„Ich bin kein Aussteiger, weil ich nie eingestiegen bin.“

Nikolai Jochum ist der einzige Vollerwerbsbauer von Bregenz Stadt. Er produziert Gemüse, Obst, Kräuter und Getreide. Seine Arbeitsmethoden sind geprägt vom Zyklus der Natur, dem Wissen der Vorfahren und der Leidenschaft für das Handwerk – frei nach dem Motto: „Wer mit den Händen etwas schaffen kann, kommt immer an einen gedeckten Tisch.“

Text Roger Knabenhans, Fotos Angela Lamprecht

Ich treffe Nikolai Jochum auf einem seiner von der Stadt Bregenz gepachteten Felder. Nach dem vielen Regen ist er froh, ein paar Sonnenstunden nutzen zu können, um die noch zarten Salatpflanzen freizuhacken. Wir sprechen im Gehen und ich folge ihm barfuß. Das erdet. Er lacht und erzählt, dass er oft barfuß über den Wurzelweg zum „Känzele“ hochgehe. Reflexzonenmassage in der Natur. Tut allen gut, denen die Füße schmerzen. Ihm hilft es, wenn’s im Kreuz zwickt. Handarbeit fordert ihren Tribut.

Die Arbeit mit einfachen Geräten und von Hand ist ein wichtiger Bestandteil von Nikolai Jochums Arbeit. In den meisten Fällen ist sie zweckmäßiger und effizienter als irgendeine moderne Maschine. Umweltschonender sowieso. Es kommt auf die Meisterschaft an. So geht etwa das Mähen mit der Sense oft schneller als mit der Motorsense. Wichtig dabei sind eine scharfe Klinge und ein sauberer Schwung. Dann mäht die Sense und nicht der Mann. Die Antwort auf die Frage, ob auch Maschinen zum Einsatz kommen würden, überrascht. „Grundsätzlich bin ich schon eher ein fauler Mensch. Und fortschrittlich.“ Wann immer möglich, wird die Handarbeit durch Maschinen ersetzt und dabei das Prinzip der Kreislaufwirtschaft befolgt: Alte Maschinen werden gekauft und mit viel handwerklichem Geschick den eigenen Bedürfnissen angepasst. Mit der Setzmaschine hat er fünf Jahre lang experimentiert, inklusive schierer Verzweiflung. „Nun verändern wir beim fast 70-jährigen Traktor noch das Getriebe und bauen einen Zwischengang ein, weil er aktuell für die Setzmaschine etwas zu sportlich unterwegs ist.“ Nikolai Jochum tüftelt, repariert und optimiert lieber, als etwas wegzuwerfen und neu zu kaufen. Akribie, Fachwissen und gesunder Menschenverstand sind die entscheidenden Ingredienzen für ein optimales Zusammenspiel von Handarbeit und Maschine. Damit reduziert er den Verbrauch, vermindert das Risiko von teuren Reparaturen, spart Kosten und nicht zuletzt auch Ärger.

Vor rund zehn Jahren hat der heute 32-jährige Herzblutbauer beim Kloster Marienberg in Bregenz einen brachliegenden Betrieb übernommen und ihn über die Jahre zu einem wahren Kleinod an Nachhaltigkeit entwickelt. Gemüse, Obst, Beeren und Kräuter werden im Jahreslauf der Natur angebaut. Neben der Beachtung der Fruchtfolge bearbeitet er die Kulturen mit rein natürlichen Methoden. Oberstes Ziel ist die Selbstversorgung für sich und das Kloster. Was nicht selbst produziert wird, erwirbt Nikolai Jochum im Tauschhandel. Und erst in dritter Linie werden die Lebensmittel im Hofladen oder auf dem Markt verkauft. Dabei hat es der einzige Bregenzer Stadtbauer komfortabel: zwei Minuten zum Markt am Leutbühel, wenig Konkurrenz. „Ich kann mir die Kundschaft quasi aussuchen.“ Diese Stellung sowie die Produktpalette haben sich über die Jahre kaum verändert. Die Erfahrung ist reicher geworden und hilft sehr, den Anbau mit der Natur noch besser in Einklang zu bringen. Und er arbeitet nicht mehr allein, sondern hat mit Thomas einen Mitarbeiter, der bei ihm schon die Ausbildung zum Feldgemüsebauer absolviert hat und den er quasi „zur Familie“ zählt. Melissa ist die Dritte im Bunde und macht gerade ein Praktikum.

Letztes Jahr konnte Nikolai Jochum von einem befreundeten Bauern einige Samen des Nüziderser Weizens erwerben und hat begonnen, diese uralte Vorarlberger Getreidesorte anzubauen. Korn eignet sich perfekt für die Fruchtfolge. Es steht im Winter und somit in einer Zeit, in der man den Boden ansonsten kaum nutzen kann. Um den ganzheitlichen Ansatz zu pflegen, arbeitet der Pionier seit gut fünf Jahren an einem Mähdrescherprojekt. Dreschen von Hand und mit dem Flegel ist knochenhart. „Jeder Mensch, der einmal selbst ein Brot hergestellt hat – vom Korn bis zum fertigen Laib –, würde nie mehr eine Scheibe wegwerfen“, sagt Nikolai Jochum. Für seinen Betrieb suchte er eine Dreschmaschine, die den Bedürfnissen der kleinen Anbaufläche entspricht. Fündig geworden ist er in Asien, in einem Gebiet mit vielen kleinbäuerlichen Strukturen. Da es für ihn nicht sinnvoll ist, allein einen kleinen Mähdrescher zu erwerben, haben sich vier Vorarlberger Obst- und Gartenbauvereine zum gemeinsamen Erwerb zusammengefunden. So werden alte Getreidesorten wieder interessant, da auch kleinere Mengen im Nebenerwerb oder im Hobbybereich verwertet werden können. Milena Broger und Eric Pedersen vom Restaurant „WEISS“ in Bregenz beispielsweise haben Nikolai Jochums Weizen mit offenen Armen erworben und zur Weiterverarbeitung eine Mühle gekauft. Nun genießen die Gäste im „WEISS“ Brot aus nahrhaftem, regional und nachhaltig produziertem Getreide, das hervorragend schmeckt. Für Nikolai Jochum persönlich dient die Getreideproduktion vorwiegend der eigenen Versorgung. Er hat seitdem kein Brot mehr gekauft.

Auf seinem Küchentisch gibt es mit Ausnahme von Kaffee, Gewürzen oder gewissen Milchprodukten nur Eigenes. Was fehlt, wird größtenteils eingetauscht. Es ist ein außerordentlich befriedigendes Gefühl, am Tisch zu sitzen und zu sehen, was mit der eigenen Händearbeit alles möglich ist.

Kommt sich der Bauer mit den eigenen Methoden in der modernen Welt manchmal vor wie ein Außenseiter? Er wurde schon als Aussteiger bezeichnet, sagt aber mit Vehemenz, dass er gar nie eingestiegen sei. Er lebt einfach auf dieser Welt und macht für sich das, was ihn glücklich macht. Kein Überfluss. Nichts wegwerfen, was noch funktioniert. Reparieren statt kaufen. Zufrieden sein mit dem, was man hat. Nicht allem nacheifern, was „Mode“ ist. Nach innen hören und nach den eigenen Überzeugungen leben. Die Reise nach innen sei für ihn die wertvollste. Die Leute wären glücklicher, wenn sie wüssten, dass weniger mehr ist.

Ist das, wie Nikolai Jochum arbeitet und lebt, eine Form von Luxus? Richtig zufrieden wird er, wenn er in dieser herrlichen Kulisse bei strahlendem Sonnenschein auf dem Feld arbeiten kann. Wenn alle, die mitarbeiten, am Mittagstisch zusammensitzen und ein selbst gekochtes Mittagessen aus den angebauten Zutaten genießen. Das ist für ihn Luxus. Und dann erinnert er sich an eine Anekdote seines Bruders, als er ihm von seinem Wunsch von einem alten Haus mit etwas Boden darum erzählt habe, wo er einfach und in Ruhe leben könnte. Sein Bruder habe daraufhin gesagt: „Weißt du, so luxuriös, wie du leben willst, ist halt heute nicht mehr drin.“ Es ist alles eine Frage der Perspektive.


Info:
Hofladen beim Klostergarten Marienberg: Mittwoch, von 16 Uhr bis 19 Uhr.
Marktplatz in Wolfurt: Freitag, von 14 Uhr bis 17 Uhr.
Leutbühel in Bregenz: Samstagvormittag.


Als Einzelheft oder Abo erhältlich


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