Mein Wunsch

Foto Leon Kornfeld
Von Maja Goertz
Irgendwann habe ich entschieden, dass 00:00 Uhr nicht nur an Silvester eine gute Zeit ist, um sich etwas zu wünschen. Sternschnuppen oder Kerzen auf Geburtstagskuchen begegnen uns einfach zu selten. Deswegen schreibe ich seit ein paar Jahren meinen Freundinnen, wenn ich um 00:00 Uhr noch wach bin: Wünsch dir was. Wenn ich mir selbst etwas wünsche, dann schließe ich die Augen. Statt eines Wunschs kommen als erstes die Zweifel: jeder Wunsch wird in dem Augenblick, in dem ich versuche ihn zu formulieren, zu einer Gelegenheit, die ich bestmöglich nutzen will. Es gibt so viel, was ich gerne hätte. Weltfrieden, ein Ende der Klimakrise, Chancengleichheit, Liebe für alle, eine Katze zum Kuscheln oder endlich mal entspannter zu sein. Das alles sind Wünsche, die sich nicht durch eine von der Fingerspitze gepustete Wimper erfüllen lassen, das weiß ich. Nach dem Überlegen und Formulieren, wenn ich meine Augen blinzelnd wieder öffne, dann ist der kurze magische Moment, die Unterbrechung alles Alltäglichen, vorbei.
Ein bisschen ist Wünschen wie Beten. Nur: Nach Wünschen fragt niemand. Sie laut auszusprechen, soll Unglück bringen. Ich glaube, dass eigentlich das Gegenteil der Fall ist. Manches kann erst dann wahr werden, wenn wir uns trauen, es laut zu sagen. Ein Wunsch kann das Geständnis einer Sehnsucht sein, oder ein verstecktes Ziel, vielleicht ein so großes, dass wir uns nicht trauen, es auf ein Vision-Bord zu schreiben. Für manche Wünsche schämen wir uns, wir kommen uns albern vor oder egoistisch. Man könnte Wünschen für veraltet halten, für etwas Passives. Wir vertrauen dabei auf höhere Mächte, verlassen uns auf das Schicksal und halten uns an Rituale, die wir kennen, seitdem wir Kinder waren.
Mit der Zeit verändern sich unsere Sehnsüchte. Manchmal vergessen wir, was wir uns einmal gewünscht haben oder müssen feststellen, dass sich manches trotz vieler ausgepusteter Geburtstagskerzen nicht einlöst. Dabei ist der Akt des Wünschens selbst viel wichtiger, als die zauberhafte Erfüllung. Wünsche schenken uns Momente, in denen wir uns bewusst machen können, was wir wollen. Sie lassen uns innehalten, die Augen schließen, still werden und in uns hineinhören. Wünsche können sich in Wegweiser verwandeln, die unser Handeln anregen. Ich finde, wir brauchen mehr Gelegenheiten dazu. Wünschen sollte immer erlaubt sein, nicht nur zu bestimmten Uhrzeiten, Himmelsphänomenen oder Feiertagen. Also: Wünscht euch was!
Maja Goertz wurde 2002 geboren und lebt in Berlin. Neben dem Studium der Literaturwissenschaft schreibt sie als freie Autorin und Journalistin über Kunst und Kultur. Auf dem von ihr mitgegründeten Blog „Semikolon“ berichtet sie über mentale Gesundheit.