Alles muss man selber machen

Kolumne von Sarah Kleiner
Wer im Supermarkt genau drauf schaut, woher das Obst und Gemüse in den Schaffeln kommt, den kann schon mal ein kleiner Schlag treffen. Avocados aus Peru sind wir ja schon gewöhnt, aber Fisolen aus Marokko, Zuckererbsen aus Simbabwe und Bohnen aus Kenia? Alles schon gesehen. Saisonal bedingte Mängel werden durch Importware wettgemacht, egal, wie weit das Gemüse dafür reisen muss, egal, wie die Lebensbedingungen im Herkunftsland sind.
Natürlich ist der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) darum bemüht, eine möglichst hohe Lebensmittelsicherheit für uns Kunden herzustellen, das heißt: viele Supermärkte, viele Produkte und niemals leere Regale. Für die eingangs erwähnten Import-Auswüchse wird stets der Kundenwunsch ins Treffen geführt – der Supermarkt bediene ja nur unsere Nachfrage, selber Schuld also. Wir haben indes völlig verlernt, uns entlang der Reifeprozesse der Natur zu ernähren – saisonal zu essen. Es ist kein Geheimnis, dass Produkte aus Übersee oder Afrika für uns nur deshalb leistbar sind, weil sie ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen entstammen und eine globale Dumping-Transportinfrastruktur nutzen.
Aber bleiben wir noch kurz bei den Bohnen aus Kenia. 2022 hat Österreich Waren im Wert von 13,5 Millionen Euro aus Kenia importiert, etwa ein Drittel davon waren Gemüse und Früchte. Der ostafrikanische Staat erlebt momentan die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, fünf Regenperioden sind in den vergangenen drei Jahren ausgeblieben. Etwa elf Millionen Kenianerinnen und Kenianer – fast ein Viertel der Bevölkerung – leben unter der absoluten Armutsgrenze (1,90 US-Dollar pro Tag). Sollte es nicht das Ziel der „entwickelten“ Staaten sein, Ernährungssouveränität in Ländern mit so prekären Lebensbedingungen zu fördern? Sollte es nicht das Ziel sein, die Fehler, die bei der europäischen Agrarpolitik gemacht wurden, nicht zu wiederholen?
Im Gegensatz zur Ernährungssicherheit, die sich auch auf Importware stützt, stehen bei der Ernährungssouveränität die Unabhängigkeit eines Staats und die Lebensmittelversorgung der lokalen Bevölkerung an erster Stelle. Erst wenn der Bedarf gedeckt ist, geht‘s ans Exportieren. In Österreich gibt es eine zivile Bewegung für das Anliegen, das eine umfassende Umstrukturierung des Agrarsystems und auch der Wirtschaft erfordert, stark angetrieben von der „Österreichischen Berg- und Kleinbäuer_innen Vereinigung“ (ÖBV Via Campesina). Politisch braucht es längst mehr als bio, ein starkes Bekenntnis zur kleinstrukturierten Landwirtschaft etwa oder mehr Förderungen für regenerative Bewirtschaftung, für den Bodenaufbau. Bis 2050 wird laut BEAT-Studie der AGES bei den besten österreichischen Ackerböden ein Rückgang der Fruchtbarkeit um bis zu 50 Prozent prognostiziert. Für ganz Österreich wird der Verlust auf rund 20 Prozent geschätzt – und das bei einer wachsenden Bevölkerung und wo jeden Tag neue Fußballfelder durch Versiegelung verloren gehen. In den entstehenden Supermärkten können wir dann die simbabwischen Zuckererbsen kaufen.
Noch ungemütlicher wird der Griff zum Gemüse aus Kenia, wenn man bedenkt, dass Chemiekonzerne Pestizide, die aufgrund ihrer gesundheitsschädlichen Wirkung in der EU verboten sind, in afrikanische Länder exportieren. 2020 hat die Böll-Stiftung kenianische Tomaten getestet, eines der wichtigsten Nahrungsmittel der Bevölkerung. Von den insgesamt 25 Proben überschritten 60 Prozent die erlaubten maximalen Rückstandshöchstgehalte für Pestizide. Die Hälfte der Pestizid-Wirkstoffe, die man entdeckte, wurde schon längst vom europäischen Markt genommen. Teilweise fanden sich zehn verschiedene Wirkstoffe in einer Tomate.
Das heißt, Europa verantwortet hier dreierlei: Wir exportieren unsere Chemieprodukte, mit denen das Gemüse der kenianischen Bevölkerung de facto ungenießbar gemacht wird – oftmals ohne dass die Landwirte, die die Chemikalien benutzen, wissen, was sie da auf ihre Felder sprühen. Gleichzeitig greifen wir auf kenianische Anbauflächen zurück, um Lebensmittel für Österreich herzustellen. Und wir sorgen dafür, dass auch in Zukunft „Problemgemüse“ in Kenia hergestellt wird, da wir mit den Chemikalien die Böden nachhaltig vergiften. Ein Teufelskreis, der sich immer weiter dreht.
Ich bin jedenfalls seit kurzem Mitglied in einer solidarischen Landwirtschaft. Das bedeutet, ich bezahle einen Betrag direkt an einen Landwirten und erhalte im Gegenzug einen Teil seiner Ernte. Überschüsse wirken sich genauso auf diesen Anteil aus, wie Ernteausfälle. Das Ganze läuft ähnlich ab wie bei einem Bio-Kisterl, allerdings wird das Gemüse nicht in meine Wohnung geliefert, ich muss es abholen. Und die Qualität geht über bio hinaus. „Unser Bauer“ benutzt keine Pestizide, setzt keine künstlichen Düngemittel ein, setzt nicht auf Monokultur. Das Wichtigste: Er betreibt Bodenaufbau und sorgt dafür, dass die Erde, sein Land, sich erholt, während er noch Gemüse darauf zieht. Für Import-Abtrünnige gibt es natürlich noch andere Möglichkeiten, das erwähnte klassische Bio-Kisterl etwa, Direktvertrieb bei Landwirten oder regionale Märkte.
Alles, was mein Herz begehrt, kann ich von diesem einen Bauern natürlich nicht beziehen. Ich muss mich anpassen, an das, was er anbaut, an das, was Saison hat, an das, was den Winter überlebt. Das heißt auch, dass ich noch regelmäßig im Supermarkt bin und mir ansehe, woher die Früchte dort kommen. Ich warte auf Lauch aus Äthiopien und Wassermelonen aus der Sahelzone.
Sarah Kleiner, geboren 1991 in Oberösterreich, arbeitet in Wien als freie Journalistin. Sie ist Chefin vom Dienst beim ORIGINAL Magazin und schreibt nebenher auch für das Ressort „Forschung Spezial” des Standard.