hat sich von 43 Milliarden Tonnen im Jahr 1990 auf 92 Milliarden im Jahr 2017 mehr als verdoppelt, der Verbrauch von Ressourcen wie Biomasse, fossilen Brennstoffen, Metallen und Mineralien wird bis 2060 voraussichtlich auf bis zu 190 Milliarden Tonnen anwachsen. Das jährliche Abfallaufkommen könnte bis dahin um 70 Prozent steigen: So der Ausblick in der österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie in Bezug auf vorhandene Studien.

Gleichzeitig ist einiges in Bewegung: Nicht nur diese vergangenes Jahr beschlossene Strategie schlägt Maßnahmen vor, um bis 2050 Wirtschaft und Gesellschaft umzugestalten. Vor drei Jahren legte auch die Europäische Kommission einen „Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“ vor und definierte kreislauffähiges Wirtschaften als zentralen Baustein des europäischen Grünen Deals für nachhaltiges Wachstum. Der Umstieg von linearem zu zirkulärem Denken und Agieren scheint für den Wandel zentraler denn je. Doch die Vorstellungen davon, was „echte“ Kreislaufwirtschaft ist, gehen auseinander.

Wenn es nach Michael Braungart geht, dem Verfahrenstechniker, Chemiker und Mitbegründer des „Cradle to Cradle“-Konzepts, ist konventionelle Kreislaufwirtschaft, die weiter Recycling in den Fokus rückt, der falsche Weg. Seit den 1990er Jahren tritt er für konsequente Kreislaufwirtschaft ein – für eine Vision von Stoffkreisläufen, in denen es keinen Abfall gibt, sondern nur nützliche Rohstoffe, „von der Wiege zur Wiege“. Der Kreislaufwirtschafts-Aktionsplan der EU beinhaltet den Begriff „Cradle to Cradle“ zwar nicht, baut aber auf dem Ansatz auf, meint Braungart. Doch es ist erst ein Anfang: „Wir wissen jetzt, was zu tun ist, aber wir sind viel zu langsam“, sagt er.

Vieles, was derzeit als Teil einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft angepriesen wird, habe verheerende Konsequenzen: Braungart nennt das Beispiel von Autoreifen, die zwar länger genutzt werden können als je zuvor, mit deren Abrieb aber 470 Chemikalien auf die Straße und in die Umwelt gelangen. Eine längere Nutzungsdauer könne also nicht die einzige Zielsetzung sein, wenn Produkte nachhaltiger werden sollen: Die Produkte qualitativ besser zu machen, sei zentral. „Wir müssen neu denken und nicht das Bestehende optimieren“, sagt Braungart. Anstatt bei existierenden Produkten, die mitunter umweltschädliche Stoffe enthalten – beispielsweise einen hohen Plastikanteil –, an dem Credo „reduce – reuse – recycle“ festzuhalten, sollte vielmehr überlegt werden: Was ist das Richtige? „Wenn das Bestehende falsch wird, wird es dadurch umso gründlicher falsch“, so Braungart. Ein Negativbeispiel ist für ihn etwa auch ein Projekt in den Niederlanden, bei dem Radwege aus recyceltem Plastik angelegt werden, oder das Wiederverwenden von Flugasche beziehungsweise Additiven in Beton. Das Recyclingmaterial sei oft mit Chemikalien belastet, die sich nicht wieder abbauen, sondern weiterhin in Lebewesen anreichern und ihre Gesundheit beeinträchtigen. Von Verpackungskartons bis Schuhsohlen: Braungart kennt viele Beispiele. „Das ist einfach schlechtes Design“, betont er. In 90 Prozent der Fälle werde so Recycling zu Greenwashing. Statt Reparatur und Recycling sollte, geht es nach ihm, der Fokus vielmehr auf qualitativem Wachstum mit intelligent designten Ausgangsprodukten liegen, bei deren Herstellung bereits Chemikalien und andere Zusatzstoffe auf ein Mindestmaß reduziert sind.

„Kreislaufwirtschaft, bei der Bestehendes weitergeführt wird, ist wie Riesenradfahren – dann hänge ich immer im selben fest“, meint Braungart. So sei auch heute die Aufgabe von „Cradle to Cradle“: „die Menschen zu inspirieren, anders zu denken“ – Innovation als Chance statt moralischer Verpflichtung zur Klimaneutralität. In dem Konzept werden alle Stoffe als Nährstoffe verstanden, die anstatt weniger schädlich ausschließlich nützlich sind, und der Mensch als eine Chance, wirtschaftlich, sozial und ökologisch positive Effekte zu bringen: Ein Qualitätsansatz, bei dem mit „Öko-Effektivität“ – so ein Schlüsselbegriff für die Herstellung von „intelligenten“, unbedenklichen Gütern und Dienstleistungen nach „Cradle to Cradle“-Standard – die Möglichkeiten der Industrie verbessert werden sollen. Das soll dazu führen, Produkte zu optimieren und Nutzen zu maximieren, so dass sich auch Wachstum und Nachhaltigkeit, mit positiven Auswirkungen auf sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft und Umwelt, nicht widersprechen.

„Cradle to Cradle“ baut auf zwei zusammenwirkenden Kreisläufen auf: Einerseits zirkulieren in der Biosphäre natürliche Verbrauchsgüter, die bedenkenlos in die Umwelt gelangen. Für Gebrauchsgüter, die andererseits in der Technosphäre in definierten Nutzungszeiten zirkulieren, fordert Braungart ein „Recht auf Intaktheit“, da eine mangelhafte Qualität der Kern einer schnelllebigen Konsumwirtschaft und damit ein Hauptproblem sei. Inspiration liefert die abfalllose Natur der Biosphäre, beispielsweise Algen, die Menschen ernähren und CO2 aus der Atmosphäre holen können. In der Technosphäre seien nach Braungart Innovationen in nächster Zeit durchaus machbar: Kunststoff aus Kohlendioxid etwa. Aber wie kommen wir zu einer Wirtschaft, in der alle Güter der Technosphäre innovativ und hochwertig produziert und dann auch, zur Gänze oder in Einzelteilen, weiterverwendet werden können?

Produktdesign als Startpunkt

„Erst mal fängt das mit dem Design an: Rethink, reinvent, redesign – dann kann man sich über anderes unterhalten“, sagt Michael Braungart. An vielen verschiedenen Stellen ist er bemüht, Innovationen im Produktdesign mit „Cradle to Cradle“ zu etablieren. Braungart ist Gründer und Geschäftsführer des internationalen Umweltforschungs- und Beratungsinstituts EPEA, gründete die Firma „McDonough Braungart Design Chemistry“ in den USA mit, sowie das Hamburger Umweltinstitut und leitet die Firma Braungart Consulting in Hamburg. Dass sich das „Cradle to Cradle“-Prinzip zu seinen Lebzeiten so schnell ausbreiten würde, hatte er nicht erwartet.

Als erstes zu 100 Prozent wiederverwertbares Produkt entwickelte Braungart einen essbaren Sitzbezug, der im Airbus A380 zum Einsatz kam – passend zum Grundsatz, dass alles Nährstoff ist: Beim Draufsitzen kann man sorglos Fasern einatmen, die sich durch Reibung lösen, Stoffstücke können am Ende kompostiert werden, wenn man sie dann doch nicht essen will. 2022 bekam Braungart den Deutschen Nachhaltigkeitspreis für „Cradle to Cradle“ verliehen. Mittlerweile gebe es über 16.000 zertifizierte Produkte und mindestens das Fünffache an solchen, die den Gedanken in sich tragen, sagt er.
Bei der Zertifizierung nach „Cradle to Cradle“-Produktstandard werden Materialien und Verarbeitungsprozesse in fünf Kategorien bewertet: Materialgesundheit der eingesetzten Inhaltsstoffe, Kreislauffähigkeit des Produkts im technischen und biologischen Kreislauf, Nutzung von erneuerbaren Energien, verantwortungsvolles Wassermanagement und Einhaltung sozialer Standards. Ein recht aufwendiges System. Bei Firmen mit einer großen Zulieferkette und komplexer Produktion sei die Erfüllung der Kriterien sicher hilfreich, meint auch Harald Gründl, Mitbegründer des Designstudios „EOOS“ und der „Social Enterprise EOOS Next“, beide in Wien. Eine von „EOOS“ designte Stehleuchtenserie („Artelea“) hat als Pilotprojekt des auf Lichttechnik spezialisierten Herstellers Zumtobel die „Cradle to Cradle“-Zertifizierung der aktuellen Version 4.0 erhalten: Eine Selbstverpflichtung zur Glaubwürdigkeit mit Wirkung nach außen. Gründl wünscht sich aber, dass mehr Produkte kreislauffähig wären, als nur diejenigen, die durch den teils hohen Aufwand der Zertifizierung das Siegel haben.

Michael Braungart.
Foto Raphael Gebauer

Geschäftsmodelle ohne Wegwerfware

So macht Gründl auf weitere Bestrebungen aufmerksam, echte Kreislaufwirtschaft voranzutreiben. Das Unternehmen Zumtobel hat mit „EOOS“ und Braungarts Beratungsinstitut etwa Designrichtlinien aufgestellt, die neben der „Cradle to Cradle“-Zertifizierung zur Anwendung kommen. Das von Gründl ins Leben gerufene „Institute of Design Research Vienna“ (IDRV) hat ebenso solche Regeln definiert. Die Produktkomponenten von „Artelea“ führen vor, wie diese offenen Regelwerke (auch über „Cradle to Cradle“ hinaus) angewendet werden können, erzählt Gründl: Die Leuchte beruht auf simplen und hochwertigen Materialien: am Ende der Lebensdauer kann sie in Aluminium, Stahl, Kunststoff und Elektronik getrennt werden. Sie lässt sich einfach wegtragen, wenn sich die Nutzung wandelt, bei den Komponenten wurde eine starke Modularisierung vorgenommen: So kann man nachträglich einen zweiten Leuchtenkopf einhängen, auch ohne elektrisches Können nachrüsten und die Lampe auf den neuen Stand der Technik bringen.

Ein wichtiger Punkt der „Circular Design Rules“, der bei der „Artelea“ Leuchte umgesetzt wurde: Wiederverwertung im Design mitdenken. Mit wenigen Handgriffen lässt sich etwa die Lichtsteuertechnik herausnehmen, wenn Komponenten nicht mehr funktionstüchtig sind und ausgetauscht werden müssen – diese nimmt Zumtobel wieder entgegen. Wenn Firmen auf diese Weise Produkte oder Teile zurücknehmen und neue Produkte machen beziehungsweise die bestehenden auf den Standard eines Neugerätes bringen können – sogenanntes Re-Manufacturing – werden diese durch Re-Use-Möglichkeiten langlebiger. Das braucht Verantwortung von Herstellerseite, dass Produkte zurückgenommen und daraus neue gemacht werden, und reduziertes Ausgangsmaterial, das gut im Altern ist.

Harald Gründl.
Foto Elfi Semotan


Auch für Gründl ist klar, dass klassisches Recyceln nicht reicht. Denn trotzdem häufen sich Müll und mehr und mehr Dinge an: Wird man Designschaffende in Zukunft dafür bezahlen, dass sie Produkte aus der Welt schaffen? „Wir brauchen eine andere Kultur“, sagt Gründl und verweist darauf, dass das IDRV kürzlich die Ausstellung „Kreislaufkultur“ kuratierte, die schon an mehreren Orten die „10R“ der Österreichischen Strategie für Kreislaufwirtschaft vorstellte – Recycling ist dabei jenes „R“, das bei der prioritären Reihung ganz unten steht. Das Beispiel einer PET-Flasche zeigt gut, wie wenig Rezyklat, also wieder aufbereiteter Kunststoffabfall, nach wenigen Recyclingzyklen überbleibt: „Nur noch ein fingernagelgroßes Stück“, sagt Gründl.

Österreich weist laut der offiziellen Kreislaufwirtschaftsstrategie eine Zirkularitätsrate von etwa zwölf Prozent auf, was bedeutet, dass dieser Anteil der in der Wirtschaft eingesetzten Materialien und Ressourcen aus dem Recycling stammt. Österreich liegt hier weit abgeschlagen hinter den Niederlanden, dem europäischen Spitzenreiter im Recycling mit 30,9 Prozent. „Es braucht bei allen Strategien mehr Fantasie“, sagt Gründl.

Er und Braungart setzen ihre Hoffnung dabei insbesondere auf neue Nutzungskonzepte, bei denen Produkte statt zum Kauf zur Miete angeboten werden. „Leihmodelle sind ein Geschäftsmodell, das der Kreislaufwirtschaft zuträglicher wäre“, meint Gründl. Auf Wunsch könne man auch die „Artelea“-Leuchte bei Zumtobel mieten. Die Schweizer Laufschuhmarke „On“ hat wiederum ein Abomodell entwickelt: Für einen monatlichen Beitrag läuft man im neuesten Schuhmodell, das frühstens nach sechs Monaten beziehungsweise am Ende der Lebensdauer zurückgeschickt und zu neuen Produkten verarbeitet wird – kaufen kann man den Schuh nicht, man bekommt im Abo daraufhin wieder ein neues Paar zugesandt. Bereits recht gängig ist Leihe auch bei Waschmaschinen. So kann die Herstellerfirma Ressourcen minimieren und wertvolle Materialien billiger anbieten, veraltete Teile austauschen, nur auf Nachfrage anbieten, meint Braungart.

„Das Klimaproblem ist ohne Kreislaufwirtschaft nicht zu bewältigen“, ist sich Harald Gründl sicher. Damit in der Gesellschaft das Bewusstsein dafür weiter steigt, braucht es neben politischen Maßnahmen und ein Umdenken bei großen Playern vor allem eins: Bewusstseinsbildung. Design kann Impulse setzen. Auch Designschulen bilden Studierende bereits in „Cradle to Cradle“-Lehr-gängen aus. So hat auch Michael Braungart eine Professur an der Leuphana Universität Lüneburg. Er glaubt an die Motivation der Jungen, Unternehmen mit „Cradle to Cradle“ umzudenken und Innovation voranzutreiben.


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