Dinge des Lebens

Das ist mein Ding!

Von Babette Karner

Es gibt Dinge, die benützen wir tagein, tagaus, manchmal bemerken wir sie, manchmal auch nicht. Aber dann, irgendwann, sind sie uns ans Herz gewachsen, sind schon so lange mit uns, dass sie zu unserem Leben dazugehören. Dann gibt es Dinge, die sind besonders – weil sie uns an andere Zeiten erinnern, an andere Menschen, vielleicht sogar an ein anderes Ich. Und manchmal bleiben Dinge einfach bei uns, weil sie praktisch sind – oder weil sie sich schlicht weigern, kaputtzugehen.

Was sind das also für Gegenstände, die uns schon lange begleiten, die wir niemals hergeben würden, obwohl sie weder schön oder praktisch, wertvoll oder außergewöhnlich sind? Wir haben fünf unserer Autorinnen und Autoren sowie Fotografinnen und Fotografen befragt, was denn eigentlich „ihr Ding“ ist.

Zeitloser Engel
„Dieser Engelskopf stammt aus Valencia, wo ich nach der Schulzeit einige Monate Spanisch lernte. Mit einem Skizzenbuch strich ich durch die Straßen, um meine Mappe für das geplante Designstudium vorzubereiten. Eines Tages kam ich an der Werkstatt eines Bildhauers vorbei, der gerade lebensgroße Heiligenfiguren schnitzte. Ich blieb wie angewurzelt stehen: Scheinbar blickte ich tief in die Vergangenheit, denn genauso mussten all die Holzskulpturen aus fernen Zeiten in den Kirchen, Kathedralen und Klöstern entstanden sein. Er gab mir ein Zeichen hereinzukommen und zeigte mir geduldig seine Arbeiten und Zeichnungen. So kam ich dann regelmäßig in das Atelier von Federico Esteve Defés, zeichnete dort weiter in meinem Skizzenbuch und sah ihm bei der Arbeit zu. Er schenkte mir den Engelskopf, den ich seither wie einen Schatz hüte. Für mich speichert dieses Objekt die Erinnerung daran, wie er aus rohem, klobigem Holz scheinbar lebendige Wesen herausschälte, während seine Füße in einer immer dichteren Schicht gelockter Holzspäne versanken.“

Jutta Nachtwey studierte Kommunikationsdesign und Kunstgeschichte/Germanistik, arbeitete als Redakteurin für „PAGE“, Fachmagazin für Mediendesign, schrieb Artikel für Designzeitschriften und führte Interviews für das Portal designklicks. Als Autorin, Redakteurin und Mitherausgeberin war sie bei der Entwicklung verschiedener Designbücher tätig, darunter „Design Eco-logy!“. Seitdem setzt sie im Bereich Design und Ökologie einen Schwerpunkt. junanet.de


Zeitmanagement aus Plastik
„Ausgerechnet Plastik. Mein ‚Ding des Lebens‘ ist eine schwarz-rote Registermappe für den Schreibtisch. Marke time/system und mittlerweile ungefähr 30 Jahre alt. Bei time/system war ich ‚early adopter‘. Das waren damals bei (großteils männlichen) Managertypen angesagte Kalenderbücher. Der Filofax für Business-VIPs. Entdeckt habe ich das ganze während eines Ferialpraktikums. Organisiert habe ich danach freilich wenig Geschäftliches. Eher Schularbeitstermine und mögliche Maturafragen. Aber man wird ja älter. Studium, Nebenjob, erster richtiger Job, erstes Unternehmen gegründet. Mein time/system wuchs mit und auch das Zubehör. Die besagte Registermappe war eines dieser Zubehörteile. Format A4, schwarz, rote Trennblätter, zwölf Fächer. Die Mappe lag bereits auf dem Schreibtisch (Pressspanplatte auf Bananenkisten) meiner ersten Studentenwohnung in Wien, übersiedelte in meine erste Mietwohnung (IKEA-Schreibtisch), dann in mein erstes Büro in Wien (schwarzer Designerschreibtisch) und irgendwann auch in mein jetziges Büro nach Tirol. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit wird sie hier auch bleiben. Quasi ‚angekommen‘.“

Jürgen Schmücking ist Journalist und Fotograf. Seine Themen sind Wein, Destillate, Bier sowie Käse, Fisch und Fleisch – wo und wie diese Lebensmittel hergestellt werden, wie sie schmecken und auf welchen Wegen sie die Gaumen der Konsumenten erreichen. Und die Geschichte und Geschichten derer, die sie herstellen.
schmuecking.bio


Ein Mini-Klavier, das Dr. Shivago spielt
„Ich bin in meinem Leben schon vergleichsweise oft umgezogen, mindestens acht Mal. Eine Sache, die ich seit ich sie besitze bei jedem Umzug vorsichtig in die Originalverpackung zurückgebe und auf jeder Station meines Lebens irgendwo aufgestellt habe, ist eine Spieluhr. Ich habe sie als Jugend­liche geschenkt bekommen, damals habe ich noch wöchentlich Klavierunterricht genommen. Vor Freunden habe ich immer rausposaunt, dass ich einen Mann, der mir einen anständigen (teuren) Konzertflügel kauft, heiraten würde – egal wer er sei. Einer hat mir zum Geburtstag dann die Spieluhr besorgt. Sie ist eingebaut in ein Miniatur-Klavier, alle Details sind liebevoll herausgearbeitet. Fünf Oktaven mit weißen und schwarzen Tasten, ein Miniatur-Hocker, der Klaviaturdeckel lässt sich schließen, der Flügel sich öffnen und darin spielt die Uhr ihr Lied ab. Lange Zeit dachte ich, es sei ein Klavierstück, bestimmt von einem Chopin oder Mendelssohn. Dann sah ich mir das Etikett auf der Unterseite des Flügels genauer an. ‚Lara‘s Theme‘. Die Melodie stammt vom Soundtrack zu Dr. Shivago, einer US-amerikanischen Romanverfilmung aus den 1960er-Jahren. Aber ob nun Shivago oder Chopin – was sagt das schon aus, bei so
einer schönen Geste.“

Sarah Kleiner stammt ursprünglich aus Oberösterreich und arbeitet seit einigen Jahren als freie Journalistin in Wien. Sie schreibt über Nachhaltigkeit und Umweltthemen genauso gern wie über die Gesellschaft und Politik. Seit 2015 begleitet sie das ORIGINAL als freie Autorin, seit Beginn dieses Jahres verstärkt sie das redaktionelle Team als Chefin vom Dienst.


Buch und Stifte für Gedanken
„Wenn mich etwas beschäftigt, schreibe ich es auf und das hilft mir, den Kopf für andere Dinge frei zu kriegen. Manchmal wache ich mitten in der Nacht auf, mit einem Gedanken in meinem Kopf, der sich dort festgesetzt hat und mich wachhält. Dann schreibe ich ihn auf und schlafe weiter.
Tagebücher begleiten mich seit meiner Jugend, mit Anfang 20 habe ich begonnen regelmäßig zu schreiben. Mein Tagebuch und die bunten Stifte sind fixer Bestandteil meines Lebens, sie bringen Farbe in meinen Alltag. Buch und Stifte habe ich immer dabei, ich schreibe zuhause, im Kaffeehaus und sie begleiten mich auf meinen Reisen.
Es gab Zeiten, in denen ich täglich schrieb und dann wieder tagelang nicht. Hin und wieder mache ich mir den Spaß und lese in alten Tagebüchern. Dann schüttle ich den Kopf darüber, wie verkorkst mein Leben früher war und wie sehr ich mir bisweilen selbst im Weg stand. Manchmal finde ich aber auch kluge Gedanken, die mir weiterhelfen.
Das Schreiben hat mir immer geholfen, Gedanken in Worte zu fassen und Erlebtes zu verarbeiten. Es hat mich auf meinem Weg begleitet, ist ein verlässlicher Bestandteil meines Lebens.“

Susanne Wolf, freie Journalistin und Autorin mit den Schwerpunkten Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit. Bei ihrer Arbeit legt sie Wert auf einen konstruktiven Zugang, der Mut macht und zu Eigeninitiative anregt. Aktuelles Buch: „Zukunft wird mit Mut gemacht“.
susanne-wolf.com


Ein Nachttisch, nützlich und unbenutzt
„In dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, gab es im Keller eine kleine Wohnung. Wir haben sie erst als Gästewohnung verwendet, später zog meine Schwester dort ein und als sie studieren ging, durfte ich dort leben. Das Mobiliar war aus den 80er Jahren, sehr dunkel und schwer, somit auch das Bett und die dazugehörigen Nachttische, die vormals schon im Schlafzimmer meiner Eltern standen. Einen dieser Nachttische nahm ich erst nach Klagenfurt mit, später nach Wien. Er ist weder sonderlich praktisch noch besonders schön, er ist nicht klein und auch nicht groß. Man kann ihn überall verwenden und er passt nirgendwo dazu. Er ist beim Umziehen oder Umstellen immer als ‚Springermöbel‘ im Einsatz, nur um dann so schnell wie möglich wieder im Blickschatten eines Sessels oder in einer dunklen Ecke zu verschwinden, wenn ich etwas Richtiges gefunden hab. Lockdown-bedingt hatte ich ihn gerade erst wieder für drei Wochen im Einsatz, nur um ihn dann doch wieder unterm Bett zu verstauen. Dort steht er nun, unbenutzt, und sieht noch immer genauso aus wie vor 35 Jahren. In seiner kleinen, unpraktischen Schublade bewahre ich übrigens meine Erinnerungen an Reisen in 50 Länder auf: Der Nachttisch beherbergt also Osttirol und die ganze Welt.“

Christopher Glanzl, geboren 1984 in Lienz, kam über Klagenfurt und einen Abstecher in den Kosovo mit dem Bundesheer nach Wien, studierte Internationale Entwicklung bis er sich eine Kamera kaufte. Er arbeitet und lebt heute in Wien.


Teilen auf:
Facebook