Tiefenentspannung auf hoher See
Foto: Evera Chapel
Eine Woche allein im Hotelzimmer mit Balkon und Meerblick – von einer solchen Entspannung konnte Sozialarbeiterin Maya in ihrem stressigen Job lange nur träumen. Durch Zufall fand die 41-jährige Wienerin „das, was ich gesucht habe, und noch mehr.“ Sieben Monate segelte sie als Crewmitglied auf Booten im Karibischen Meer und dem Atlantik.
Von Doris Neubauer
Segeln hatte Maya nie auf ihrem Radar. Als sie ein Bekannter im September 2023 zu einem Festival auf ein Segelboot in Griechenland einlud, sagte sie spontan zu – und fing Feuer. Die Urlaubsromanze mit einem argentinischen Kapitän war zwar von kurzer Dauer. Er lud die gebürtige Waldviertlerin aber nach der Partywoche ein, länger auf seinem Segelboot zu bleiben. „In dieser Zeit habe ich mich Hals über Kopf ins Segeln verliebt“, erzählt die 41-Jährige. „Nur sitzen und aufs Meer schauen – das ist die totale Tiefenentspannung. Es ist das, was ich gesucht habe, und noch mehr.“
Ausgebrannt
Drei Monate zuvor sah das Leben der Wahlwienerin noch ganz anders aus: „Ich war ausgebrannt, hatte Bluthochdruck, jede Nacht nur von der Arbeit geträumt und krasse Stresszustände erlebt“, berichtet sie. Zwei Jahre als Sozialarbeiterin im Wiener Jugendamt hatten ihre Spuren hinterlassen. Als selbst ein Burn-out-Präventionscoaching erfolglos blieb, war für sie klar: „Es geht nicht mehr.“ Im Juni kündigte Maya und reiste durch Europa mit dem Plan, sich im Herbst in Wien wieder eine Stelle zu suchen. Doch dann kam das Segeln …
„Es hat sich eine neue Welt aufgetan“, erzählt die Kultur- und Sozialanthropologin, die mit Mitte dreißig Soziale Arbeit studiert hat. In dieser Welt suchen Kapitäninnen und Kapitäne in Facebook-Gruppen und auf Webseiten nach einer Crew, die beim Segeln des Bootes assistiert, kocht, putzt, den Schiffsrumpf schrubbt, kleinere Reparaturarbeiten durchführt, Besorgungen an Land erledigt oder Nachtwache bei längeren Überfahrten hält. Dass man „nebenbei“ das Segeln lernt, kam Maya gerade recht. Sie schaltete ein Inserat und bekam schnell Zuschriften. Darunter befand sich auch die eines US-Amerikaners, der zwei Leute suchte, um auf seinem 12-Meter-Katamaran von Puerto Rico in seine Heimat Florida zu segeln. Alle Ausgaben der für vierzehn Tage geplanten Reise würde er übernehmen. „Ich habe keinen Job, keine Partnerschaft, ausreichend Geld am Konto und der Winter kommt“, lässt Maya an ihren Überlegungen von damals teilhaben. „Warum soll ich in Wien bleiben, wenn ich genauso gut in der Karibik sein kann?“
Erstens kommt es anders …
Die Antwort lag auf der Hand: Nach einem Videocall mit dem Amerikaner sagte Maya zu, vermietete ihre Wohnung, schloss eine Reiseversicherung ab und buchte ihre Flüge nach Puerto Rico. „Dort sind wir gleich losgesegelt“, berichtet sie von der dreitägigen Überfahrt zum ersten Zwischenstopp. Da sich das andere Crewmitglied dabei als untauglich für den Job herausstellte, waren Maya und ihr Kapitän schnell nur noch zu zweit an Bord. Auch der Plan, bis Weihnachten nach Florida zu gelangen, fiel „einer Schlechtwetterfront nach der anderen“ zum Opfer. Nach über drei Wochen hatten sie es gerade einmal auf die Bahamas geschafft. Weihnachten zu Hause wollte sich der Kapitän dennoch nicht nehmen lassen. Da die Jachthäfen ausgebucht waren, akzeptierte er Mayas Angebot, über die Feiertage gegen Bezahlung das Boot für ihn zu hüten. Zehn Tage lang blieb sie allein an Bord, erkundete Nassau und freundete sich mit Bootsnachbarn an. „Es war eines der coolsten Weihnachten, das ich je erlebt habe“, schwärmt sie. Genauso gern erinnert sie sich daran, in der Neujahrsnacht nach fünf Wochen endlich Florida erreicht zu haben.
Glück im Unglück
Der Schock, dort ein paar Tage später bei einem entspannten Abendessen auf dem Katamaran von einem Tornado überrascht worden zu sein, sitzt ihr bis heute in den Knochen. „Der Wetterbericht hatte nichts vorhergesagt. Plötzlich hat das Handy angefangen zu piepsen“, schildert Maya den Moment, „und fünf Minuten später hat er uns auch schon getroffen. Aus dem Nichts heraus.“ Zum Glück kamen Boot wie Crew mit leichten Schrammen davon.
Nautische Karten lesen, sicher navigieren und das Rigg einstellen – in den sieben Monaten als Crewmitglied lernte Maya viel übers Segeln. Fotos privat
Es blieb nicht die einzige brenzlige Situation. „Leider gibt es in der Seglerwelt auch Kapitäninnen und Kapitäne, die einsam, psychisch instabil oder dem Alkohol verfallen sind und die Mitarbeitenden verbal, emotional oder sogar sexuell missbrauchen“, hat sie im Vorfeld der Reise erfahren. „Man muss aufpassen.“ Trotz Vorsichtsmaßnahmen blieben der Abenteurerin, die in ihrer Studienzeit zweieinhalb Jahre in Indonesien gelebt hatte, schlechte Erfahrungen nicht erspart. Auf einem Boot in Panama eskalierte die Situation binnen kürzester Zeit: „Schon am ersten Abend hatte sich der Kapitän mit Freunden betrunken“, erzählt Maya von „unkonsensualen Berührungen“. Als sie ihn am nächsten Morgen darauf ansprach, entschuldigte er sich zwar, wurde abends aber erneut übergriffig und warf sie schließlich am dritten Tag unter heftigen Drohungen vom Boot: „Da hatte ich echt Angst“, gibt sie zu. Zum Glück fand sie kurzfristig am selben Ankerplatz auf einem Charterboot Zuflucht.
Wie eine Heldin
Nach dieser Episode erkundigte sich die Seglerin noch genauer über den Alkoholkonsum an Bord. Doch nicht nur das: „Ich musste lernen, für mich einzustehen und meine Grenzen zu schützen“, weiß sie. „Mein Selbstbewusstsein ist gewachsen.“ Deutlich hätte sich das auf den letzten Booten gezeigt, mit denen sie den Atlantik bis zu den portugiesischen Azoren überquerte. „Da war ich total in meiner Kraft und habe mich ein bisschen wie eine Heldin gefühlt“, ist Maya stolz auf ihre Entwicklung. „Ich habe viele Dinge angesprochen, die mich gestört haben. Das konnte ich früher nicht so gut.“
Die Auszeit habe sie nachhaltig verändert. „Ich habe gemerkt, wie gut mir die Entschleunigung und das einfachere Leben beim Segeln getan haben. Auf den Booten gibt es nicht viel mehr zu tun, als zu segeln, zu kochen, zu essen, zu putzen und Dinge zu reparieren. Internet gibt es mitten am Meer meist nicht. Es ist so ganz anders als die überladene, schnelle Welt in Wien“, erklärt sie ihre „große Identitätskrise“ nach ihrer Rückkehr. „Wer bin ich jetzt? Was passt von meinem alten Leben noch zu mir? Wo ist mein Platz auf dieser Welt?“ – Auf diese Fragen hat sie bis heute keine abschließenden Antworten gefunden. Offen ist auch, ob Maya in Wien bleibt oder ihre Reise fortsetzt. „Dominica soll die schönste karibische Insel sein, da will ich gerne hin“, mangelt es nicht an Ideen, „und vielleicht segle ich im nächsten Jahr über den Pazifik nach Französisch-Polynesien und Südostasien.“ Wohin sie der Wind eben treibt …