Uralt, aber absolut up to date

Foto Dominic Kummer

Der junge Bautechniker Ambros Berlinger aus Alberschwende hat ein Holz-Lehm-System namens „leho“ entwickelt, das Tradition und Innovation auf spannende Weise verbindet. Von Jutta Nachtwey

Während es früher ganz normal war, lokale Ressourcen fürs Bauen zu verwenden, ließ der industrielle Fortschritt manche bewährten Traditionen weitgehend in Vergessenheit geraten. Vor dem Hintergrund der Klimakrise, die nachhaltige Konzepte in allen Bereichen der Architektur zwingend erforderlich mache, lohne sich jedoch der Blick in die Vergangenheit, um neue Lösungsansätze für die Zukunft zu entwickeln, meint Ambros Berlinger aus Alberschwende.

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Dem Thema Stampflehm widmete er sich bereits während seiner Bautechnik-Ausbildung an der Höheren Technischen Bundeslehr- und Versuchsanstalt (HTL) Rankweil. Dieses natürliche Gemisch, das in unterschiedlichen Zusammensetzungen auf allen Kontinenten vorkommt, verwenden die Menschen weltweit bereits, seit sie anfingen zu bauen. Auch aus heutiger Sicht bietet das Material viele Vorteile: Es ist in sehr vielen Gebieten regional verfügbar und ermöglicht deshalb kurze Transportwege. Im Innenbereich hält es die Temperaturen stabil, weil es durch seine thermischen Eigenschaften Überhitzung und Kälte entgegenwirkt. Lehm kann Feuchtigkeit aus der Umgebungsluft aufnehmen und wieder abgeben. Dies begünstigt ein ausgeglichenes Raumklima und verhindert Schimmelbildung.

An der HTL Rankweil beschäftigte sich Ambros Berlinger auch damit, wie sich das Material heute auf Baustellen verarbeiten lässt. Um massive Wände zu errichten, wird Aushubmaterial in ein Gleitschalungssystem gefüllt und mit pneumatischen Pressluft-Stampfgeräten schichtweise verdichtet. Um die Oberflächen gegen Abrieb zu schützen, werden sie anschließend meistens nochmal nachbearbeitet. All dies ist zeit- und kostenintensiv – kein Wunder also, dass mit dem Aufkommen des Betons der Stampflehmbau an Bedeutung verlor. Vor diesem Hintergrund untersuchte Ambros Berlinger in seiner Diplomarbeit, wie man Stampflehm besser und günstiger einsetzbar machen kann. Er entwickelte ein Konzept, das Holz- und Lehmbau miteinander kombiniert, um modulare Wand-elemente für den Innenbereich zu produzieren, die dann unkompliziert verbaut werden können.

Erst mal stand bei ihm allerdings der Zivildienst an. Er entschied sich für ein Hilfsprojekt in Kambodscha – „um aus dieser europäischen Bubble mal rauszukommen und Neues kennenzulernen“, erzählt er. Ein Jahr lang arbeitete er an einer Schule in einer Provinz, wo Kinder kostenlos in englischer Sprache unterrichtet werden, die sonst keinen Zugang zu Bildung haben. Die ersten beiden Monate ließ ihn das Holz-Lehm-Konzept gedanklich nicht los – auch die Frage nach einer Patentanmeldung stand im Raum –, aber dann beschloss er, „mit dem Kopf ganz in Kambodscha zu sein und nicht in Gedanken in Österreich zu hängen“.

Nach seiner Rückkehr stieg er dann tiefer in das Thema ein und arbeitete an seinem „leho“-System weiter. Der Kern des Wandelements besteht aus einer Massivholzplatte mit vertikalen Trapezleisten, die dem Stampflehm Halt geben und die Vorsatzschalen mit dem Holzkern verbinden. Die Oberfläche wird abschließend gebürstet und durch eine Kasein-Emulsion geschützt, die ein Abstauben verhindert. Der Stampflehm sorgt einerseits für hervorragenden Brandschutz, andererseits auch für Schallschutz, was zu einer angenehmen Raumakustik beiträgt. Ein weiterer Vorzug des Systems ist, dass sich mechanische oder elektrische Installationen nahtlos einfügen lassen.


Einsatz im architektonischen Kontext
Im vergangenen Jahr konnte Ambros Berlinger das „leho“-Konzept erstmals in einem Einfamilienhaus in Alberschwende umsetzen. Hierbei kooperierte er mit dem Architekturbüro „Guter Plan“ in Egg, das eine ökologische Ausrichtung hat und auf Holzbau spezialisiert ist. In diesem Fall ging es auf Wunsch des Bauherren darum, das Haus so kreislauffähig wie möglich zu gestalten. Nach dem „Cradle-to-Cradle“-Ansatz sollte es am Ende seines Lebenszyklus mit wenig Aufwand in seine Einzelteile zerlegbar sein. „Wir verfolgten also von Anfang an das Ziel, sortenrein zu bauen und keine Verbundmaterialien zu verwenden“, erklärt Daniel Zimmermann, der das Architekturbüro zusammen mit Christian Bilgeri führt. Nur die erdberührenden Elemente wurden dort aus Beton gegossen, ansonsten basiert die gesamte Konstruktion auf Holzbau. Die Außenwände erhielten eine Einblasdämmung aus gehäckseltem Stroh, das Dach besteht aus Schiefer, die Böden aus massiver Buche. Auch im Badezimmer geht es sortenrein zu: Die Duschwanne und -wände sind komplett aus Edelstahl gefertigt, die Waschbecken aus Stein und die Badewanne aus Holz. Alles besteht also aus Monomaterialien, die dem Haus eine klare, ehrliche Atmosphäre verleihen – und später ohne Downcycling wiederverwendbar sind. „Ursprünglich war geplant, massive Stampflehm-Wände zu integrieren, aber dann sind wir auf das Hybrid-System von Ambros gestoßen. So konnten die Wand-elemente schon beim Aufrichten der Holzkonstruktion gesetzt werden“, erläutert Daniel Zimmermann. In den Kontext des sortenreinen Bauens fügt sich das „leho“-Konzept perfekt ein: Der Kern der Wandelemente besteht aus Holzplatten, die mit Holzdübeln statt mit Nägeln oder Kleber verbunden sind, und der Lehm haftet durch die Verdichtung ohne zusätzliche Befestigung am Holz.

Im Jänner 2025 hat der 23-Jährige in Alberschwende sein eigenes Unternehmen „lehm+holz“ gegründet. Die Wände produziert er in Zusammenarbeit mit einer Firma in Dornbirn. Er selbst will das Thema Holz-Lehm-Bau weiterhin erforschen und die ökologischen Aspekte seines Systems über die gesamte Bau- und Nutzungsphase dokumentieren. Außerdem möchte er weitere Kooperationen mit Unternehmen aufbauen, die das „leho“-System dann ebenfalls herstellen.
In den Holzkern lassen sich bei Bedarf auch wassergeführte Heizungsrohre integrieren – die Stampflehm-Vorsatzschalen fungieren dann als Wärme- oder Kältespeicher. Dank der im Inneren verborgenen Technik können die Wandelemente also auch modernsten Wohnkomfort bieten, während ihre natürliche Oberfläche davon unberührt eine archaische Ruhe ausstrahlt. Mit seinem „leho“-System macht Ambros Berlinger also deutlich: Der uralte Baustoff Lehm ist absolut zukunftstauglich. Und nachhaltiger gehts eigentlich nicht, denn der regionale Aushub für den Stampflehm und das Fichtenholz aus Vorarlberg glänzen mit bester Ökobilanz.


Ambros Berlinger

Foto Tayla Fenkart, manuelpaul

Stampflehm geriet in Vergessenheit, dabei ist das Material im wahrsten Sinne des Wortes naheliegend, oder?
Ambros Berlinger: Allerdings, es kommt weltweit in Hülle und Fülle vor. Wenn zum Beispiel in Österreich ein Haus gebaut wird, ob mit Keller oder Tiefgarage, dann landet das Aushubmaterial auf einer Deponie. Dieser „Abfall“ ist aber eine wertvolle lokale Ressource, die sich oft mit sehr geringem Energieaufwand als Baumaterial verwenden lässt.

Das uralte Material ist in ökologischer Hinsicht also absolut up to date?
Neben der regionalen Verfügbarkeit überzeugt es auch durch seine natürliche Kreislauffähigkeit: Wenn es eines Tages nicht mehr benötigt wird, kann der Stampflehm einfach wieder zerkleinert und ohne zusätzliche Bindemittel oder chemische Zusätze erneut verwendet werden.

Warum wird der Einsatz von Stampflehm durch dein System einfacher und kostengünstiger?
Durch den Verbund mit dem Holzbau lassen sich modulare Elemente in größeren Mengen und exakten Abmessungen vorfertigen, was bisher im monolithischen Stampflehmbau nicht möglich war. Dies reduziert den Arbeitsaufwand, erleichtert die Logistik und beschleunigt den Bauprozess.

Lassen sich die „leho“-Elemente als tragende Wände nutzen?
Durch den Holzkern können sie auf jeden Fall statisch belastet werden. Je nachdem wie hoch die Belastung ist, wird der Holzkern in entsprechender Festigkeit und Stärke ausgeführt.

Welches Holz steckt in deinem System?
Wir verwenden gerne dreilagige Platten aus Vorarlberger Fichte, die zugunsten der Kreislauffähigkeit mit Holzdübeln verbunden sind. Es ist jedoch auch möglich, mit industriell vorgefertigten verleimten Kreuzlagenholzplatten zu arbeiten.

Du hast am Anfang mal über Patentschutz nachgedacht – warum hast du dich dann dagegen entschieden?
Patentschutz kann Innovationen zwar absichern, er schränkt aber gleichzeitig deren Verbreitung und Weiterentwicklung ein. Ich bin überzeugt, dass dieses System mehr Wirkung entfaltet, wenn es von anderen Unternehmen und Forschungseinrichtungen aufgegriffen und vorangetrieben werden kann. 


Weitere Informationen:
lehmundholz.com, guter-plan.at


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