Leben in La Borda

Die junge Architektengruppe Lacol nutzt Architektur als Schlüssel für ökosozialen Wandel. Der Vierte von rechts ist Carles Baiges. Foto Lacol
Von Natalie Kreutzer
Wie es das Pilotprojekt La Borda in Spanien geschafft hat, den Wohnsektor in einem ersten Schritt dem kollektiven Zusammenleben näherzubringen, darüber spricht der beteiligte Architekt Carles Baiges im Interview.
„Für mich ist hier ein Traum wahr geworden”, sagt Carles Baiges. Er wohnt im La Borda-Haus und ist zugleich Teil der jungen Architektengruppe Lacol, die von Anfang an bei diesem Projekt mit dabei war. „Ich genieße das Gemeinschaftsgefühl – und das in einer großen Stadt wie Barcelona.” Bereits mehrfach in Spanien ausgezeichnet und erst kürzlich mit dem international renommierten Nachhaltigkeits-Architekturpreis „Zumtobel Group Award 2021“ in der Kategorie „Buildings“ prämiert, setzt das Kooperations-Projekt La Borda in Barcelona einen neuen Standard für städtisches Wohnen in der Zukunft. Dabei sollen sowohl der gemeinschaftliche als auch der persönliche Wohlstand gefördert werden. Entstanden ist alles aus einer Bürgerinitiative, die eine Lösung für den mangelnden Zugang zu Wohnraum finden wollte. La Borda adressiert kollektives Wohnen und zeigt dabei eine Reihe nicht-physischer Werte auf. Zum Zeitpunkt seiner Errichtung 2018 ist das sechsstöckige Holzbauwerk die größte Holzkonstruktion Spaniens und somit herausragendes Beispiel in architektonischer Hinsicht als auch in Bezug auf ökologische Nachhaltigkeit.
Welche Motivation steckt hinter dem Projekt?
Carles Baiges: Das Projekt wurde mit einer Gruppe von Personen gestartet, die sich mit der Sanierung der alten Fabrik von Can Batlló (Barcelona) beschäftigt und sich um die Bezahlbarkeit von Wohnraum gesorgt hat. Wir von Lacol waren von Beginn an Teil dieser Initiative, da wir der Meinung sind, dass es sich einerseits um ein echtes Problem handelt, das gelöst werden muss, andererseits aber auch um ein Gebiet, auf dem neue Lösungen gefunden werden können.


2 Der 300 Quadratmeter große Gemeinschaftsbereich von La Borda liegt im überdachten Außenbereich um den Innenhof. Foto Lacol
Wie ist das Echo auf das Beispiel von La Borda?
La Borda war ein Pilotprojekt für die Stadt Barcelona. Das Prinzip fußt auf dem Nutzungsrecht. Dabei ist die Wohnungsgenossenschaft Eigentümerin des Gebäudes, das auf einem Grundstück der öffentlichen Hand errichtet wurde. Sie überträgt das Nutzungsrecht zum Wohnen an ihre Mitglieder. Zusammen mit einem kleineren Sanierungsprojekt der Kooperative Sostre Cívic im Stadtzentrum wurden so die ersten Wohnungsgenossenschaften dieser Art in Spanien realisiert. Nach deren Erfolg entschied die Stadtverwaltung, dies künftig vermehrt zu unterstützen. Unser Modell wurde seither vielerorts aufgegriffen und es sind neue Projekte gestartet worden.
Was sagen die Bewohner?
Das Feedback ist sehr positiv – insbesondere in Bezug auf den Klimakomfort im Winter und das Gemeinschaftsgefühl. Niemand kann sich mehr vorstellen, woanders zu leben. Auch einige andere aus unserem Lacol-Team wohnen im Haus, das hat sich zufällig so ergeben. Wir sind also auf dem Laufenden darüber, was funktioniert, was verbessert werden könnte und wie sich das Gebäude selbst bewährt. Was die Wohnqualität betrifft, so beobachten wir zusammen mit unseren Nachhaltigkeitsexperten und Ingenieuren gewisse Parameter in einigen Wohnungen und Teilen der Einrichtung, um das Gebäude bei Bedarf zu „tunen” und seine Leistung zu verbessern. Das hilft uns auch, das Gesamtpaket für nächste Projekte weiterzuentwickeln.
Wie ist das tägliche Miteinander auf kollektivem Raum?
Es funktioniert sehr gut. Natürlich, durch das Raumkonzept gibt es verstärkt Interaktionen zwischen den Nutzerinnen und Nutzern und damit auch mehr Gelegenheit für Auseinandersetzungen. Konflikte kommen überall vor, so auch bei La Borda. Aber wir haben hier Mechanismen entwickelt, um diese angehen und lösen zu können.
Eine unerwartete Herausforderung – Corona – hat die Gemeinschaft nach nur einem Jahr des Zusammenlebens erreicht. Eine erste Reaktion war, Teile des kollektiven Raums nicht mehr gemeinsam, sondern individuell und als Erweiterung zu den Wohnungen zu nutzen. So wurden die Gästezimmer zu Homeoffice-Plätzen umfunktioniert. Gleichzeitig hat man kollektive Bereiche genutzt, um sich gegenseitig zu unterstützen, indem man sich abwechselnd um die Kinder gekümmert hat, als die Schulen noch geschlossen waren. Soweit es die Lage zulässt, machen wir aktuell einmal wöchentlich wieder ein gemeinsames Abendessen.
Wie erleben Sie den Holzbau?
Die Besucherinnen und Besucher sind nach wie vor sehr positiv überrascht, wenn sie das Gebäude zum ersten Mal betreten. Aus akustischen Gründen und wegen der Brandschutzvorschriften ist das Holz nicht überall sichtbar, aber es ist präsent genug, um dir dieses Gefühl von Wärme zu vermitteln. Außerdem verringert es Dank seines hygrothermischen Verhaltens die Luftfeuchtigkeit in den Innenräumen. In Städten wie Barcelona erhöht dies speziell im Sommer den Wohnkomfort, da eine hohe Luftfeuchtigkeit herrscht.
Was steht als nächstes an?
Wir arbeiten derzeit an vier weiteren Projekten in Barcelona und Umgebung. Außerdem helfen wir vielen anderen Gruppen dabei, Zugang zu Grundstücken oder renovierungsbedürftigen Gebäuden zu bekommen – insbesondere mit La Dinamo, einer Stiftung, die nach La Borda gegründet wurde, um den Prozess für am Modell interessierte Gruppen zu erleichtern. Kurz gesagt, wir sind dabei, das Modell auf allen Ebenen zu konsolidieren, mit besonderem Augenmerk auf die Wohnungspolitik, den rechtlichen Rahmen und die Finanzierung der Projekte, um es skalierbar und zugänglich zu machen.
Weitere Infos: lacol.coop,
z.lighting/zumtobel-group-award